Berlin. An die Finanzaufsicht BaFin wenden sich immer mehr Whistleblower. Allein in zwei Monaten waren es fast so viele wie im ganzen Vorjahr.

Die Zahl der Whistleblower, die sich mit Informationen an Behörden wenden, ist in den vergangenen Monaten rapide gestiegen. Das zeigt eine Auswertung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die von Felix Hufeld geleitet wird. Sie betreibt seit Juli 2016 eine Hotline, bei der Mitarbeiter anonym auf Missstände in ihrem Unternehmen hinweisen können, ohne dabei ihren Job zu gefährden. 2016 meldeten sich 124 Informanten bei der BaFin, die Banken, Versicherer und Finanzdienstleister kontrolliert. Im Januar und Februar 2017 waren es bereits weitere 100 potenzielle Whistleblower.

„Es geht beispielsweise um den Verdacht auf unlautere Geschäftspraktiken“, sagt BaFin-Sprecherin Dominika Kula. Dazu gehören Institute, die Zinsen manipulieren, ihre Kunden falsch beraten oder Geld waschen. Den Anstieg führt die BaFin darauf zurück, dass sie Whistleblowern seit Jahresanfang ein neues elektronisches Postfach für völlig anonyme Kommunikation bietet. „So sind schnelle Rückfragen von unserer Seite sehr viel einfacher als zuvor.“

Bei anderen Behörden hakt es

Trotz der Nachfrage seitens der Hinweisgeber, Informationen sicher und auf anonymen Kanälen zu teilen, mangelt es einigen Behörden an klaren Zuständigkeiten. Initiativen wie das „Whistleblower Netzwerk“, Datenschützer und Grüne fordern deshalb mehr Schutz für die Hinweisgeber, denen schwere arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen. Denn es kann gefährlich werden für Whistleblower.

Die BaFin in Bonn hat ein neues Postfach für Hinweisgeber eingerichtet.
Die BaFin in Bonn hat ein neues Postfach für Hinweisgeber eingerichtet. © imago stock&people | imago stock&people

Exemplarisch zeigt dies der interne Schriftverkehr eines Informanten mit Behördenmitarbeitern, der unserer Redaktion vorliegt. Die Korrespondenz dreht sich um Details von sogenannten Cum-Ex-Geschäften. Durch diese umstrittenen Aktiendeals haben Banken und Unternehmen den Fiskus geschätzt um zwölf Milliarden Euro geschröpft, indem sie trickreich Steuern einsparten. Inzwischen schloss der Gesetzgeber das Steuerschlupfloch, ein Untersuchungsausschuss arbeitet die Hintergründe der umstrittenen Aktiendeals auf.

Details an Beteiligte zurückgespielt

In der internen Korrespondenz nimmt ein Informant S. per E-Mail Kontakt zu einem Referatsleiter des Bundesfinanzministeriums auf, er schreibt von einem „mafiaähnlich organisierten Netzwerk“, das durch Cum-Ex-Geschäfte Millionenbeträge einspart. Der Mitarbeiter des Bundesministeriums leitet den Hinweisgeber zunächst weiter an die Landesbehörde in Hessen, weil das Unternehmen dort seinen Sitz hat. „Im Rahmen der Überprüfung der Information sollte extrem vorsichtig vorgegangen werden, um bei den Beteiligten keinerlei Verdacht auf Aufklärungsmaßnahmen aufkommen zu lassen“, schreibt der Hinweisgeber daraufhin an einen Mitarbeiter des Finanzamts Darmstadt, an den ihn das Ministerium in Berlin vermittelt hatte.

Der Insider betont, dass die Informationen unter keinen Umständen in ein bestimmtes Referat des Ministeriums fließen sollten, weil „die Initiatoren (Anmerk.: also die Cum-Ex-Händler) über einen direkten, sehr guten Kontakt zu einem Mitarbeiter des Referats verfügen“, wie er anmerkt.

Nach der Nennung von Details zu den umstrittenen Deals endet die Kommunikation jedoch abrupt. Wochen später schreibt der Informant S. an seinen ersten Kontaktmann im Bundesministerium: „Einige Details der E-Mail (...) sind inzwischen fragwürdigerweise zu Teilen der Cum-Ex-Beteiligten durchgedrungen.“

Grüne fordern Whistleblower-Gesetz

Die Kritik des Informanten: „Es entsteht der Eindruck, dass der von Ihnen aktivierte Vertreter aus der Behördenstelle stammt, die wegen Kollaboration mit Frankfurter Banken nach Darmstadt zwangsversetzt wurde (damals wurde die Deutsche Bank vor anstehenden Durchsuchungen durch Vertreter exakt dieser Behördenstelle gewarnt).“ Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt nahm im Jahr 2010 Ermittlungen auf, weil die Deutsche Bank vor einer Großrazzia wegen Steuerhinterziehung im Vorfeld gewarnt worden sein soll. Waren die brisanten Informationen also ausgerechnet wieder bei denen gelandet, vor denen der Whistleblower warnen wollte?

Der Cum-Ex-Ausschuss des Deutschen Bundestages.
Der Cum-Ex-Ausschuss des Deutschen Bundestages. © imago/Christian Ditsch | imago stock&people

„Dass Informationen direkt an die Akteure zurückgehen, ist desaströs“, kritisiert Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Er fordert eine zentrale Stelle, an die sich Whistleblower wenden können. Zwar haben viele größere Unternehmen auch eigene zentrale Meldestellen für Mitarbeiter eingerichtet, die auf Missstände hinweisen wollen. Doch entscheidet dort der Arbeitgeber, wie mit den Informationen verfahren wird – was Whistleblower abschreckt. „Ein Whistleblower-Gesetz muss klären, wann Insider Informationen weitergeben dürfen, und für diese Fälle braucht es dann einen verlässlichen Informationsweg, um Netzwerke des Steuerbetrugs schneller aufzudecken“, sagt Schick. Um damit in der Folge dem Steuerzahler Milliardenverluste zu ersparen.