Nürnberg. Mehr als eine Million Stellen sind unbesetzt, die Firmen suchen Mitarbeiter. Doch wer länger arbeitslos war, hat es dennoch schwierig.

Der deutsche Stellenmarkt boomt. Noch nie hat es so viele unbesetzte Arbeitsplätze gegeben wie im vierten Quartal 2016 – nämlich 1,044 Millionen, wie Nürnberger Arbeitsmarktforscher jüngst berichteten. Viele davon wären sofort zu besetzen.

Paradiesische Zeiten also für Jobsucher, könnte man meinen. Die Kehrseite der Medaille: Unternehmen haben es immer schwerer, gute Mitarbeiter zu finden. Die Lage zwingt sie, immer neue Wege zu gehen – und auch mal dem zweitbesten Bewerber eine Chance zu geben. Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Was sind die Gründe für den Stellenboom?

Arbeiter auf einer Brückenbaustelle in Hamburger. Das Baugewerbe ist nach wie vor ein sichere Branche.
Arbeiter auf einer Brückenbaustelle in Hamburger. Das Baugewerbe ist nach wie vor ein sichere Branche. © dpa | Christian Charisius

Den Deutschen geht es gut – entsprechend leisten sie sich mehr als noch vor ein paar Jahren und stärken damit die Binnennachfrage. Die ist inzwischen neben dem Export zur zweiten Säule des deutschen Wirtschaftswachstums geworden.

Die Folge: Viele Firmen sitzen auf Aufträgen, die sie nur mit zusätzlichem Personal abarbeiten können. Dienstleister machen gute Geschäfte mit immer anspruchsvolleren Kunden. Auch das geht nur mit mehr Mitarbeitern. Außerdem: Mit der Betreuung der Flüchtlinge sind in den vergangenen Monaten viele neue Stellen entstanden.

Eine Million freie Stellen gleich eine Million Jobchancen für Arbeitslose?

Nein. Denn nicht alle angebotenen Jobs sind wirklich neu, wie der Nürnberger Arbeitsmarktforscher Alexander Kubis betont. Neu geschaffen - wegen „längerfristigen Mehrbedarfs“ – wurde beispielsweise im Jahr 2015 lediglich jede zweite ausgeschriebene Stelle.

Bei einem knappen Drittel der angebotenen Jobs gehe es darum, eine vorübergehend frei gewordene Stellen mit einer Ersatzkraft zu besetzen, macht der Forscher deutlich. Und da gerade in Boomzeiten Beschäftigte öfter als in Krisen den Job wechselten, sorge diese Dynamik auch für eine besonders große Zahl an freien Stellen.

Haben denn Arbeitslose da überhaupt eine echte Jobchance?

Tatsächlich – so zeigt eine Statistik von 2015 – sind die Konkurrenten von arbeitslosen Bewerbern nicht andere Arbeitslose, sondern Berufskollegen, die kurz zuvor woanders beschäftigt waren. 2015 wurden nach Kubis’ Angaben 52,6 Prozent der freien Stellen an Männer und Frauen vergeben, die schon bisher eine feste Stelle hatten.

Trotzdem: Immerhin ein gutes Fünftel ging an Jobsucher, die zuletzt arbeitslos waren – allerdings kürzer als ein Jahr. Wer länger als ein Jahr ohne Job war, hatte hingehen deutlich geringere Chancen auf eine Anstellung. Unter allen Neueingestellten machten sie im Jahr 2015 gerade mal einen Anteil von 4,4 Prozent aus.

In welchen Branchen haben Jobsucher derzeit die größten Chancen?

Eine Kellnerin in einem Berliner Restaurant. Im Dienstleistungssektor gibt es die meisten freien Stellen.
Eine Kellnerin in einem Berliner Restaurant. Im Dienstleistungssektor gibt es die meisten freien Stellen. © dpa | Britta Pedersen

Nach der jüngsten Stellenerhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) noch immer in der Industrie und im Baugewerbe mit zusammen knapp 300.000 freien Stellen.

Den Löwenanteil freier Jobs bietet allerdings längst die Dienstleistungsbranche – eine Palette von Beschäftigungen, die von der Gaststättenbedienung bis zum hoch bezahlten Wirtschaftsprüfer reicht. Bei Dienstleistern gab es im vierten Quartal 570.000 freie Stellen. Gemessen an der Betriebsgröße sind vor allem Mittelständler Jobmotoren.

Wie erleben Firmen die aktuelle Beschäftigungslage?

Je nach Branche fällt es ihnen immer schwerer, zumindest auf die Schnelle die dringend gesuchte Fachkraft zu finden. So dauerte es im Schlussquartal 2016 im Schnitt 85 Tage, bis Unternehmen für eine freie gewordene oder neu geschaffene Stelle einen neuen Mitarbeiter fanden. Anfang 2010 war die Stelle im Schnitt nach 70 Tagen besetzt.

Auch wächst seit Jahren der Anteil der mit „Schwierigkeiten“ verbundenen Neueinstellungen. Es gebe eben zu wenig Bewerber, klagten viele Firmen in einer IAB-Umfrage. Vielen Bewerbern fehle es außerdem an der erforderlichen Qualifikation. Und manche hätten auch einfach zu unrealistische Lohn- und Gehaltsforderungen. (dpa)