Berlin. Vom deutschen Film profitieren nicht nur Kinos, Fernsehen und Studios, sondern auch Gastronomen. Selbst der Staat investiert kräftig.

LKW an LKW reiht sich entlang des Bürgersteigs, sorgsam gesicherte Kabel wurden über die Straße gespannt. Zwischen Stativen, die riesige Scheinwerfer halten, jeder Menge Kameras und Tonangeln machen sich zwei Schauspieler bereit. Die Maskenbildnerin kommt mit einer Puderquaste angelaufen. Nervöse Assistenten scheuchen Passanten weg. Gleich beginnt der nächste Dreh. Szenen wie diese zählen fast schon zum Berliner Alltag. Brandenburger Tor, der türkische Imbiss in Neukölln, die Szenekneipe im hippen Stadtteil Friedrichshain – der „Tatort“, das Historiendrama für den Privatsender, der neue Til-Schweiger-Streifen, Regisseure und Produzenten zieht es für ihre Filme in die Hauptstadt.

Wie lukrativ die deutsche Filmwirtschaft ist, zeigt eine aktuelle Studie des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Experten gehen darin von einem Gesamtumsatz der Branche von 24,5 Milliarden Euro im Jahr aus. Für jeden Euro Wertschöpfung, der in der Filmwirtschaft erzielt werde, würden 1,60 Euro an Wertschöpfung in der gesamten Volkswirtschaft realisiert, heißt es in der Erhebung. Geschäfte mit der Unterhaltung in bewegten Bildern machen die Produktionsfirmen, die Studios, der Vertrieb und der Lizenzhandel, die Kinos, Videotheken, die Filmtechniker.

Deutschland bietet Filmschaffenden ein gutes Gesamtpaket

Für die neue Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) ist die Filmindustrie mehr als nur „eine Industrie der spannenden Geschichten“. „Sie hat große wirtschaftliche Bedeutung, auch über die eigene Branche hinaus“, sagt die SPD-Politikerin. Mit 13,4 Milliarden Euro entfällt mehr als die Hälfte des erwirtschafteten Umsatzes auf die Fernsehveranstalter. Sie sind laut Studie der mit Abstand größte Auftraggeber. Gut 50 Prozent der rund 36.000 selbstständigen und freiberuflichen Filmschaffenden sind dort beschäftigt.

Für die neue Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) ist die Filmindustrie mehr als nur „eine Industrie der spannenden Geschichten“.
Für die neue Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) ist die Filmindustrie mehr als nur „eine Industrie der spannenden Geschichten“. © Getty Images | Adam Berry

Was Filmleute nach Deutschland lockt, sind nicht nur die vielen besonderen und historischen Drehorte. Die Fernsehsender – öffentlich-rechtlich wie privat – gelten als finanzkräftig. Hinzu kommen Festivals, bei denen die Filmschaffenden sich und eine gute „allgemeine und digitale Infrastruktur“ präsentieren , heißt es in der Studie.

„Audiovisuelle Inhalte sind gefragt und werden auch die Zukunft weiter bestimmen“, sagt Alfred Holighaus, Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft. Zu den Highlights des vergangenen Jahres gehört für ihn etwa der mehrfach preisgekrönte Festival-Erfolg „Toni Erdmann“. Der eigentliche Umsatz wird bei den Kinofilmen vor allem durch die Verwertung der Filme erzielt.

Firma für Produktionstechnik holte schon 18 Oscars

Da aber allein im vergangenen Jahr über 200 deutsche Filme verwertet wurden, konnte nicht jeder die Beachtung bekommen, die er verdiene, so Holighaus. Er hält die Filmwirtschaft ohne Frage für einen Wirtschaftsfaktor. Nicht nur für die Branche selbst, sondern auch für andere Industrien.

Zu den bekanntesten und erfolgreichsten Entwicklern und Bereitstellern von Filmtechnik gehört die Arri Group, die Kameras und Spezialtechnik für die Produktionen bereitstellt. Bereits 18-mal wurde das Unternehmen für seine Bildtechnologie mit dem Oscar ausgezeichnet. Allein 2016 machte die Firma den Angaben nach rund 400 Millionen Euro Umsatz, knapp 1300 Mitarbeiter sind für die Technikspezialisten im Einsatz. Was Arri für Blockbuster entwickelt, wird längst auch in anderen Branchen verwendet. Zum Beispiel Spezialkameras bei komplizierten medizinischen Eingriffen. Aber auch die Autoindustrie bedient sich bei Technologien, die für die Filmbranche entwickelt wurden.

