Berlin/Wolfsburg. Der Ex-VW-Chef wusste laut Staatsanwaltschaft womöglich früher von Abgasmanipulation. Villa und Büro des Managers wurden durchsucht.

„Es ist nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt worden bin.“ Das sagte Ex-VW-Chef Martin Winterkorn am Donnerstag voriger Woche. Im Bundestagsuntersuchungsausschuss beharrte der ehemalige Konzernlenker darauf, erst im September 2015 von den millionenfachen Abgasmanipulationen erfahren zu haben, die den Autobauer in die schwerste Krise der Unternehmensgeschichte rissen.

Vor dem Ausschuss gab sich Winterkorn ahnungslos. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig sieht in ihm einen möglichen Täter. Bisher ermittelte die Behörde allein wegen des Verdachts der Marktmanipulation gegen den früheren VW-Boss. Jetzt sehen die Strafverfolger „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür“, dass Winterkorn auch straffällig geworden sein könnte. Das entsprechende Ermittlungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft eingeleitet. Winterkorn weist die Vorwürfe zurück.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen 37 Beschuldigte

Neben dem Ex-Konzernchef rücken weitere Verdächtige ins Visier. „Aufgrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse“ weitete die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen von bisher 21 auf nunmehr 37 Beschuldigte aus. Bisher stand noch kein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied von VW unter Betrugsverdacht.

Gegen Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und VW-Markenchef Herbert Diess wurde – wie bisher auch gegen Winterkorn – wegen Marktmanipulation ermittelt. Eine groß angelegte Razzia begleitete die dramatische Zuspitzung in der Abgas-Affäre. In Wolfsburg, Gifhorn und Braunschweig durchkämmten Strafverfolger 28 Wohnungen und Büros. Auch Winterkorns Haus in München soll am Donnerstag durchsucht worden sein. Aktionen richteten sich offenbar auch gegen Softwarespezialisten der VW-Tochter IAV in Berlin. Die Auswertung des sichergestellten Materials werde wohl mehrere Wochen dauern, teilte die Staatsanwaltschaft mit.

Anwälte und Anleger wittern Morgenluft. Sollte Winterkorn der Lüge überführt und für schuldig befunden werden, könnten VW-Aktionäre Entschädigungen für erlittene Kursverluste fordern. Nach Auffliegen des Skandals im September 2015 hatten VW-Papiere massiv an Wert verloren. Sollte Winterkorn tatsächlich, wie von Zeugen behauptet, bereits am 27. Juli 2015 von den Manipulationen gewusst haben, wären Anleger zwei Monate lang gezielt im Dunkeln gehalten worden. Sie hätten womöglich einen Anspruch auf den Wertverfall ihrer Papiere. Allein beim Landgericht Braunschweig lagen zuletzt mehr als 1500 Schadenersatzklagen über insgesamt 8,8 Milliarden Euro vor.

Wenn Winterkorn eingeweiht war, wird es eng für ihn

Klaus Ziehe von der Staatsanwaltschaft Braunschweig informierte am Freitag über die neuen Ermittlungen.
Klaus Ziehe von der Staatsanwaltschaft Braunschweig informierte am Freitag über die neuen Ermittlungen. © dpa | Holger Hollemann

„Die Ermittlungen gegen Winterkorn sind von entscheidender Bedeutung für die Aktionärsklagen“, sagte der Berliner Rechtsanwalt Christopher Rother dieser Zeitung. Rother ist Deutschland-Statthalter des auf Musterklagen spezialisierten US-Staranwalts Michael Hausfeld. VW müsse sich das Verhalten seiner Führungskräfte zurechnen lassen, meint Rother und betont: „Wenn der CEO Winterkorn in die Abgasmanipulation eingeweiht war, dann hat die Volkswagen AG, vertreten durch ihren Vorstand Winterkorn, millionenfachen Betrug begangen.“

Und dann, so der Jurist, werde es eng für beide – den Konzern und seinen ehemaligen Lenker. „Normalerweise haben Manager-Versicherungen eine Kappungsgrenze bei rund 100 Millionen Euro, bei Vorsatz greift der Versicherungsschutz sowieso nicht“, sagt Rother. „Wenn Winterkorn Bescheid wusste, muss er persönlich haften. Dann müsste er Privatinsolvenz anmelden.“

Droht VW-Managern Festnahme in USA?

Auch für andere Führungskräfte könne es ungemütlich werden, warnt Anwalt Rother: „An der Stelle von VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und VW-CEO Matthias Müller würde ich auch nicht in die USA fahren. Es geht hier um den Verdacht, dass der Abgasbetrug mit Wissen und Billigung des Vorstandes der Volkswagen AG erfolgte.“ VW-Manager Oliver Schmidt war am 7. Januar von FBI-Beamten in Florida festgenommen worden.

Von Volkswagen gab es gestern „keinen Kommentar zu Herrn Winterkorn“ – nur die Bemerkung, der gehöre nicht mehr dem Unternehmen an. VW kooperiere umfänglich mit den Behörden, sagte ein Sprecher. Zu Einzelheiten des laufenden Verfahrens äußere man sich nicht. Winterkorn hält an der Darstellung fest, bis zum September 2015 von nichts gewusst zu haben. Der 69-Jährige werde sich gegenüber den Ermittlungsbehörden äußern, sobald er die ihn „angeblich belastenden Umstände“ genauer kenne, ließ er über seine Anwälte ausrichten.