Berlin. Kälte beeinflusst den Schadstoffausstoß von Diesel-Autos offenbar erheblich. Zu diesem Schluss kommen Messungen des Umweltbundesamts.

Zehn bis zwölf Grad Lufttemperatur sind in Deutschland für diesen Mittwoch vorhergesagt. Das ist kühl, aber nicht ungewöhnlich für Ende April. In den meisten Wohnungen, Büros oder Werkstätten dagegen herrschen 20 bis 25 Grad. Eine Wohlfühltemperatur, nicht nur für Menschen. Die meisten Abgastests für Autos finden bisher bei diesen warmen Temperaturen statt.

Auf die Idee, dass die Umgebungstemperatur einen Einfluss darauf haben könnte, wie viele Schadstoffe ein Auto ausspuckt, kam bisher offenbar niemand. Es brauchte erst den Diesel-Skandal, um zu erkennen: Nicht nur der Fahrstil des Autofahrers spielt für den Schadstoffausstoß eine Rolle, sondern auch das Wetter.

Hälfte der Pkw-Fahrleistung bei unter zehn Grad

Was das bedeutet, lässt sich erahnen, wenn man weiß: Die Hälfte der Pkw-Fahrleistung wird in Deutschland bei Temperaturen von unter zehn Grad erbracht. Davon geht jedenfalls das Umweltbundesamt aus. Das ist weit entfernt von den gemütlichen 20 Grad im Labor.

Welche Folgen das hat, präsentierte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am Dienstag: Neue Messungen des Umweltbundesamtes haben ergeben, dass die Diesel-Autos auf deutschen Straßen noch mehr Stickoxide produzieren als bisher angenommen. Auch Motoren der Schadstoffnorm Euro-6 übertrafen die Grenzwerte für Stickoxid (NOx) zum Teil um das Sechsfache. Die Werte gelten bisher nur für Labortests.

Verkehrsminister Dobrindt stellt sich taub

„Die Werte müssen runter“, forderte Hendricks. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) müsse mehr Druck machen. „Es ist bis jetzt nichts für eine tief greifende Verbesserung getan worden“, klagte die Umweltministerin. Dobrindt aber stellte sich taub. Er reagierte weder auf die neuen Erkenntnisse noch auf Hendricks Vorwürfe.

Stickoxide sind gefährlich, weil sie Pflanzen schädigen und auch für Menschen gefährlich sind. Die Gase tragen dazu bei, dass Feinstaub und Ozon entstehen. Mediziner machen sie für Herz-Kreislauferkrankungen verantwortlich. Neu an den Erkenntnissen des Umweltbundesamtes ist, dass die Menge an Stickoxid, die aus dem Auspuff kommt, umso höher wird, je kälter die Umgebungstemperatur ist.

Messungen mit mehr als 50 Autos

So produziert ein Diesel-Pkw der Schadstoffklasse Euro-4 beispielsweise bei null Grad Celsius durchschnittlich rund 40 Prozent mehr NOx als bei 18 Grad. Bei sauberen Dieseln ist die Abweichung sogar noch größer: Ein Wagen, für den die Norm Euro-6 gilt, stößt bei null Grad sogar fast doppelt so viel des schädlichen Gases aus als bei 18 Grad.

Diese Werte stammen aus Messungen an mehr als 50 Autos auf Prüfständen und auf der Straße sowie aus Berechnungen mit Computermodellen. Dabei wurden verschiedene Fahrweisen, Verkehrssituationen und Umgebungstemperaturen bis 18 Grad getestet. Welche Modelle genau geprüft wurden, gab das Umweltbundesamt nicht bekannt. Damit seien aber alle Dieselautos „repräsentativ“ abgebildet.

Hendricks treibt Dobrindt vor sich her

Das Amt geht nun davon aus, dass alle Diesel-Pkw auf deutschen Straßen pro Kilometer durchschnittlich 767 Milligramm Stickoxid ausstoßen. Bisher war man von 575 Milligramm ausgegangen. Der Grenzwert für den Test im Labor liegt bei nur 80 Milligramm. Andere Messungen der Deutschen Umwelthilfe und des Verkehrsministeriums hatten ähnliche Ergebnisse gezeigt. Hauptgrund dafür ist, dass sich Abgasreinigungen bei bestimmten Temperaturen angeblich zum Motorschutz abschalten, was bisher als legal gilt.

FBI klagt VW-Manager im Dieselskandal an

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    Umweltministerin Hendricks hatte das Bundesamt mit den neuen Kontrollen beauftragt. Eigentlich sollten sie turnusgemäß erst 2018 vorgenommen werden. Nun will die SPD-Politikerin noch vor der Bundestagswahl damit punkten, dass sie ihre Aufgabe als Umweltministerin ernst nimmt und ihren CSU-Kollegen Dobrindt vor sich hertreibt.

    Hedricks: Diesel sind Kern der Luftbelastungsprobleme

    „Der Autoverkehr und insbesondere die bestehende Dieselflotte sind der Kern des Luftbelastungsproblems in unseren Innenstädten“, sagte Hendricks bei der Präsentation der Zahlen. „Darum ist meine klare Erwartungshaltung, dass die Automobilwirtschaft endlich ihre Diesel in Ordnung bringt.“

    Alle ihre Vorschläge, mit denen sie den Kommunen habe helfen wollen, um für saubere Luft zu sorgen, seien abgelehnt worden, klagte sie. Damit spielte sie auf den Streit um die blaue Plakette an, die Dobrindt ablehnt.

    Autoindustrie zeigt sich unbeeindruckt

    Hendricks forderte die Fahrzeughersteller auf, die Emissionen von Neuwagen „deutlich vor 2021“ zu reduzieren, wenn sie es wegen eines neuen, strengeren Testverfahrens ohnehin tun müssen. Die Pkw, die schon auf den Straßen fahren, sollten die Autokonzerne schnell und auf eigene Kosten nachbessern. Audi, Porsche, Mercedes, VW und Opel wollen wegen überhöhter Abgaswerte europaweit in diesem Jahr 630.000 Autos zurückrufen, um die Abgasreinigung nachzubessern.

    Linke und Grüne warfen Dobrindt vor, die Autoindustrie zu unterstützen und bei schärferen Kontrollen auf der Bremse zu stehen. Der Branchenverband VDA erklärte, die Messungen des Umweltamtes hätten nichts Neues ergeben. Die neuen Tests ab Herbst und neue Technologien würden die Grenzwert-Überschreitungen verringern.