Wolfsburg. Der VW-Chef Matthias Matthias Müller spricht im Interview über die Dieselaffäre und den Konzernumbau. Und wie es weitergehen wird.

VW-Chef Matthias Müller hat gerade beim Genfer Autosalon die VW-Modelle der Zukunft vorgestellt. Doch in der Gegenwart muss er nicht nur neue Autos entwickeln, sondern den Konzern reformieren. Und dann ist da noch die Dieselaffäre.

Seit eineinhalb Jahren sind Sie Vorstandschef in Wolfsburg. Wie geht es Ihnen?

Müller: Ich habe mich schon in meiner ersten Zeit hier wohlgefühlt – und das ist jetzt wieder so. Beruflich ist Wolfsburg meine Heimat. Das ist natürlich geprägt von den Herausforderungen dieser Aufgabe. Die Aufarbeitung der Vergangenheit fällt nicht immer leicht, weil sie mit sehr vielen negativen Botschaften in der Öffentlichkeit verbunden ist.

Aber Sie haben ja gesehen, dass wir 2016 betriebswirtschaftlich sehr erfolgreich waren, mit vielen tollen Fahrzeugen aller Marken. Das macht natürlich Riesenspaß, genauso wie den Konzern für die Zukunft zu reformieren. Aber für mich gilt immer: Das Glas ist mindestens halb voll, nicht halb leer.

Sie wandeln VW auch zum Mobilitätsdienstleister. Gerade haben Sie die Studie Sedric vorgestellt, voll autonom und elektrisch angetrieben. Wann kann man damit fahren?

Müller sieht die Autobranche vor einem Paradigmenwechsel.
Müller sieht die Autobranche vor einem Paradigmenwechsel. © Getty Images | Harold Cunningham

Müller: Wenn ich Ihnen diese Frage beantworten könnte, wäre ich Hellseher. Wir haben jetzt mal einen ersten Schritt gemacht, wie so ein selbstfahrendes Auto aussehen könnte, damit die Menschen ein Gefühl dafür bekommen. Die Reaktionen auf Sedric waren sehr positiv. Wir glauben an das Potenzial des vollautomatisierten Fahrens.

Aber solch ein technologischer Paradigmenwechsel vollzieht sich nicht über Nacht. Wir werden zunächst mit Pilotprojekten und Kleinstserien starten, voraussichtlich in Hamburg, weil wir dort eine Mobilitätspartnerschaft haben. Wenn wir dann erste Lösungen haben, kann man das auch in Wolfsburg ausprobieren. Da liegt uns Niedersachsen natürlich sehr am Herzen. Aber das Ganze ist eine Evolution, die sich wahrscheinlich über zwei, drei Jahrzehnte hinziehen wird. Auch, weil es noch einige rechtliche, technische und ethisch-moralische Fragen zu klären gibt.

Wie groß ist die Bereitschaft der Fahrer? Laut Studien gibt es große Skepsis.

Müller: Das ist für jeden von uns natürlich eine neue Erfahrung. Aber wir setzen uns auch in ein Flugzeug und lassen uns überwiegend per Autopilot von A nach B fliegen. Da ist Aufklärungsarbeit zu leisten, nur so kann Vertrauen wachsen. Das ist mit der Elektromobilität ganz ähnlich. Wir sind hier vielleicht noch etwas reservierter als andere Länder. Das liegt natürlich noch an den Themen Preis, Reichweite und Infrastruktur. Aber daran arbeiten wir intensiv. Ich bin auch irgendwann elektrisch gefahren – und habe gemerkt, das macht richtig Spaß (lacht).

Halten Sie das Unternehmen in der bestehenden Form für reformfähig?

Müller: Das beweisen wir jeden Tag. Wir haben sowohl im Konzern als auch bei der Marke schon sehr viel reformiert. Der Konzernvorstand hat sich personell erneuert und verschlankt. Wir haben die Marken gruppiert und den Konzernvorständen zugeordnet. Wir haben das neue Vorstandsressort „Integrität und Recht“ geschaffen, eine ganz wichtige Entscheidung. Und wir werden auch in diesem Jahr Bürokratie abbauen, unsere Strukturen weiter verbessern, dezentraler und schlanker gestalten.

Es ist nun mal so, dass die Marke VW betriebswirtschaftlich schwach war. Natürlich muss man das in Angriff nehmen, das sehen alle Beteiligten im Unternehmen übrigens genauso. Es ist meiner Ansicht nach nicht damit getan, in die Fabriken zu gehen und zu sagen, ihr müsst schneller arbeiten. Ich plädiere dafür, die gesamte Wertschöpfungskette zu optimieren. Übrigens betrifft das alle Marken und uns in den Konzernfunktionen.

Volkswagen hakt "Dieselgate" ab

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    Die Verbesserungen gehen in den Streitigkeiten in der Öffentlichkeit unter – ist das frustrierend?

    Müller: Ja, klar. Beim Dieselthema zum Beispiel ist im vergangenen Jahr von der ganzen Mannschaft ein super Job gemacht worden, und wir haben mit dem Kraftfahrtbundesamt und den amerikanischen Behörden sehr konstruktiv zusammengearbeitet. Das geht vor diesem Hintergrund dann leider ein wenig unter.

    Es gab die Forderung, gegen den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch rechtlich vorzugehen – wegen seiner Angriffe in der Abgasaffäre gegen Volkswagen.

    Müller: Wir als Konzernvorstand – und ich persönlich – werden weiter alles tun, damit Volkswagen vor Schaden geschützt wird. Aber wir sprechen hier über komplexe rechtliche Sachverhalte. Schnellschüsse sind nicht zielführend. Daher prüfen wir sehr sorgfältig, was zu tun ist.

    Dadurch entsteht allerdings der schädliche Eindruck, dass VW die Aufklärung nicht mit letzter Konsequenz betreibt.

    Müller: Das stimmt aber eben nicht.

    Die evangelischen Kirchen zum Beispiel machen sich zurzeit Gedanken, ob man VW als Sponsor haben darf.

    Müller: Ich kann die Diskussion zunächst einmal nachvollziehen. Bevor man zu so einem Urteil kommt, sollte man aber das „Statement of Facts“ lesen, das ja im Internet jedem zugänglich ist. Dieses Dokument hat niemand Geringeres veröffentlicht als das amerikanische Justizministerium – auf der Basis einer mehr als einjährigen Recherche mit Millionen von Dokumenten und Tausenden Interviews. Es gibt keinen Anlass, das Ergebnis in Zweifel zu ziehen.

    Ich werde mich jedenfalls weiter dagegen verwahren, dass ein ganzes Unternehmen für kriminell erklärt wird. Die Kritik an Volkswagen ist – nach allem was passiert ist – nachvollziehbar, berechtigt und okay. Damit müssen und damit können wir leben. Schmähungen oder Versuche, unser Unternehmen in seiner Existenz zu gefährden, müssen wir aber nicht hinnehmen. Und wir werden sie auch nicht hinnehmen.