Bickenbach. Götz Rehn hat den Biomarkt erobert. Doch seit dem Streit mit dm sucht seine Firma nach einem Zukunftsplan. Ein Besuch bei ihm vor Ort.

Irgendwo zwischen Darmstadt und Bickenbach verlässt Alnatura-Chef Götz Rehn für einen Moment die Geduld. Rehn sitzt am Steuer seines BMW, Kombi, dunkler Lack, Diesel. Ein Paar Handschuhe und eine blaue Polo-Ralph-Lauren-Schildmütze hat er auf der Rückbank parat. Weil er am Straßenrand einen Blitzer ahnt, hebt er den Zeigefinger, droht: „Dieser Bösling!“ Nachdem er vorbeigefahren ist, drückt er das Gaspedal durch, der Motor heult auf, und der BMW rast den erlaubten hundert Stundenkilometern entgegen.

Darf der das – der Chef einer der größten Öko-Supermarktketten Deutschlands, Biopionier, bekennender Anthroposoph, und dann Diesel und Motorjaulen? Die Leute haben von ihm das Bild des menschgewordenen Müsliriegels im Kopf. In dem perfekt sitzenden Jackett, darunter Pullunder und Krawatte, wirkt der hochgewachsene, drahtige Rehn jedoch eher so, als wolle er das Gegenteil beweisen.

„Es geht nicht primär darum, Gewinn zu machen“

Grünen Klischees entspricht er nicht. Ist er Vegetarier? Nein. Trägt er Lederschuhe? Warum nicht. Nur Alkohol und Zigaretten meidet er. Ob er grün wählt? Dazu sagt er nichts. Kurz vor Darmstadt lenkt Rehn den BMW auf das Gelände einer ehemaligen US-Kaserne, wo die neue Unternehmenszentrale von Alnatura gebaut wird. Das Gebäude in Bickenbach ist längst zu klein geworden. Hier gibt es Hinweise darauf, was den 66-Jährigen wirklich antreibt.

450 Mitarbeiter sollen hier ab 2018 arbeiten. Außerdem entstehen ein Waldorfkindergarten und ein Öko-Restaurant. Ein Rohr, das im nahe gelegenen Wald endet, soll für Frischluft im Gebäude sorgen. Rehn ist „dankbar“, dass der Bau im vergangenen Sommer beginnen konnte, denn das Unternehmen hat die wohl schwerste Krise der Unternehmensgeschichte noch nicht ganz überwunden.

Drogeriemarkt dm hat eine eigene Biolinie entwickelt

Die Zukunft des Biohändlers ist unsicher, seit der Drogeriemarkt dm, früher einziger Vertriebskanal für Alnatura, vor etwa zwei Jahren begann, eine eigene Biolinie zu entwickeln und nach und nach die Alnatura-Produkte aussortierte.

Auf der Baustelle stampfen fünf Arbeiter eine schmierig-klebrige Lehmmasse zu großen rechteckigen Blöcken. Rehn grüßt jeden mit Vornamen. Die Wände des Gebäudes sollen ausschließlich aus dem Gemisch aus Sand und Ton bestehen. Und auch an den Innenwänden soll die blanke Erde rausgucken. Kein Verputz.

Lehm sorge schließlich für ein ideales Raumklima, schwärmt Rehn, es isoliere gut und könne recycelt werden. Rehns Hand streicht über die schwere, gelblich-braune Erde. Diese stamme aus der Baugrube von Stuttgart 21, erzählt der Unternehmer. Er hat sich den Lehm aus dem umstrittenen Großbauprojekt extra anliefern lassen. An der künftigen Alnatura-Zentrale lässt sich ablesen, wie Rehn das Unternehmen denkt.

Rehn setzte im vergangenen Jahr 762 Millionen Euro um

Es dient ihm als Beweis dafür, dass menschenfreundliches Wirtschaften funktionieren kann, so wie es Anthroposophen anstreben. Mit diesem anthroposophischen Geheimrezept führt Rehn mittlerweile 113 Filialen in 54 Städten und setzte im vergangenen Jahr 762 Millionen Euro um. Mit dem fränkischen Konkurrenten Dennree und seinen über 200 denn’s Biomärkten kämpft er um die Marktführerschaft in der Öko-Branche. Alnatura ist einer der ersten Öko-Händler, der Bioware auch zu erschwinglichen Preisen anbietet – und das nicht im Reformhaus-Umfeld, sondern in den konventionellen dm-Drogeriemärkten.

