Berlin. Bombardier Transportation setzt auf Digitalisierung – im Zug wie in der Planung. Der Wettbewerb ist hart, Jobs sind unsicher.

Wie sieht der Zug der Zukunft aus? Sind Lokführer bald überflüssig? Wie gefährlich werden die Chinesen den etablierten Bahntechnikkonzernen? Germar Wacker, Deutschland-Chef von Bombardier Transportation und im Konzern zuständig für Nahverkehrs- und Hochgeschwindigkeitszüge, und Michael Fohrer, verantwortlich im Konzern unter anderem für Lokomotiven und Service, geben Antworten.

Zuschlag für die Berliner S-Bahn, den Rhein-Ruhr-Express, Verträge mit dem Iran: Die Bahnsparte Ihres großen Konkurrenten Siemens hat gerade einen Lauf bei spektakulären Großaufträgen, scheint es. Auch die Halbjahreszahlen für Bombardier Transportation sahen nicht so gut aus. Umsatz geschrumpft, Gewinn vor Steuern praktisch halbiert. Was ist bei Ihnen los?

Germar Wacker: Unsere aktuelle Bilanz fällt solide aus. Der Auftragseingang hat sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fünf Prozent auf 2,1 Milliarden Euro erhöht. Zudem konnte der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Sondereffekten auf 6,3 Prozent verbessert werden. Der aktuelle Umsatzrückgang ist eine Momentaufnahme. Er hängt in erster Linie mit dem Transformationsprogramm zusammen, das wir derzeit umsetzen.

Michael Fohrer: Stichwort Aufträge: Hier konzentrieren wir uns, wie geplant, auf ausgewählte Ausschreibungen. Damit sind wir sehr erfolgreich. Neben wichtigen Service-Aufträgen in Niedersachsen und Österreich haben wir in diesem Jahr auch mehrere Fahrzeugaufträge gewonnen, zum Beispiel für Regionalzüge in Baden-Württemberg und Doppelstockwagen in Kanada. Zudem haben wir kürzlich einen Rahmenvertrag über mehr als 50 Lokomotiven abgeschlossen.

Wo rechnen Sie sich bei Großaufträgen gute Chancen aus?

Fohrer: Wir beteiligen uns weltweit an Ausschreibungen und rechnen uns überall gute Chancen aus. Ob Lokomotiven, Straßenbahnen, S- und U-Bahnen oder Regional- und Hochgeschwindigkeitszüge – wir sind mit unseren gleichermaßen bewährten wie innovativen Fahrzeugen überall konkurrenzfähig. Auch für unser umfangreiches Service-Geschäft sehen wir große Marktchancen.

Welche Märkte in Europa sind die wichtigsten?

Wacker: Deutschland ist einer der bedeutendsten Märkte in Europa. Gleiches gilt für Frankreich, Großbritannien und die skandinavischen Länder. Aber auch kleinere Länder wie Österreich und die Schweiz haben einen hohen Stellenwert. Zudem sind die Türkei und Israel attraktive Bahnmärkte.

Und welche die schwierigsten? Und warum?

Fohrer: Alle Märkte sind gleichermaßen anspruchsvoll, und jeder Markt hat seine individuellen Besonderheiten, auf die wir aufgrund unserer globalen Präsenz jederzeit reagieren können.

Welche Bedeutung haben die chinesischen Bahnbauer im Wettbewerb in Europa?

Fohrer: Die chinesischen Bahnbauer intensivieren ihr Exportgeschäft und sind global auf dem Markt vertreten – mit einer Ausnahme: Europa. Europa ist aber nach wie vor der größte und attraktivste Eisenbahn-Markt der Welt. Entsprechend groß ist das Interesse der chinesischen Konkurrenz, hier Fuß zu fassen. Es steht außer Frage, dass dies den ohnehin schon intensiven Wettbewerb um europäische Aufträge weiter verschärfen würde.

In Deutschland gehen viele Länder und Kommunen dazu über, nicht nur Züge zu kaufen, sondern auch gleich die Wartung im Paket mit auszuschreiben. Fluch oder eher Segen?

