Berlin/Bremen. Aromatische Craft-Sorten werden bei Biertrinkern immer beliebter. Kleinbrauer treten mit eigenem Hopfen gegen große Unternehmen an.

Die Unabhängigkeit wächst in Gemüsekisten. Markus Freybler und Michael Scheer bauen Hopfen an – und zwar mitten in der Stadt. „Northern Hallertau“ haben sie die Flächen auf einer alten Werft in Bremen getauft. In Anlehnung an das größte Hopfenanbau-Gebiet der Welt: die Hallertau in Bayern.

So sieht es in der Regel aus, wenn man in eine Craft-Bier-Kneipe geht: viele Zapfhähne, viele verschiedene Biersorten.
So sieht es in der Regel aus, wenn man in eine Craft-Bier-Kneipe geht: viele Zapfhähne, viele verschiedene Biersorten. © imago/Mint Images | imago stock&people

Markus Freybler ist ein sogenannter Mikrobrauer. Das heißt, er braut im Jahr nicht mehr als 1000 Hektoliter Craft-Bier. Etwa die Hälfte aller rund 1400 Brauereien in Deutschland entfällt auf solche Mikrobrauer. Obwohl der Bierabsatz sinkt, steigt durch sie die Zahl der Brauereien. Vor zehn Jahren waren es noch 1281. Berlin gilt dabei als Schrittmacher. 24 kleine Brauereien widmen sich der handgemachten Bierherstellung – so viele wie nirgendwo sonst im Land. Schon seit 2001 braut hier Schoppe Bräu Kreationen wie das „Katerfrühstück“, ein dunkles Bier, das Vanille enthält.

Der Craft-Bier-Boom verändert nicht nur die Brauwirtschaft, sondern auch den Hopfenmarkt – oft zum Nachteil der Mikrobrauer. Michael Scheer und Markus Freybler gehen deshalb einen eigenen Weg. Es sei eigentlich ein Flachs, der Name „Northern Hallertau“, sagt Scheer. Der Leiter des Bremer Urban-Gardening-Projekts „Gemüsewerft“ weiß, dass sein Hopfenanbau in Hochbeeten aus Gemüsekisten und Paletten keine Konkurrenz für den deutschen Hopfenmarkt darstellt. „Die Zunft denkt in Hektar, wir denken in Quadratmetern“, sagt Scheer. In der Tat lassen die Hopfenbauern in der Hallertau zwischen Regensburg, München und Ingolstadt auf fast 15.000 Hektar Land die Pflanzen in die Höhe ranken – eine Fläche etwa halb so groß wie Bremen.

Die meistverkauften Biersorten sind Pils, Export und Weizen

Und während der Hopfen aus der Hallertau in Bieren aus aller Welt landet, ist jener aus Bremen für nur ein einziges Bier von Markus Freybler bestimmt: das Ale No. 2. Der Hopfenertrag reicht noch nicht für seine anderen Sorten. Scheer und Freybler konzentrieren sich auf den Anbau sogenannter Aromahopfen, die vor allem in der Craft-Bier-Szene beliebt sind und Namen tragen wie Cascade, Centenniel oder Chinook.

Viele Kleinbrauer ziehen ihren eigenen Hopfen groß und aromatisieren ihr für ihr individuelles Craft-Bier.
Viele Kleinbrauer ziehen ihren eigenen Hopfen groß und aromatisieren ihr für ihr individuelles Craft-Bier. © imago/Mint Images | imago stock&people

Craft-Bier-Brauer bevorzugen in der Regel andere Hopfensorten als die großen Player der Bierindustrie. Von den 96 Millionen Hektolitern Bier, die im Jahr 2015 abgesetzt worden sind, waren Pils, Export und Weizen die meistverkauften Bierstile. Allein Pils hatte dabei laut Deutschem Brauer Bund (DBB) einen Marktanteil von über 50 Prozent. Dafür wird vorrangig Bitterhopfen verwendet, der sorgt mit seiner Alphasäure vor allem für die Haltbarkeit des Bieres.

Beim Craft-Bier geht es stattdessen um Geschmacksvielfalt. Trotz der kleinen, vorzugsweise für den regionalen Absatz gebrauten Mengen wollen die meisten Mikrobrauer verschiedene Biere anbieten. Zu Pils, Export und Weizen gesellen sich nahezu vergessene Bierstile wie Rotbier, Gewürzbier, Indian Pale Ale oder Trappistenbiere.

