Washington. Mit rund 15 Milliarden Dollar Entschädigung will VW den Diesel-Skandal ohne Prozess regeln. Das geht nun aus Gerichtsunterlagen hervor.

Die Tabakindustrie in Amerika musste Ende der 90er Jahre als Kompensation für die große Lüge vom ungefährlichen Nikotin knapp 250 Milliarden Dollar hinblättern. Für die Öl-Katastrophe im Golf vom Mexiko dürfte der BP-Konzern bis heute an die 50 Milliarden Dollar bezahlt haben. An dritter Stelle der großen Verbraucherschutzklagen in den USA rangiert seit Dienstag Volkswagen. Der Betrugsskandal bei Diesel-Abgasen reißt ein mindestes 15 Milliarden Dollar großes Loch in die Kasse des Wolfsburger Konzerns, der nach den Worten des US-Justizministeriums „mehr als eine halbe Million Amerikaner zu unwissenden Komplizen eines beispiellosen Anschlags auf die Umwelt unseres Landes gemacht hat“. Noch nie wurde in der Autobranche in den USA mehr Strafgeld gezahlt. Aber der Schaden könnte noch größer werden. Die wichtigsten Details im Überblick:

Was wird gezahlt?

Die Halter von rund 480.000 Zwei-Liter-Diesel-Autos in den USA haben ab Herbst die Wahl: Entweder VW kauft ihre Wagen zurück. Und zwar zum Marktwert vor Bekanntwerden des Skandals am 18. September 2015. Seither ist der Durchschnittswert für einen VW-Diesel nach Berechnungen des Auto-Dienstleisters Kelley Blue Book um fast 20 Prozent gefallen.

Alternative: Der Konzern trimmt die Motoren auf eigene Kosten gesetzkonform, was laut Experten mit verminderter Leistung und höherem Verbrauch einhergehen könnte. Und: Derzeit gibt es noch kein von den US-Behörden genehmigtes Reparaturkonzept. So oder so erhalten die Besitzer eine individuelle Wiedergutmachung, die je nach Baujahr und Modell zwischen 5000 und 10.000 Dollar rangieren wird.

Außerdem verpflichtet sich VW, rund 2,7 Milliarden Dollar in einen Fonds der US-Umweltbehörde EPA einzuzahlen, von dem alle Bundesstaaten profitieren sollen. Damit soll der teilweise bis zu 40 Mal höher als erlaubte Stickstoffoxid-Ausstoß kompensiert werden. Wie? Etwa durch mehr „saubere Schulbusse für unsere Kinder“, sagte EPA-Chefin Gina McCarthy.

Investition in E-Mobilität

VW hatte im September 2015 nach monatelangen Täuschungsmanövern eingestanden, dass in den Dieselmotoren der Baujahre 2009 bis 2015 eine spezielle Software eingebaut ist. Sie sorgt dafür, dass der Abgas-Ausstoß auf der Straße dramatisch höher ist als im Testbetrieb.

Neben den genannten Strafzahlungen investiert VW in den USA rund zwei Milliarden Dollar in umweltfreundliche Elektromobilität, etwa Ladestationen. Insgesamt beläuft sich das Paket, zu dem insgesamt auch noch rund 600 Millionen Dollar für einzelne Bundesstaaten kommen, auf rund 15 Milliarden Dollar (knapp 13,5 Milliarden Euro).

VW-Finanzchef Frank Witter sieht in dem US-Vergleich eine „sehr erhebliche Bürde für unser Geschäft“.
VW-Finanzchef Frank Witter sieht in dem US-Vergleich eine „sehr erhebliche Bürde für unser Geschäft“. © imago/Susanne Hübner | imago stock&people

Die massive Steigerung gegenüber dem vor wenigen Tagen genannten Finanzvolumen von zehn Milliarden Dollar ergibt sich nach Informationen unserer Redaktion aus Nachforderungen der US-Behörden und der juristischen Vertreter der 800 Sammelklagen, die gegen VW in San Francisco gebündelt sind.

VW hat bis Juni 2019 Zeit, mindestens 85 Prozent der manipulierten Wagen zu reparieren oder den Besitzern abzukaufen. Wird die Zielmarke verfehlt, muss der Konzern bei den Strafzahlungen nachschießen.

Bei einem Großauftritt vor den Medien feierten die zuständigen US-Behörden den VW abgetrotzten Vergleich am Dienstag als in Höhe und Umfang „historisch“ und erhoffen sich abschreckende Wirkung. Tenor: Wer gegen unsere Umweltgesetze verstößt, muss mit harten Strafen rechnen.

Ist VW damit aus dem Schneider?

