Stockholm. In keinem anderen Land ist der Übergang vom Bargeld zu anderen Zahlungsformen so weit wie in Schweden. Die Banken verdienen daran.

Derzeit bringt die schwedische Reichsbank neue Geldscheine in den Umlauf. Aus dem neuen 20 Kronenschein blickt Astrid Lindgren, aus einem anderen der Regisseur Ingmar Bergman. Doch die Scheinchen dürften viel seltener von Hand zu Hand gehen, als ihre Vorgänger. Denn keine europäische Nation scheint in Sachen Bargeld so praktisch veranlagt zu sein wie die Schweden. Bereits 1661 führte das Königreich als erstes Land in Europa Papiergeld ein. Das war damals eine Revolution, weil Postkutschen plötzlich 50 Mal mehr Geld transportieren, als noch mit den schweren Gold- und Silbermünzen. Nun ist das Bargeld selbst dabei auszusterben – und teilweise auch schon die Plastikkarte.

Buchstäblich überall wird ohne Bargeld bezahlt. Selbst am Kiosk, beim Physiotherapeuten, den Garderoben von angesagten, halbillegalen Nachtklubs, in der Kirche und auf dem Flohmarkt werden schon Kleinstwaren mit der Karte erworben. „iZettle“ heißt eines der neuen, stark verbreiteten schwedischen Bezahlsysteme. Eine kleine schwarze Box, mit Minidisplay und Passwortknöpfen, in die die Kreditkarte geschoben wird, wird per Kabel oder auch kabellos an das Handy oder die Leseplatte angeschlossen. Selbst Minisummen werden so per Karte bezahlt. Auch privater Zahlungsverkehr zwischen Freunden geschieht kaum noch in Bar.

„Ich swishe dir dann die 150 Kronen“, hört man oft im Restaurant, wenn es um die Aufteilung der Rechnung zwischen Bekannten geht. „Swish“, so heißt die zweite populäre schwedische Bezahl-App, die inzwischen alle jüngeren Schweden haben. Da wird dann nur noch per SMS über die an das Girokonten angeschlossenen Handynummer und ganz ohne Plastikkarte bezahlt.

Nur noch jeder fünfte Einkauf mit Bargeld

In Schweden wird schon heute nur noch jeder fünfte Einkauf Bar getätigt, in Deutschland jeder Zweite, obwohl die Altersstruktur im Lande vergleichbar ist. Zwischen 2030 und 2045 soll Bargeld in Schweden fast völlig ausgestorben sein, so realistische Prognosen.

Sowohl Banken als auch Gewerkschaften haben die Entwicklung in Eigenregie vorangepeitscht. Die Banken kooperieren beim Zahlungsverkehr trotz Konkurrenzsituation sehr eng miteinander. Aus rund der Hälfte der etwa 1800 Filialen der schwedische Bankenverbandes wurde das Bargeld entfernt. Auch Geldautomaten gibt es seit 2011 immer weniger. Tendenz steigend.

Das wichtigste Argument für bargeldlos: die Sicherheit. Der bargeldlose Einkauf soll Raubüberfälle verhindern. Gewerkschaften machten immer wieder auf die Arbeitssicherheit aufmerksam. So gab es seit den 90er Jahren erstaunlich viele Raubüberfälle auf Geldtransporter. Streiks der erbosten Wachmannschaften führten danach dazu, dass viele Geldautomaten zeitweise leer waren. Zahlreiche Überfälle auf Bankfilialen in Schweden führten dazu, dass auch die Bankgewerkschaften bargeldlose Banken forderten. Schließlich folgten die Busfahrer: Nach Überfällen auf Stockholmer Busfahrer ließen sie ihre Gäste tagelang umsonst fahren, bis die kommunalen Arbeitgeber Bargeldtickets durch SMS-Tickets ersetzten. Leif Karlsson ist der bekannteste Bekämpfer des Bargelds in Schweden. „Wo es kein Bargeld gibt, gibt es keine Raubüberfälle. Unsere Angestellten müssen sich sicherer fühlen können. Die Einzigen, die Bargeld brauchen, sind Verbrecher und deine Oma“, wiederholt der Vertreter der Bankgewerkschaft gern. Auch Abba Star Björn Ulvaeus macht erfolgreich Stimmung gegen das Bargeld: „Mir leuchtet nicht ein, warum wir noch weiter Geldscheine drucken sollten“.

Als Bürger sind die Schweden bereits gläsern

Es gibt mehrere Gründe, warum das bargeldose Zahlen in Schweden so erfolgreich ist. Das Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zahlungsfähigkeit der Bürger ist groß. Das Land ist sehr groß aber nur dünn besiedelt, die Transportabstände sind groß.

Das Internet und andere technische Erfindungen haben sich auch deshalb schneller als in anderen Ländern ausgebreitet. Dass bargeldlose Zahlungen nicht anonym sind, wird im Gegensatz zu Deutschland kaum als Problem betrachtet. In Schweden sind die Bürger bereits gläsern. Steuererklärungen sind öffentlich einsehbar, so wie so ziemlich alles andere. Angst vor Einsicht in den persönlichen Daten durch den Staat und das Marketing von Unternehmen gibt es kaum. Die Schweden sind in einem vertrauenswürdigen Wohlfahrtstaat aufgewachsen. Der gab den Bürgern stets viele Annehmlichkeiten, forderte aber im Gegenzug weitgehende Einsicht in deren Privatleben. Böse Erinnerungen an Diktaturen gibt es nicht.

Aber was ist mit den Omas?

Dennoch gibt es auch Kritik. Was ist etwa mit den Omas? Die Banken müssten weiterhin Bargeld hantieren. Das sei eine ihrer Kernaufgaben, kritisierte der Reichsbankschef Stefan Ingves kürzlich. Auch die rot-grüne Regierung prüft derzeit, ob ein entsprechendes Gesetz erlassen werden kann.

Der Übergang zur bargeldlosen Gesellschaft verlaufe zu schnell und der Eigennutz der Banken werde da zu wenig hinterfragt, hieß es gar von der bürgerlichen Tageszeitung SVD.

Obwohl die Banken dank dem bargeldlosen Verkehr viel Geld sparen, zahlten die Endverbraucher sich dumm und dämlich. Sie zahlten widersinnige Kontoführungsgebühren für das fast zinslose Ausleihen ihres Geldes an die Bank. Von diesem Kontogeld stehe den Banken viel mehr für eigene Profitgeschäfte zur Verfügung, als früher, wo Bankkunden einen größeren Teil Bargeld zuhause lagerten und nicht im Konto. Hinzu kämen die vielen unplausiblen Gebühren für den Bargeldlosen Verkehr. Die Bank erhält neben der Kartengebühr für jeden mit Karte getätigten Kauf Geld. Auch über die neuen Zahlsysteme werden Gebühren erhoben. Zudem wälzt auch der Handel seine Kartentransaktionsgebühren per Preiserhöhung an Konsumenten ab. Letztlich würden die Verbraucher von allen Ecken abgezockt, schreibt die konservative Zeitung und schließt ihre Kritik mit dem bekannten Zitat zu den Banken von Berthold Brecht.