Hopfenverbrauch zehnmal höher als bei Pils oder Weizen

Um interessante Geschmacksnuancen ins Bier zu bringen, wird statt auf Bitterhopfen auf Aromahopfen gesetzt. Otmar Weingarten vom Verband deutscher Hopfenpflanzer schätzt, dass im Durchschnitt zehnmal so viel Aromahopfen benötigt wird, um die gleiche Menge Bier herzustellen wie mit Bitterhopfen. Für die großen Bierproduzenten ist Bitterhopfen deshalb rentabler. „Lange Zeit ging es um die Frage: Wer produziert den billigsten Bitterhopfen“, sagt Otmar Weingarten. Dann kam der Craft-Bier-Trend auf. „Seitdem reden wir wieder über Sorten.“

Eine besonders fruchtige Version der Aromahopfen, die Flavour-Hopfen, kommt aus den USA, in denen sich die Anbauflächen dafür rasant vergrößern. Grapefruit-Geschmack, Beeren-Bouquet, all das können die Flavour-Sorten liefern. „Die Sortenvielfalt ist gestiegen“, bestätigt Otmar Weingarten vom Verband deutscher Hopfenpflanzer. So braut seit 2001 Schoppe Bräu in Berlin Kreationen wie das „Katerfrühstück“, ein dunkles Bier, das Vanille enthält.

Die Hopfenbauern haben sich auf den Craft-Bier-Trend eingestellt. Noch ist der Anteil der Flavour-Sorten mit knapp drei Prozent des deutschen Hopfenanbaus gering. Aber von 2014 auf 2015 hat sich die Anbaufläche verdoppelt. Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft rechnet mit einer weiteren Steigerung in den nächsten Jahren.

Auch Großbrauereien springen auf den neuen Trend auf

Doch die Mikrobrauer aus der Craft-Bier-Szene, die diesen Hopfen nutzen wollen, bleiben nicht unter sich. Inzwischen stellen auch Großbrauereien Bierstile her, die von den Craft-Bier-Brauern wiederbelebt worden sind. Sie brauchen nun ebenfalls mehr Aroma- und Flavour-Hopfen, um sie brauen zu können. Die Nachfrage steigt, und damit der Preis. Für die kleinen Brauereien ist es deshalb schwieriger geworden, günstig an den Hopfen für ihre Craft-Biere zu kommen.

Eine Hand hält eine Flasche Pale Ale der Brauerei Bierfabrik.
Eine Hand hält eine Flasche Pale Ale der Brauerei Bierfabrik. © BM | Christian Schneider

„Dass wir unter die Selbstversorger gegangen sind, hat natürlich auch ökonomische Gründe“, sagt Markus Freybler aus Bremen deshalb. Eigener Hopfen macht unabhängiger vom Hopfenmarkt, unabhängiger von dessen Preisen. Für Freybler und Scheer reicht der eigene Hopfen für gut 5000 Flaschen Bier, etwa 15.000 Liter. Im Jahr 2016 haben die Hopfenpflanzen der Gemüsewerft gut 100 Kilogramm Ertrag gebracht, der am Ende im Sudkessel landet. Freybler braut gerade das dritte Jahr in Folge sein Ale No.2.

„Ich gehe davon aus, dass wir die Ernte verdoppeln oder verdreifachen werden“, sagt Michael Scheer mit Blick auf den Spätsommer. Bis dahin wollen Freybler und Scheer die Anbaufläche vergrößern – es sollen noch mal gut 100 Gemüsekisten dazukommen, in denen Hopfen wächst. Insgesamt bewirtschaften die Bremer dann auf rund 500 Quadratmeter Hopfen. Zudem bringen die gut 450 Pflanzen mehr Ertrag, je älter sie werden. Auf lange Sicht will Freybler so viel Bier wie möglich mit eigenem Hopfen brauen können.

Hopfen gedeiht klimatisch sowohl im Norden wie im Süden

Inzwischen geben die Bremer ihr Wissen an andere Urban-Gardening-Projekte weiter, die ebenfalls Hopfen anbauen wollen. „Es ist in dieser Form ein Nischenprodukt, mit dem sich für uns prima nachhaltig wirtschaften lässt“, sagt Scheer. Scheers Gemüsewerft wird pro verkaufter Flasche von Freybler am Gewinn beteiligt.

Klimatisch fühlt sich der Hopfen im Norden genauso wohl wie im Süden, sagt Christoph Pinzl, Leiter des Deutschen Hopfenmuseums in der Hallertau. Bis ins 19. Jahrhundert wurde im Raum Bremen und Oldenburg sowie in Schleswig-Holstein erfolgreich Hopfen angebaut. Sogar auf Sylt wächst Hopfen. Den pflanzt die Flensburger Westindien Compagnie dort an – am wohl nördlichsten Anbauort in Deutschland. Seit 2008 wird der Sylter Hopfen für ein lokales Gourmetbier verwendet, das Braumeister Thomas Kipka entwickelt hat. Das Bier gärt in der Flasche und wird wie ein Champagner verkorkt.

Die Stimmung in der Craft-Bier-Szene sei gut, sagt Pinzl. Davon profitiere die ganze Bierbranche. Dass der deutsche Hopfenmarkt sich radikal verändern wird, glaubt er zwar nicht. Aber: „Bier und Hopfen werden allgemein wieder mit mehr Respekt behandelt.“