Berlin. Bauern leiden unter starren Lieferverträgen mit Molkereien und bekommen weniger Geld für die Milch. Nun schreitet das Kartellamt ein.

Wenn sich die Agrarminister der Länder am Mittwoch in Hannover treffen, dann steht das Thema ganz oben auf der Tagesordnung: Die finanziellen Nöte der Milchbauern, die sich mit dem Verfall der Milchpreise im vergangenen Jahr dramatisch zugespitzt haben. Schuld an der Misere sind auch die starren Lieferverträge der Milchbauern mit den Molkereien. Zu diesem Schluss kommt nun das Bundeskartellamt in einem Zwischenbericht. Seit April 2016 untersucht die Wettbewerbsbehörde, zu welchen Bedingungen die Bauern ihre Milch an die Molkereien liefern.

Kern des Problems sind die sogenannten Andienungs- und Abnahmepflichten, mit denen viele der rund 70.000 Milchbauern in Deutschland zu kämpfen haben. Das bedeutet: Ein Bauer darf seine Milch nur an eine bestimmte Molkerei liefern. Im Gegenzug ist diese dazu verpflichtet, dem Bauern seine Milch abzunehmen. Wie viel Geld die Landwirte für die Lieferung erhalten, erfahren die Bauern aber meist erst hinterher. 94 Prozent der Molkereien legen ihre Preise erst nach der Lieferung fest.

Bisher Kündigungsfristen von bis zu 24 Monaten

Kühe in der Melkanlage eines landwirtschaftlichen Betriebes in Uttum (Niedersachsen).
Kühe in der Melkanlage eines landwirtschaftlichen Betriebes in Uttum (Niedersachsen). © dpa | Carmen Jaspersen

Setzt der Einzelhandel etwa den Preis für eine Packung Milch herauf, kommt das meist nicht bei den Bauern an. Hinzu kommen lange Kündigungsfristen – ganze 24 Monate in mehr als der Hälfte der Fälle – und feste Stichtage, zu denen der Vertrag gekündigt werden muss. Verpasst ein Milchbauer den Stichtag, kann sich die Kündigungsfrist um weitere zwölf Monate verlängern. Das macht es den Bauern schwer, die Molkerei zu wechseln, wenn sie mit den Preisen nicht zufrieden sind. Rund 98 Prozent der produzierten Milch wurde 2015 unter diesen Bedingungen verkauft.

Eine Marktsituation, die laut dem Kartellamt kaum einen fairen Wettbewerb zulässt. „Die Molkereien können wirtschaftliche Risiken in großem Umfang an die Erzeuger weitergeben“, erklärt ein Sprecher des Kartellamtes. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Bedingungen nach vorläufiger Einschätzung „den Rahmen des kartellrechtlich Zulässigen“ überschreite.

Der größte deutsche Molkereibetrieb bezieht Milch von 8300 Bauern

Konkret richtet sich das Verfahren der Bonner Behörde gegen das Deutsche Milchkontor (DMK). Das DMK, eine Genossenschaft, die Milch von 8300 Bauern bezieht, ist der größte deutsche Molkereibetrieb. Wegen der „stereotypen Ausgestaltung“ der Lieferverträge beschränkt das Kartellamt die Untersuchungen aber nicht allein auf das DMK, sondern sprach mit Vertretern von 89 genossenschaftlichen und privaten Molkereien.

Die Wettbewerbshüter waren auf die ungünstigen Marktbedingungen für die Bauern aufmerksam geworden, als im vergangenen Frühjahr die Milchpreise in den Keller rutschten. Auf dem Tiefpunkt verdienten die Bauern für einen Liter Milch weniger als 20 Cent. Um ihre Kosten zu decken, benötigen sie jedoch mindestens 40 Cent. Zahlreiche Landwirte mussten ihre Höfe aufgeben, schlachteten Kühe, um ihre Kapazitäten zu reduzieren und Futterkosten zu sparen. Allein in Niedersachsen fielen 2016 insgesamt 182.000 Kühe diesen radikalen Sparmaßnahmen zum Opfer.