Fohrer: Die Kombination von Fahrzeugkauf und Wartung ist das Modell der Zukunft, übrigens nicht nur in Deutschland. Die Vorteile für die Betreiber liegen auf der Hand: maximale Flottenverfügbarkeit und Budgetsicherheit bei Wartung und Instandhaltung. Und das über die gesamte Lebensdauer der Fahrzeuge von etwa 30 Jahren hinweg. Aktuell beträgt der Anteil unseres Service-Geschäfts am Gesamtumsatz etwa 20 Prozent. Diesen Anteil werden wir weiter ausbauen. Dafür sind alle wichtigen Voraussetzungen gegeben: innovative Produktplattformkonzepte, ein flexibles und kundengerechtes Angebot an Full-Service-Leistungen sowie eine moderne internationale Service-Infrastruktur und gut ausgebildete Fachleute.

Welche Forderungen haben Sie an die deutsche Politik?

Wacker: Die Politik sollte aktiv daran mitwirken, die Voraussetzungen für eine langfristige Zukunft der Eisenbahnindustrie in Deutschland zu schaffen. Dazu zählt, den Transfer von der Straße auf die Schiene weiter voranzutreiben. Dazu zählt auch, sich auf internationaler Ebene in den entsprechenden Foren für weltweit faire Marktzugangschancen stark zu machen. Zudem kann die Politik mit Investitionen in das System Schiene und gezielter Innovationsförderung einen wichtigen Beitrag für die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit der Bahnbranche leisten.

Der Bombardier-Konzern hat sich wegen der Probleme in der Flugzeugsparte ein Sparprogramm verordnet, das auch Sie als größten Bahnkonzern der Welt außerhalb Chinas trifft. Wie weit sind Sie damit? Wie viele Stellen fallen insgesamt weg?

Wacker: Bombardier setzt, wie erwähnt, in Deutschland ein global angelegtes Transformationsprogramm um. Wir wollen effizienter werden, standardisieren deshalb unter anderem unsere Arbeitsprozesse und prüfen parallel weitere Möglichkeiten der Effizienzsteigerung. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der Spezialisierung unserer Standorte. Das Transformationsprogramm umfasst auch Personalanpassungen, die wir sozialverträglich umsetzen. In Deutschland stehen rund 1.400 Stellen zur Disposition, weit über die Hälfte entfällt auf Leiharbeitnehmer. Mit den genannten Maßnahmen sorgen wir für eine nachhaltige internationale Wettbewerbsfähigkeit von Bombardier in Deutschland.

Wird es weiteren Stellenabbau geben?

Wacker: Der weltweite Markt für Bahntechnik ist extrem dynamisch geworden. Entsprechend gibt es für die Unternehmen kaum Auftrags- und Planungssicherheit. Vor diesem Hintergrund können wir die Frage weder mit Nein noch mit Ja beantworten. Uneingeschränkte Arbeitsplatzgarantien wären unseriös. Ein Unternehmen muss die Möglichkeit haben, sich flexibel den wechselnden Anforderungen des Marktes anzupassen.

Ihr größtes europäisches Werk in Hennigsdorf ist stark von der Restrukturierung betroffen. Wie stellen Sie den Standort auf?

Wacker: Spezialisierung ist eine wesentliche Komponente für die Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Standorte im internationalen Vergleich. Die Kompetenzen des Standorts Hennigsdorf liegen vor allem im Bereich Fahrzeugkonstruktion und -entwicklung für Hochgeschwindigkeits- und Regionalzüge sowie Metros. Mit dieser Kompetenz wird Hennigsdorf eine zentrale Rolle im internationalen Standortverbund des Konzerns spielen.

Wie ist der Standort Siegen betroffen?

Wacker: Siegen ist das Kompetenzzentrum für Drehgestelle im Konzern. In der nationalen Gesamtbetrachtung fällt die personelle Anpassung am Standort Siegen vergleichsweise gering aus, sie liegt knapp im zweistelligen Bereich. Darüber hinaus gibt es am Standort Siegen keine maßgeblichen Veränderungen.

Braunschweig sorgt sich mit seinen rund 150 Mitarbeitern darum, möglicherweise in naher Zukunft abgewickelt zu werden. Was ist dran? Und wie stellen Sie den Standort auf?

Wacker: Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns an Spekulationen über Standorte nicht beteiligen. Der Standort Braunschweig ist innerhalb Deutschlands unser Kompetenzzentrum für Bahnsteuerungssysteme – und in dieser Funktion gut aufgestellt.

Nach der Strategie zu neuen Produkten. Welche großen Trends sehen Sie?

