Berlin. Der Abgas-Untersuchungsausschuss soll den Diesel-Skandal aufklären. Spezialisten erklären nun die Manipulation der Motorsteuerung.

Im Bundestagsuntersuchungsausschuss zur Aufklärung des Abgas-Skandals prallen am Donnerstag zwei Welten aufeinander: die alte und die neue Welt der Autotechnik. Spitzen von Tüv und Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) treffen auf Felix Domke – den Mann, der vielleicht nicht den originären Job der zuständigen Behörden gemacht hat, aber ihnen zeigte, wie es geht. Wie Autohersteller die Vorschriften umfahren.

Wie sie die Umwelt schädigen und Millionen Kunden täuschen. Und wie man die Konzerne überführt. Felix Domke entschlüsselte die Betrugssoftware von VW und enttarnte ähnliche Tricks bei Opel. Domke ist ein Hacker. Ein Spezialist der Computergeneration: Softwareentwickler. Solche Leute lieben Herausforderungen. Als im September 2015 der VW-Skandal aufflog, fühlte sich Domke persönlich herausgefordert.

Domke knackte Manipulationscode

Der Hacker Felix Domke zeigt eine von ihm analysierte Steuerungssoftware für einen VW-Dieselmotor.
Der Hacker Felix Domke zeigt eine von ihm analysierte Steuerungssoftware für einen VW-Dieselmotor. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Peter Zschunke

Passenderweise fuhr er gerade einen betroffenen VW Sharan. Domke kniete sich in die Technik und knackte den Manipulationscode – jene Steuerung, die den Testbetrieb beim Auto erkennt und im Prüflauf automatisch weniger giftige Abgase abgibt als vorher oder nachher auf der Straße. „Welchen Aufwand mussten Sie betreiben, um diese Abschalteinrichtungen zu erkennen?“, fragt der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens (Linke).

„Einen Aufwand, der erhebliche Erfahrung braucht“, antwortet Domke. „Aber alles ist durchführbar, wenn man weiß, wonach man sucht.“ Domke weiß das. Er hat gesucht und gefunden – erst bei VW, später dann, auf Initiative und mit Geld der Deutschen Umwelthilfe, auch bei Opel.

Einblick in die Blackbox bleiben verwehrt

Bei einem Zafira Diesel fand er drei Voreinstellungen für erhöhte Ausstöße von Stickoxiden im Alltagsbetrieb: Bei kalten oder warmen Temperaturen, bei Geschwindigkeiten über 145 km/h und ab einer gewissen Traglast wurden die offiziell angegebenen Emissionswerte um ein Vielfaches überschritten. Ob das auch andere Hersteller so machen? „Es lässt sich durchaus ein Verdacht erhärten“, sagt Domke. Doch die Hersteller täten viel dafür, ihre manipulativen Möglichkeiten unter den Tisch zu kehren.

„Es ist den Herstellern lieb, dass das eine Blackbox bleibt, in die niemand tiefere Einblicke nimmt.“ Auch der Technische Überwachungsverein (Tüv) bekomme keinen Einblick in diese Blackbox – weil er sie nicht prüfen dürfe, wie Guido Rettig vor dem Ausschuss erklärt. Rettig war bis Ende 2016 zehn Jahre lang Vorstandschef beim Tüv Nord mit rund 13.000 Mitarbeitern.

Tüv ist „keine Hackerbude“

Zur Anhörung bringt er eine Justiziarin der Prüfbehörde mit. Vor dem Auffliegen des VW-Skandals im September 2015 habe er „keine Kenntnisse, keine Hinweise und auch keine Vermutungen“ über Abschalteinrichtungen gehabt, sagt Rettig. Einige Politiker bezweifeln dies: „Wir haben doch gerade einen Zeugen gehört, der technisch die Chance gehabt hat, Einblick zu nehmen“, wundert sich Carsten Müller (CDU) und will wissen, warum der Tüv nicht auf den Trichter gekommen sei.

Dr. Guido Rettig, Vorstandsvorsitzender der Tüv Nord Gruppe.
Dr. Guido Rettig, Vorstandsvorsitzender der Tüv Nord Gruppe. © WWW.SCHEFFEN.DE | HENNING SCHEFFEN PHOTOGRAPHY

„Weil wir – ich sage das jetzt mal salopp – keine Hackerbude sind“, entgegnet Rettig. Er hätte sich „gewünscht, Herr des Verfahrens zu sein“. Doch das sei er nun mal nicht. Bei Raffinessen, die derart weit über die Grundfunktionen von Bremse, Hupe und Licht hinausgingen, stehe der Tüv außen vor. Für Abschalteinrichtungen sei die Behörde nicht zuständig. Der Gesetzgeber wolle das so, denn: „Im technischen Regelwerk taucht das Stichwort Software nicht auf.

Umfassende Überprüfung wäre wünschenswert

Folglich haben wir heute keine Grundlage, diese zu prüfen – es sei denn auf Wunsch des Kunden.“ Rettig ist damit nicht glücklich, im Gegenteil: „Das besorgt mich.“ Wünschenswert wäre eine umfassende Überprüfung, sagt er. Jedes Auto sollte „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik“ getestet werden, „auch bei der Hauptuntersuchung“.

Gäbe es strengere Regeln, würden die selbstverständlich vom Tüv überwacht. Auch für das Kraftfahrt-Bundesamt sei ein Abgasbetrug vor dem VW-Skandal kein Thema gewesen, sagt der zuständige KBA-Referatsleiter Klaus Pietsch dem Ausschuss. So etwas habe niemand auf dem Schirm gehabt.

Emissionsstrategie müssen dokumentiert werden

Auch in den Produktbeschreibungen nach EU-Norm, die Hersteller für eine Typgenehmigung einreichen müssten, gebe es keinen Punkt, der Angaben zu solchen Abschalteinrichtungen fordere. Als Folge des Skandals müssen Hersteller heute ihre Emissionsstrategie dokumentieren. Zwischen 50 und 700 Seiten könnten es sein, die in jedem Einzelfall strukturiert und geprüft werden müssten, erläutert Pietsch.

Die amtliche Feststellung, dass die Abschalteinrichtungen bei VW illegal waren, ergebe sich allein aus technischen Schilderungen des Herstellers. „Es gab kein Eingeständnis“, bedauert Pietsch.