Bei vielen Produkten will Rehn über den EU-Biostandard hinausgehen und arbeitet etwa mit Biobauern zusammen, die etwa nach den Vorgaben des Anbauerverbandes Demeter arbeiteten. Natürlich muss sich auch Rehn den Spielregeln des freien Marktes fügen.

Der Alnatura-Chef aber lässt das mitunter harte Geschäftsleben gerne so aussehen, als sei es eine Art Tanzübung im Waldorfkindergarten. „Es geht nicht primär darum, Gewinn zu machen, sondern sinnvolle Produkte“, lautet einer der Sätze, mit denen er seine Unternehmensphilosophie beschreibt.

Lieber Unternehmer sein als ein Studienplatz in Medizin

„Die ganze Welt, bald acht Milliarden Menschen, könnten mit Produkten aus dem Biolandbau ernährt werden“, sagt Rehn. Eigentlich hätte Rehn Arzt werden sollen wie sein Vater und sein Großvater, erzählt er. Der Großvater nähte sogar als Erster am offenen Herzen von Patienten. Auch Rehn hatte schon seinen Studienplatz für Medizin sicher, als er feststellte, dass er die Welt als Unternehmer eher verbessern könne. „Ich bin Wirtschaftsarzt geworden“, fasst er seinen Werdegang zusammen.

Er studierte Volkswirtschaftslehre in Freiburg, wurde anschließend Produktmanager für Pralinen beim Nahrungsmittelkonzern Nestlé, wo er die Einführung des „Yes“-Schokotörtchens mitverantwortete.

In den Filialen gibt es keinen Betriebsrat

Eine reine Biospielwiese ist Rehns Unternehmen jedoch nicht. In Bremen setzten sich Mitarbeiter zum Beispiel dafür ein, einen Betriebsrat in der Alnatura-Filiale zu gründen – den gibt es bis heute nicht. Bei Alnatura gibt es bislang erst einen Betriebsrat in einer Freiburger Filiale. Alnatura teilt dazu mit, man habe zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsratswahl behindert.

Auch mit der Konkurrenz im Biomarktsegment hat Alnatura harte Auseinandersetzungen: Vor Gericht wird mittlerweile der Streit zwischen Rehn und seinem ehemaligen Geschäftspartner und Schwager, dm-Gründer Götz Werner, ausgefochten. Spricht man Rehn heute auf Werner an, dann seufzt er und bittet um ein Glas Wasser.

Drogeriemarkt dm muss Alnatura gewähren lassen

„Götz Werner habe ich in einem Seminar kennengelernt, das ich gegeben hatte“, erinnert sich Rehn. „Er fand meine Ideen interessant, ein Unternehmen sozialorganisch zu gestalten.“ Wie es zum Bruch kam, darüber gibt es verschiedene Sichtweisen. Dm hoffte wohl auf größere Margen durch eigene Produkte, spricht von überhöhten Rechnungen und forderte das Offenlegen von Einkaufspreisen. Rehn hingegen ärgerte sich, dass Werner eine eigene dm-Biomarke entwickelte und die Alnatura-Produkte nach und nach aus den Regalen verschwanden. Was zeitlich zuerst kam, ist nicht überliefert.

Rehn baute neue Vertriebskanäle auf, dagegen klagte der dm-Chef. Anfang Dezember errang Rehn einen wichtigen Sieg vor dem Darmstädter Landgericht. Dm darf Alnatura nicht den Zugang zu anderen Händlern versperren und muss zudem offene Rechnungen begleichen. Eine weitere Entscheidung steht Mitte des Jahres an. Dann wird in zweiter Instanz vor dem Frankfurter Oberlandesgericht der Streit um die Markenrechte an Alnatura geklärt, auf die Werner Ansprüche erhebt.

Zwölf neue Filialen sollen in diesem Jahr eröffnet werden

Mittlerweile haben die Supermarktkette Edeka und dm-Konkurrent Rossmann die Bioprodukte in die Regale genommen. Trotz Krise erwirtschaftete Rehn 2016 ein kleines Umsatzplus von 0,3 Prozent. „Die schwierige Situation ist noch nicht beendet, da wir Anfang 2016 noch große Mengen über dm verkauft haben“, sagt Rehn.

In diesem Jahr will Rehn zwölf neue Filialen eröffnen. Vor allem im Osten Deutschlands will der Wirtschaftsarzt viele neue Kunden mit Bioprodukten überzeugen.