Fohrer: Digitalisierung ist ein wichtiger Trend. Hier stehen das autonome Fahren, integrierte Wartungstechnologien sowie individualisierte Passagierinformationen und das Thema Cyber Security im Vordergrund. Auch integrierte Mobilitätslösungen weisen den Weg in die Zukunft. Dabei spielt der Vernetzungsgedanke, also die unkomplizierte Kombinierbarkeit unterschiedlicher Verkehrsmittel, die entscheidende Rolle: Wie komme ich am schnellsten und bequemsten von Tür zu Tür? Ein dritter Trend sind innovative Technologien für mehr nachhaltige Mobilität. Ob energiesparende Antriebssysteme, batteriebetriebene Züge oder recycelbare Materialien – das Thema Nachhaltigkeit schiebt wichtige Innovationen an.

Ein Zug ist ja aus Sicht vieler Bahnfahrer doch eher ein sehr bodenständig-klassisches Produkt. Langer Kasten mit Rädern als Waggon, dazu ein Elektro- oder Dieselmotor auf Rädern mit Kabine und Lokführer, fertig. Inwieweit spielt die Digitalisierung bei Ihnen eine Rolle?

Wacker: Ein modernes Schienenfahrzeug ist definitiv mehr Hightech-Produkt als Stahlross. Informationssysteme für Passagiere, Leit- und Steuerungstechnik für den sicheren und zuverlässigen Betrieb, Kameraeinsatz und sensorische Türöffner sind nur einige Beispiele für die Nutzung digitaler Technologien. Auch bei der Entwicklung der Fahrzeuge spielt die Digitalisierung eine große Rolle. Bei Bombardier entstehen neue Züge am Computer und können in einem virtuellen Studio in Originalgröße betrachtet und dabei Stück für Stück gemeinsam mit dem Kunden weiterentwickelt werden.

Fahrtreppen und Aufzüge melden zum Beispiel dank eingebauter Chips, dass sie möglicherweise bald ausfallen könnten, so dass bereits vorher der Service eingreifen kann. Ähnliches gibt es für Flugzeugtriebwerke, deren Laufdaten in Echtzeit überwacht werden und die bei Verdacht auf Probleme praktisch selbstständig das Ersatzteil zum Zielort des Fluges ordern. Ist so etwas auch für Züge geplant?

Fohrer: Wir setzen solche Systeme bereits seit mehreren Jahren erfolgreich unter dem Begriff „Advanced Train“ ein, beispielsweise in Südafrika bei der Gautrain Flotte und in Shanghai bei der U-Bahn Flotte. Unser innovatives Instandhaltungsmanagementsystem ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Service-Angebots. Wir können Daten über den Zustand des Zuges sowohl im Fahrzeug selbst als auch über externe Sensoren auf der Strecke sammeln. Eine intelligente Big-Data-Software wandelt die Daten dann in Wartungsempfehlungen um. Ziel ist, dass ein Element erst dann ausgetauscht wird, wenn der reale Zustand es verlangt. Das ist das Prinzip der zustandsabhängigen Wartung.

Welche Trends sehen Sie in den kommenden fünf oder zehn Jahren, auf die sich Bahnkunden freuen können?

Fohrer: Die Fahrzeuge werden noch sicherer, komfortabler, leiser, energieeffizienter und zuverlässiger. Zudem werden Umfang, Qualität und die Individualisierbarkeit von Passagierinformationen weiter steigen. Auch die Barrierefreiheit in den Zügen wird kontinuierlich weiter verbessert. Das elektronische Ticket wird seinen Siegeszug weiter fortsetzen und Stück für Stück die vernetzte Mobilität mit verschiedenen Verkehrsmitteln vereinfachen.

Deutsche-Bahn-Chef Rüdiger Grube hat kürzlich vom autonomen Fahren auf der Schiene gesprochen. Wie weit sind Sie da bei Bombardier?

Wacker: Bombardier bietet seit 45 Jahren automatisierte fahrerlose Transportsysteme an. Mehr als 50 dieser Transportsysteme sind weltweit im Einsatz und befördern insgesamt rund 1,7 Milliarden Passagiere pro Jahr. Unsere Erfahrungen zeigen, dass fahrerlose Systeme zum Beispiel durch geringeren Energieverbrauch und kürzere Taktzeiten wesentlich zu einem effizienten und nachhaltigen Transport beitragen. Erst kürzlich ging am Flughafen München unser neuestes derartiges Transportsystem in Betrieb. Zudem ist in Singapur seit Jahren eine automatisierte U-Bahn von uns im Einsatz. Die neueste Generation unserer autonomen Metros liefern wir derzeit nach Vancouver und Kuala Lumpur aus.