Kündigungsfristen von drei bis vier Monaten werden vorgeschlagen

„Für die Molkereiwirtschaft ist die Situation natürlich bequem“, sagt ein Sprecher des Bundesverbandes deutscher Milchviehhalter (BDM). Sie bekämen die Milch geliefert, ohne sich auf einen Preis festzulegen. Die Folge sei, dass die Molkereien keinen Handlungsdruck haben, höhere Preise bei den Abnehmern einzufordern, ärgert sich der BDM. Der Verband fordert daher kürzere Kündigungsfristen und feste Preise für jede Lieferung. Ähnliche Lösungsansätze hat das Kartellamt in seinem Bericht formuliert. So schlägt es etwa Kündigungsfristen von drei bis vier Monaten und mehrere Kündigungstermine pro Jahr vor. Zudem sind die Vereinbarung von festen Liefermengen und die Festlegung der Preise vor der Lieferung zentrale Punkte.

Eine Milchkanne beim letzten Melken im Stall der früheren Milchviehanlage der Erzeugergemeinschaft Cramonshagen in Böken bei Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern).
Eine Milchkanne beim letzten Melken im Stall der früheren Milchviehanlage der Erzeugergemeinschaft Cramonshagen in Böken bei Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern). © dpa | Jens Büttner

Die Molkereien hingegen halten von den Vorschlägen wenig: „Nicht nachvollziehbar“ nannte der Milchindustrie-Verband die Schlussfolgerungen des Kartellamts. Das Amt destabilisiere so den Markt. Die Kritik des Bundeskartellamts spiegele die Praxis nicht wider, erklärt ein Verbandssprecher. Vielfach hätten sich Landwirte und Molkereien freiwillig auf lange Verträge geeinigt, etwa in den Milchgenossenschaften. Rund zwei Drittel der in Deutschland verkauften Milch wird von Bauern produziert, die sich in Molkereigenossenschaften zusammengeschlossen haben. In diesen Fällen sind Bauern gleichzeitig Zulieferer und Verarbeiter.

Die Lieferverträge sind nur ein Teil des Problems

Schaden die Genossenschaften also ihren eigenen Mitgliedern? Die Genossenschaften sind einmal aus der Not heraus entstanden, doch längst sind sie große Unternehmen geworden. „Einige Genossenschaften sind heute sehr groß, bis zu 10.000 Mitglieder“, erklärt der Betriebswirt Hannes Weindlmaier. Das DMK etwa gehört zu den größten Molkereien der Welt und hat 2015 rund 7,8 Millionen Tonnen Milch verarbeitet. Durch dieses Wachstum sei es zu einer Entfremdung zwischen dem einzelnen Erzeuger und dem Verarbeitungsunternehmen gekommen. „Die Basis und die Führung haben sich zunehmend auseinanderentwickelt.“

Weindlmaier geht jedoch nicht davon aus, dass die Vorschläge der Wettbewerbsbehörde den Bauern helfen werden. Zwar sei die Analyse des Amts grundsätzlich korrekt. Aber „an dem Grundproblem, dass die Milchbauern bessere Preise für ihre Milch bekommen müssen, ändern diese Vorschläge nichts“, sagt der Betriebswirt.

Es fehlen Vereinbarungen zu Preisen und Mengen

Ähnlich äußert sich der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne): Man müsse Mechanismen installieren, um den Überschuss in der Milchproduktion zu verhindern. Er fordert daher eine „europaweite Mengenregulierung“. Meyer begrüßt auch die Kritik des Kartellamts. „Laufzeiten und Lieferverträge ohne Vereinbarungen zu Preisen und Mengen sind keine Lösung, sondern Teil des Problems“, sagt Meyer.

Wann das Pilotverfahren gegen DMK zum Abschluss kommt, ist noch offen. Der Zwischenbericht des Amtes ist auch der Versuch, der Branche eine Chance zur Kurskorrektur zu geben. Dass sich Molkereien und Bauern demnächst freiwillig auf andere Verträge einigen, danach sieht es allerdings im Moment nicht aus.