Berlinale sorgt für knapp 80 Millionen Euro mehr Umsatz

Geld spielen nicht nur die Filme ein. Gastronomie, Tourismus und Einzelhandel profitieren, wenn Cineasten zu Festivals reisen. Bestes Beispiel ist die Berlinale, die am Donnerstag startet. Laut Investitionsbank Berlin (IBB) sollen die Filmfestspiele für eine Steigerung des Berliner Bruttoinlandsprodukts um knapp 80 Millionen Euro sorgen. 100.000 Besucher werden erwartet. Das Festival ist zudem eine Fachmesse für Filmleute. 550 Unternehmen aus über 100 Ländern sind vertreten. Die IBB-Experten schätzen, dass die Berlinale jedes Jahr rund 380 Arbeitsplätze schafft. Etwa ein Drittel der Beschäftigten ist kontinuierlich für das Festival im Einsatz. Der Rest wird für die „heiße Phase“ gebucht. Dazu gehören Handwerker, Sicherheitsleute, Caterer und Eventveranstalter.

In jedem Film steckt viel Arbeit und viel kreatives wie technisches Wissen. Ganz am Anfang stehen die Drehbuchautoren. Von den hohen Umsätzen, die die Filmbranche erwirtschaftet, landet jedoch nur ein Bruchteil bei ihnen. Die meisten kämpfen als selbstständige Unternehmer um Aufträge und können mit den sehr langen Zeiträumen, in denen Produktionen entstehen, kaum planen.

Eine Babelsberger Produktion: Tom Hanks bei Dreharbeiten zu „Der Unterhändler“ von Steven Spielberg.
Eine Babelsberger Produktion: Tom Hanks bei Dreharbeiten zu „Der Unterhändler“ von Steven Spielberg. © Interoptics

„Um gute Produkte zu bekommen, muss man die Leute gut bezahlen“, sagt Sebastian Andrae, selbst Autor und geschäftsführender Vorstand des Verbands Deutscher Drehbuchautoren. Man müsse sie unterstützen, damit sie an ihren Büchern feilen können. Nur eine ausreichende finanzielle Unterstützung sorge letztlich für gute Filme und Serien. Er kritisiert, dass es in Deutschland noch keine Trial-and-Error-Kultur gibt. „Wir haben immer noch einen zu hohen Anteil an Büchern, die nicht ausreichend entwickelt sind und dann auch im Kino keinen Erfolg haben.“

Bund und Länder fördern Filme mit 224 Millionen Euro

Was für die Drehbuchautoren gilt, berichten auch viele Schauspieler, Maskenbildner, Kameraassistenten und Techniker. Branchenexperte Holighaus setzt bei der Förderung von Filmproduktionen auch auf die Bundesregierung. „Der Standort Deutschland hat eine Menge zu bieten, was die Locations und das Personal angeht“, sagt Holighaus. Doch auch er weiß, dass der finanzielle Anreiz, in Deutschland Filme zu drehen, nachgelassen hat. Viele Produktionsfirmen weichen auf andere Standorte in Europa aus.

Rund 224 Millionen Euro investieren Bund und Länder, um den heimischen Film zu fördern. Dazu kommen 50 Millionen Euro aus dem Filmförderfonds sowie weitere zehn Millionen aus dem German Motion Picture Fund für internationale Coproduktionen. Holighaus wünscht sich für die Zukunft Filme, die gut aussehen, klingen und an denen man sich „reiben“ kann. Wie weit die Digitalisierung die Branche verändern wird, lässt sich nur vermuten. Das Internet macht Kino und TV-Gerät längst Konkurrenz. „Filme dienen dazu, miteinander zu kommunizieren und einander zu verstehen“, sagt Holighaus. Dieses Gefühl gehe verloren, wenn jeder Filme nur noch vor dem Rechner oder auf dem Smartphone anschaue.