Berlin/Brüssel. Wegen des Abgasskandals in der Autoindustrie hat die EU-Kommission ein Verfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Worum geht es?

Der Schritt war länger erwartet worden, am Donnerstag hat die EU-Kommission offiziell ein Verfahren gegen Deutschland und sechs andere Länder eröffnet. Das Verfahren wirft einige Fragen auf.

Was sagt die Bundesregierung dazu?

Bislang hat das Bundesverkehrsministerium keine Stellung zu den Vorwürfen aus Brüssel bezogen. Generell verweist Minister Alexander Dobrindt (CSU) auf Brüssel und fordert schärfere EU-Regeln für die Abgasreinigung von Dieselautos, insbesondere für die Abschalteinrichtungen. Zulässig sollen sie nur noch sein, wenn es trotz „bester verfügbarer“ Motortechnologie keinen anderen Schutz für den Motor gibt.

Bei 22 getesteten Modellen unterschiedlicher Hersteller gibt es Zweifel, ob das Herunterregeln der Abgasreinigung mit dem Schutz der Motoren zu tun hat.
Bei 22 getesteten Modellen unterschiedlicher Hersteller gibt es Zweifel, ob das Herunterregeln der Abgasreinigung mit dem Schutz der Motoren zu tun hat. © dpa | Julian Stratenschulte

Seit 2007 sind Abschalteinrichtungen in Europa grundsätzlich verboten. In Ausnahmefällen darf die Software aber eingesetzt werden, etwa wenn sie „nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist“ oder sie nötig ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen. VW hat solche Software bei Millionen Autos eingesetzt, um Abgaswerte zu schönen, hält sie aber für vereinbar mit europäischem Recht.

Was passiert bei einem Vertragsverletzungsverfahren?

Die EU-Kommission ist die Hüterin des europäischen Rechts. Vermutet sie einen Verstoß, leitet sie ein mehrstufiges Verfahren ein. Zuerst sendet sie einen Brief in die jeweilige Hauptstadt und gibt der Regierung Gelegenheit zur Stellungnahme.

Wenn sich die Kommission und das Land nicht einigen, schreibt Brüssel einen zweiten Brief und stellt ein Ultimatum, um den vermuteten Missstand zu beheben. Als letztes Mittel sind auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof möglich. Dieser kann Zwangsgelder verhängen, falls er die Vorwürfe der EU-Kommission als berechtigt einstuft.

Warum geht die EU gegen Staaten vor – und nicht gegen Autobauer?

Verfahren wegen Verletzung europäischen Rechts richten sich immer gegen Staaten, nie gegen Unternehmen oder Privatpersonen. Denn nationale Regierungen müssen europäisches Recht einhalten. In der Autobranche etwa sind Behörden in den Mitgliedsstaaten für die Aufsicht zuständig und für die Zulassung von Fahrzeugtypen.

Wenn ein Auto nicht mit dem genehmigten Typ übereinstimmt – etwa, weil die Hersteller es manipuliert haben, um Abgaswerte zu schönen – dann müssen die Behörden handeln und gegebenenfalls die Genehmigung zurückziehen. Zudem sieht das EU-Recht Sanktionen vor, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen. Was das heißt, müssen die EU-Staaten festlegen.

Was ist in Deutschland seit Bekanntwerden des Skandals passiert?

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) fordert schärfere EU-Regeln für die Abgasreinigung von Dieselautos.
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) fordert schärfere EU-Regeln für die Abgasreinigung von Dieselautos. © dpa | Wolfgang Kumm

Im September 2015 setzte Dobrindt die „Untersuchungskommission Volkswagen“ ein, im April präsentierte er ihren Bericht. Demnach bestanden bei 22 getesteten Modellen unterschiedlicher Hersteller Zweifel, ob das Herunterregeln der Abgasreinigung mit dem Schutz der Motoren zu tun hat.

Es wurde ein Rückruf von insgesamt 630.000 Fahrzeugen von Audi, Mercedes, Opel, Porsche und VW beschlossen, um die Technik zur Abgasreinigung zu ändern. Außerdem muss bei 2,5 Millionen Autos von VW nachgebessert werden. Zudem hat das Kraftfahrtbundesamt aufgerüstet und Technik für Tests im normalen Straßenbetrieb angeschafft.

Was sagen die Kritiker des Verkehrsministers?

Umweltschützer und die Opposition werfen Dobrindt große Nähe zur Industrie vor, er verschleppe daher die Aufklärung und tue wenig für Kontrollen und Sanktionen. Ein Vertragsverletzungsverfahren hätte vor Jahren eingeleitet werden müssen, sagt Linke-Verkehrsexperte Herbert Behrens, der dem deutschen Abgas-Untersuchungsausschuss vorsitzt.

Auch die EU-Kommission habe lange geschwiegen und handele „scheinheilig“. Der Grünen-Obmann im Untersuchungsausschuss, Oliver Krischer, nennt Sanktionen der EU eine „logische Konsequenz“. Dobrindt bleibe der Öffentlichkeit die Antwort schuldig, mit welchen konkreten Maßnahmen er den Abgasskandal lückenlos aufklären will. (dpa)