Berlin. Pflegedienste sollen im großen Stil Abrechnungsbetrug betreiben. Der Verdacht existierte bereits, nun werden offenbar Details bekannt.

230 osteuropäische Pflegedienste stehen Medienberichten zufolge im Verdacht, systematischen Abrechnungsbetrug zusammen mit anderen Delikten zu betreiben. Das berichten „Die Welt“ und der Bayerische Rundfunk unter Berufung auf einen Abschlussbericht einer Sonderermittlungsgruppe von Bundeskriminalamt und LKA Nordrhein-Westfalen, der den Medien vorliegen soll.

Die ambulanten Pflegedienste sollen Pflegekassen um hohe Summen betrogen haben. Sie sollen nicht erbrachte Leistungen abgerechnet, Pflegedokumentationen gefälscht und nicht qualifizierte Pflegekräfte eingesetzt haben. Dabei würden sie gemeinsame Sache mit Patienten, deren Angehörige, Ärzten und Apotheken machen.

Auch Auftragsmörder sollen unter Firmenbetreibern sein

Der generelle Verdacht gegen die Pflegedienste ist seit längerem bekannt. Nach Einschätzungen des BKA von vor einem Jahr könnten den Sozialkassen mit betrügerischen Abrechnungen solcher Pflegedienste mindestens eine Milliarde Euro Schaden im Jahr entstanden sein. Die Bundesregierung stattete die Krankenkassen durch eine Gesetzesänderung bereits mit zusätzlichen Kontrollbefugnissen aus. Neu sind nun die Details.

Bei einigen der 230 Unternehmen, die gemeinsam ein ganzes Betrugsnetzwerk bilden sollen, gehen die Ermittler auch von Verbindungen zur Organisierten Kriminalität aus. Zu den vorgeworfenen Delikten zählen die Ermittler laut Medienberichten die Einrichtung von Scheinfirmen im In-und Ausland, Geldwäsche und enge Verbindungen zur Glücksspielbranche. Sogar Auftragsmörder sollen sich unter den ehemaligen Firmenbetreibern befinden.

Betrugsnetzwerk soll von Berlin aus gesteuert werden

Der BR zitiert aus dem Bericht: „Es zeichnet sich ein System ab, in welchem von Berlin ausgehend deutschlandweit ein Netzwerk von Pflegedienstunternehmen eingerichtet und betrieben wird, welches mit mehreren Varianten des Abrechnungsbetruges, der Hinterziehung von Abgaben und Steuern und daraus folgender Geldwäsche vorgeht und eine ganze Wirtschaftsbranche beschädigt.“

Regionale Schwerpunkte des Netzwerks sind demnach NRW und Berlin, außerdem Niedersachsen, Brandenburg und Bayern. Der BR und die „Welt am Sonntag“ hatten bereits im April vergangenen Jahres über eine erste allgemeine BKA-Untersuchung rund um dieses Kriminalitätsphänomen berichtet.

„Besonders makaber“

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Karl Josef Laumann (CDU), hat die Manipulationen scharf verurteilt. „Gerade im Pflegebereich zu betrügen, finde ich besonders makaber“, sagte Laumann am Dienstag im SWR2-„Tagesgespräch“.

Pflege brauche aber einen Mittelweg: Es müsse so kontrolliert werden, dass Betrugsfälle aufgedeckt werden könnten – Familien und Pflegeanbieter beschwerten sich andererseits aber über Bürokratie bei zu vielen Kontrollen.

Gesundheitsminister Gröhe fordert lückenlose Aufklärung

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) forderte, die kriminellen Handlungen lückenlos aufzuklären. Er verwies auf Reformen, die im vergangenen Jahr umgesetzt worden seien, um Unregelmäßigkeiten durch unangemeldete Kontrollen aller Pflegedienste sowie schärfere Vorschriften für die Zulassung von Pflegediensten zu vermeiden. Die Vorschriften müssten jetzt auch konsequent umgesetzt werden.

Es sei wichtig, dass die Bundesländer genau prüfen, inwiefern eine stärkere Nutzung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für das Sozialrecht helfen kann, Verfahren gegen betrügerische Pflegedienste zu beschleunigen.

Patientenschützer fordern elektronische Abrechnung

Dagegen erklärte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, Bund und Länder machten es der organisierten Kriminalität zu leicht. „Es fehlt an Schwerpunktstaatsanwaltschaften und speziellen Ermittlungsgruppen“, sagte er in Dortmund. Hier seien sowohl die Innenminister als auch die Justizminister, aber auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen gefordert.

„Wenn Identitäten der Antragsteller nicht überprüft werden, ist es nicht verwunderlich, dass eine Person mehrfach unter wechselnden Namen Pflegeleistungen erhält“, sagte Brysch. Es werde höchste Zeit, dass die Pflegeleistungen elektronisch abgerechnet werden. Ebenso sei eine einheitliche lebenslange Patientennummer notwendig.

Prüfungsverfahren gebe keine Hinweise auf Mafia-Strukturen

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, sagte der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Mittwoch), „weil es sich um Organisierte Kriminalität handelt, brauchen wir Schwerpunktstaatsanwaltschaften“. Solche Betrügereien dürften sich „auf keinen Fall wiederholen. Denn sonst höhlt es das Vertrauen in die Pflege aus und trifft auch jene Dienste, die gute Arbeit leisten“.

Beim MDK hieß es auf Anfrage, man habe „keine primären Erkenntnisse über Abrechnungsbetrug aus eigener Prüfung“. Eine Sprecherin sagte, die vor allem auf die Qualität der Pflegeeinrichtung ausgerichteten Prüfungen zeigten zwar hier und da vereinzelte Auffälligkeiten. Doch mit den eigenen Verfahren „kommt man nicht hinter mafiöse Strukturen“. (dpa/aba/epd)