Davos. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos mehren sich die Stimmen für bedingungslose Sozialleistungen. Doch auch die Kritiker melden sich.

1000 Euro Gehalt monatlich für jeden Bürger – ohne Voraussetzungen? Von „lächerlich“ bis „unbezahlbar“ reichen die Reaktionen aus der Politik. Das bedingungslose Grundeinkommen galt bisher meist als Illusion. Doch beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos gewinnt die Idee zunehmend Anhänger.

Mit Philip Jennings, Generalsekretär des internationalen Gewerkschaftsbundes UNI, äußerte sich jetzt auch ein führender Arbeitnehmervertreter zustimmend. „Wir sollten das bedingungslose Grundeinkommen in Erwägung ziehen“, sagte Jennings während einer Podiumsdiskussion des WEF.

Antwort auf die künftige digitale Arbeitswelt

UNI Global Union ist ein internationaler Dachverband von Gewerkschaften, der etwa 20 Millionen Beschäftigte vor allem im Dienstleistungssektor repräsentiert. Gewerkschafter lehnten bisher das Konzept meist ab, weil sie es für eine „Stilllegungsprämie“ halten. Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, hat sich kürzlich gegen das Grundeinkommen ausgesprochen, ebenso Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Verdi ist Mitglied bei UNI Global Union.

Jennings bezog sich unter anderem auf einen Versuch Finnlands mit der neuen Sozialleistung. Befürworter des Grundeinkommens in Deutschland stellen sich das Konzept wie folgt vor: Erwachsene erhalten zum Beispiel 1000 Euro pro Monat vom Staat, Kinder 500 Euro. Bedingungen wie heute bei Hartz IV sind daran nicht geknüpft.

Gegenvorschlag: Grundeinkommen als zinsloses Darlehen

In Davos wird das Grundeinkommen diskutiert, weil es eine sozialstaatliche Antwort auf die Veränderung der Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung darstellen könne. Ein Beispiel: Als „Human Cloud“ (menschliche Wolke) werden inzwischen Beschäftigte bezeichnet, die um ihre Arbeitgeber herum zirkulieren – die aber keinen festen Vertrag haben, nicht mal eine kontinuierliche Teilzeitanstellung, sondern für einzelne Projekte von wechselnden Auftraggebern verpflichtet werden.

In manchen großen Unternehmen würde heute schon ein Drittel des Personals aus solchen Selbstständigen bestehen, schreibt Peter Miscovich von der Immobilienberatung Jones Lang LaSalle. Im Jahr 2030 könnten es in einigen Branchen schon bis zu 80 Prozent der Beschäftigten sein.

„Eine Hilfe für prekär Beschäftigte und die unter Druck stehende Mittelklasse“ sei das Grundeinkommen, erklärte Guy Standing, Professor der Universität London, bei einer WEF-Podiumsdiskussion. Amitabh Kant, Entwicklungsexperte der indischen Regierung, warnte dagegen: „Man soll Geld nicht als Droge verabreichen.“ Er plädierte dafür, ein Grundeinkommen für beispielsweise drei Jahre als zinsloses Darlehen an arme Bürger auszuzahlen. Die Pflicht das Geld zurückzuzahlen könne die ökonomische Aktivität der Empfänger fördern.

Transferleistung könnte Briten jährlich 700 Milliarden Euro kosten

Neelie Kroes, Unternehmensberaterin und frühere EU-Kommissarin, stellte die Frage, wie die Transferleistung finanziert werde solle. In Großbritannien könnte sie etwa 700 Milliarden Euro pro Jahr kosten, etwa ein Viertel der Wirtschaftsleistung.

WEF-Chef Klaus Schwab hat sich bereits für das Grundeinkommen ausgesprochen: „Ich finde die Idee grundsätzlich plausibel“, sagte er im Interview mit dieser Redaktion. „Und ich glaube, dass die Diskussion darüber in zehn Jahren viel weiter sein wird als heute.“ In seinem Buch über die „vierte indus­trielle Revolution“ prognostiziert Schwab, dass viele der heutigen Arbeitsplätze durch künstliche Intelligenz und Roboter künftig gefährdet seien. Ob Steuerberater, Versicherungsfachleute oder Immobilienmakler – die neue Arbeitswelt mache auch vor Jobs der Mittelschicht nicht halt.