Noch lange nicht. Der zuständige Richter Charles Breyer, der am Dienstag das über Monate unter Federführung des früheren FBI-Chefs Robert Mueller zusammengesetzte Verhandlungspaket in Empfang nahm, will sich mit der Bewertung aller Details bis zum 26. Juli Zeit lassen. Sollte er die vorläufige Genehmigung erteilen, beginnt eine 45-tägige Einspruchsfrist. Während dieser Zeit können Autobesitzer, Behörden, VW und die Öffentlichkeit Nachjustierungen vornehmen. Ein vorläufiger Schlusspunkt ist laut Juristen, die am Verfahren beteiligt sind, nicht vor Oktober zu erwarten.

Die Chancen auf Einigung stehen aber nicht schlecht. Elisabeth Cabraser, Leiterin des Anwälte-Teams, das die Sammelklagen in Kalifornien vertritt, sprach am Dienstag von einer „historischen Vereinbarung“. Der Deal ziehe VW heran für den „Betrug am Vertrauen der Konsumenten“ und zur Beseitigung des Umweltschadens. Dass für Hunderttausende Kunden so „zügig Erleichterung“ geschaffen werden konnte, sagte Cabraser, sei „ohne Beispiel“. Kunden in den USA können im Internet unter www.VWCourtSettlement.com erfahren, ob ihr Fahrzeug anspruchsberechtigt ist.

Wichtig: Die strafrechtlichen Ermittlungen, darauf legte das US-Justizministerium am Dienstag gesteigerten Wert, gegen „verschiedene Leute“ in „verschiedenen Firmen“, die für Bau und Einsatz der Betrugssoftware in den Diesel-Motoren verantwortlich gemacht werden könnten, laufen noch. Ende offen.

Ist der finanzielle Schaden für VW mit dem 15 Milliarden-Brocken endgültig eingegrenzt?

Das ist die große Frage. Es war zwar von Anfang an klar, dass aufgrund der besonderen Gesetzgebung der Löwenanteil für den Betrug in den USA zu berappen sein wird. Aber weil weltweit insgesamt über elf Millionen Fahrzeuge betroffen sind, muss der Konzern gerade jetzt, wo eine Lösung in den USA vor dem Abschluss steht, auch mit ähnlichen Forderungen aus anderen Ländern rechnen.

In Europa stellen sich Dutzende Anwälte auf den Standpunkt, dass Kunden dort keinesfalls schlechtergestellt werden dürfen als in Amerika. Sie fordern darum, unterstützt unter anderem von EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska, einen pauschalen Schadensersatz, der sich im Prinzip an den Summen in den USA orientiert.

Allein vor dem Landgericht Braunschweig laufen derzeit Klagen von fast 300 Aktionären, die über drei Milliarden Euro Entschädigung verlangen. Bei diesem Szenario rechnen Analysten mit einer Kostenlawine von bis zu 30 Milliarden Euro, die auf VW zurollen und den Konzern möglicherweise in existenzielle Probleme stürzen könnte.

Bisher hat VW Rückstellungen von rund 16 Milliarden Euro für die Kosten der Dieselaffäre gebildet. Es sieht danach aus, dass dieser Betrag für die USA ausreicht, nicht aber im globalen Maßstab. VW-Finanzchef Frank Witter sieht in dem US-Vergleich schon heute eine „sehr erhebliche Bürde für unser Geschäft“.

Gibt es weitere Ungewissheiten?

Jede Menge. Ungeklärt ist nach wie vor, ob Volkswagen für ebenfalls unter Manipulationsverdacht stehende Autos mit Drei-Liter-Diesel-Motoren auch einspringen muss – und mit wie viel. Betroffen sind in den USA knapp 85.000 Autos der Typen VW Touareg, Audi Q7 und Porsche Cayenne. VW streitet hier Unregelmäßigkeiten ab. Die Untersuchungen laufen noch.

Generell gilt als Problem: Nur in einzelnen Bundesstaaten wie etwa Kalifornien können VW-Besitzer aufgrund der strengen Umweltgesetze gezwungen werden, ihre Diesel-Autos nachrüsten zu lassen. Im Falle einer Weigerung kann das Fahrzeug stillgelegt werden. In weiten Teilen der USA gibt es diese rechtliche Handhabe nicht. VW-Kunden könnten die Entschädigungszahlung mitnehmen, fürchten Umweltschützer, der viel zu hohe Schadstoffausstoß bliebe unverändert.

Ein dickes Fragezeichen steht auch noch hinter Schadensersatzklagen von internationalen Investoren, die sich durch den Kursverlust der VW-Aktien im Zuge der Dieselaffäre geprellt sehen. Was sie tun, ist durch den Deal in Amerika nicht abgedeckt.