Berlin. Volkswagen-Patriarch Ferdinand Piëch bringt die Konzernspitze und sich selbst in Bedrängnis. Was trieb ihn zu dem heiklen Schachzug?

Es wäre ein ganzes Bündel schwerer Straftaten und ein Abgrund des Verrats an Kunden, Mitarbeitern und Aktionären, vorsätzlich ausgeführt vom obersten Zirkel des größten deutschen Autokonzerns – eine echte Verschwörung zum Bruch von Gesetzen: Wenn zutrifft, was ausgerechnet der mächtige Ex-Aufsichtsrat und VW-Miteigentümer Ferdinand Piëch nun behauptet, hätte das Kontrollgremium und der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn seit Februar 2015 von den Abgas-Manipulationen gewusst, aber bis September 2015 absichtlich nichts dagegen unternommen und auch die Kapitalmärkte bewusst nicht darüber informiert.

Mit dieser bei der Staatsanwaltschaft gemachten Mitteilung belastet Piëch nahezu die komplette damalige Konzernspitze und treibt die Protagonisten in einen gefährlichen strafrechtlichen Stellungskrieg. Denn es steht Aussage gegen Aussage. Der Aufsichtsrat bezichtigt den Patriarchen der Lüge.

Mit Aussage belastet Piëch sich selbst

Der beschuldigt den amtierenden niedersächsischen Ministerpräsidenten, Stephan Weil, in einem Strafverfahren der Mitwisserschaft. Bald könnten alle unter Eid vernommen werden. Spätestens dann geht es nicht mehr um gefühlte Wahrheiten und alternative Fakten, sondern darum, wer am Ende juristisch habhaft gemacht werden werden kann.

Sehr interessant an Piëchs Äußerungen ist, dass er sich damit auch selbst belastet. Denn er war im Februar 2015 der Chef des Kontrollgremiums bei Volkswagen. Zwar verkündete er im April 2015, er sei „auf Distanz“ zu VW-Chef Martin Winterkorn. Doch die Kapitalmärkte oder die Behörden informierte er offenbar nicht über sein Wissen. Warum also macht der Patriarch jetzt diesen Schachzug?

Womöglich ein wohlüberlegter juristischer Schachzug

Zwei Erklärungen sind dazu im Umlauf. Die erste besagt, dass Piëch sich durch die Beschuldigung der anderen Aufsichtsratsmitglieder eine bessere Position, eine Art Zeugenstatus im Strafverfahren schaffen könnte, welches ihn ohnehin auch als Beschuldigten erreichen wird. Dann wären seine Einlassungen ein wohlüberlegter juristischer Schachzug. Hierfür spricht, dass er sich von einem exzellenten Strafverteidiger beraten lässt.

Die zweite Erklärung führt in Gefilde romanhafter Verstrickungen und möglicher emotionaler Motive. Im von der Abgasaffäre gebeutelten VW-Konzern bevorzugen viele diese zweite Erklärungsvariante. Die dazu ins Feld geführten metaphorischen Figuren könnten drastischer nicht sein: Von der ungezügelten und absolut rücksichtslosen Rache des bösen alten Mannes an seinen Feinden im VW-Konzern ist da die Rede. Es wird das Bild eines Kaisers beschworen, der seine eigene Hauptstadt in Brand steckt. Eines Mannes, der Vermögensverluste und die Beschädigung des Konzerns in Kauf nimmt, um Satisfaktion für eine Ehrverletzung zu erlangen.

Es geht um die informelle Konzernarchitektur bei Volkswagen

Die schrille Tonlage aus dem Konzern macht deutlich: Jetzt geht es zumindest auch um Ehre, Verrat und Revanche. Darum, wer ganz am Ende noch zu wem steht. Welche Seilschaft selbst der Staatsanwaltschaft standhält. Und welche Männerfreundschaft unter dem Druck der Affäre zerbrechen muss. Es geht also um die großen Fragen der informellen Konzernarchitektur bei Volkswagen – diesem männerbündischen, patricharchalisch geführten Unternehmen.

Ein zorniger Konzern-Eigentümer, der Hand in Hand mit dem israelischen Geheimdienst gegen den obersten Manager der Firma vorgeht – soweit ist man in diesem Drama über die Manipulation von Abgaswerten in einem deutschen Konzern mit Staatsbeteiligung schon gekommen. Die Fortsetzung folgt bald vor Gericht.