Berlin. Hunderte Seiten der geheimen TTIP-Dokumente sind öffentlich: Sie zeigen den Druck, den die USA bei den Gesprächen auf die EU ausüben.

Die bislang streng geheim gehaltene Verhandlungsunterlagen zum transatlantischen Handelsabkommen TTIP sind nun für jedermann einsehbar: Greenpeace hat einen Teil der Dokumente bei der Internetkonferenz Re:publica am Montag vorgestellt und sie auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Laut Greenpeace würden die Dokumente viele Befürchtungen von Verbraucherschützern bestätigen, der Bundesverband der Verbraucherzentralen äußerte sich bereits ähnlich. Vor dem Brandenburger Tor in Berlin hat die Umweltschutzorganisation einen Leseraum eingerichtet, in dem Bürger die Dokumente einsehen können. Die Aktivsten spielen damit auf den Leseraum des Bundestages an, dem einzigen Ort, in dem Abgeordnete die Unterlagen einsehen dürfen.

Mit einem großflächigen Plakat mit der Aufschrift „TTIP is hope“ und den Porträts von Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und dem amerikanischen Präsidenten Obama warb der Verband der Metallindustriellen Niedersachsens e.V. in Hannover gerade zum Obama-Besuch für das Abkommen.
Mit einem großflächigen Plakat mit der Aufschrift „TTIP is hope“ und den Porträts von Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und dem amerikanischen Präsidenten Obama warb der Verband der Metallindustriellen Niedersachsens e.V. in Hannover gerade zum Obama-Besuch für das Abkommen. © dpa | Holger Hollemann

Die Tagesschau, die über den Rechercheverbund WDR, NDR und „Süddeutsche Zeitung“ vorab Einblick in eine Abschrift hatte, berichtet, die Papiere zeigten, dass die USA die EU mit möglichen Folgen für europäische Standards im Verbraucher- und Umweltschutz erheblich unter Druck setzten.

Laut den Unterlagen droht Washington damit, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu erreichen, dass die EU mehr US-Agrarprodukte abnimmt, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ aus den Unterlagen. Die Dokumente offenbaren den Angaben zufolge zudem, dass sich die USA dem dringenden europäischen Wunsch verweigern, die umstrittenen privaten Schiedsgerichte für Konzernklagen durch ein öffentliches Modell zu ersetzen. Sie haben stattdessen einen eigenen Vorschlag gemacht, der bisher unbekannt war.

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240 Seiten Unterlagen sollen aktuellen Stand spiegeln

Bei den Unterlagen handelt es sich um 248 Seiten, die den Verhandlungsstand vor der jüngsten Runde widerspiegelten. In weiten Teilen hat sich der Text aber wohl nicht verändert. Mehrere mit den Verhandlungen vertraute Personen bestätigten den Medien, dass es sich bei den vorliegenden Dokumenten um aktuelle Papiere handelt. Greenpeace ist nach eigenen Angaben im Besitz der Originale.

Greenpeace twitterte die Ankündigung der Enthüllung mit einem apokalyptischen Bild, was das Abkommen bedeute:

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Klaus Müller, Vorsitzender des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, sagte der Tagesschau: „Es bestätigen sich in den Texten bisher so ziemlich alle unserer Befürchtungen bezogen auf das, was die US-Amerikaner bei TTIP in Bezug auf den Lebensmittelmarkt erreichen wollen.“

Greenpeace: Europa drohen durch TTIP schlechtere Umweltstandards

Greenpeace kritisierte, dass Europa durch das Handelsabkommen deutlich schwächere Umweltstandards drohten. Laut Jürgen Knirsch, Experte für Handel bei Greenpeace, drohe mit TTIP in Europa die Einführung des in den USA angewandten Risikoprinzips. Das bedeute: Es dürfe alles zugelassen werden – es sei denn, die Schädlichkeit eines Produkts sei eindeutig bewiesen. Vor allem in den Gentechnik spielt das eine große Rolle. In Europa gilt bisher das Vorsorgeprinzip: Selbst wenn mögliche negative Folgen noch nicht sicher bewiesen sind, werden Produkte nicht zugelassen, um das Risiko zu vermeiden. Die EU-Kommission hatte die Anwendung des Vorsorgeprinzips bisher „ein wesentliches Element ihrer Politik“ genannt.

Stefan Krug, Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace in Deutschland, sieht auch Signale, dass die EU-Kommission nicht am Vorsorgeprinzip in seiner heutigen Form festhalten würde. „Ein Kompromiss kann nur in einer Abschwächung bestehen, und es deutet vieles darauf hin, dass es in der Kommission Vertreter gibt, die von der Vorsorgeregelubg nicht mehr überzeugt sind. Das ist peinlich für die Kommission“, sagte Krug unserer Redaktion. Während das amerikanische Prinzip in den Papieren ganz oft erscheine, werde das Vorsorgeprinzip in den Positionen der EU nicht einmal erwähnt.

„Was bislang aus diesen Geheimverhandlungen an die Öffentlichkeit drang, klang wie ein Albtraum. Jetzt wissen wir, daraus könnte sehr bald Realität werden“, sagt Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch.

Erster ungefilterter Einblick für Bürger

Mit der Veröffentlichung der TTIP-Unterlagen erhalten die Bürger erstmals ungefiltert Einblick in die Verhandlungen zwischen USA und Europa. Seit Beginn der Gespräche vor knapp drei Jahren ist die Öffentlichkeit vor allem auf Vermutungen angewiesen, worüber beide Seiten wirklich reden. Auch deshalb wachse der Widerstand gegen TTIP. Während die EU ihre Vorschläge veröffentlicht, beharren die USA auf Geheimhaltung ihrer Positionen.

US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten bei ihrem Treffen in Hannover am Sonntag vergangener Woche zur Eile bei den TTIP-Verhandlungen gemahnt. Merkel betonte, das Freihandelsabkommen sei aus europäischer Perspektive sehr wichtig für das Wirtschaftswachstum in Europa. Obama brachte zwar seine Hoffnung zum Ausdruck, bis Anfang 2017 die Verhandlungen zu beenden. Er ging aber nicht von einer Ratifizierung des Abkommens aus. Das liege auch am US-Wahlkampf. Einen Tag vor dem Besuch Obamas hatten in Hannover Zehntausende gegen TTIP demonstriert.

Merkel sieht große Chancen in TTIP

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) pocht auch nach den „TTIP Leaks“ unverändert auf einen raschen Erfolg der Verhandlungen zwischen EU und USA. „Wir halten den zügigen Abschluss eines ehrgeizigen Abkommens für sehr wichtig“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Dies sei „einhellige Meinung“ der gesamten Regierung. Die Kanzlerin habe ihre Position bereits beim jüngsten Besuch von US-Präsident Barack Obama bei der Hannover Messe deutlich gemacht.

Das Handelsabkommen TTIP sei eine große Chance, die Globalisierung zu gestalten. Die Exportnation Deutschland sei wie kaum eine andere Volkswirtschaft auf einen freien Welthandel angewiesen. Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hänge davon ab, erläuterte Seibert. Grundsätzlich fügte er zu den in den „TTIP Leaks“ dokumentierten US-Forderungen an: „Verhandlungspositionen sind keine Verhandlungsergebnisse.“ Es sei normal, dass beide Seiten ihre Interessen durchsetzen wollten. Deutschland werde keine Absenkung von Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutz-Standards akzeptieren. (law/les/dpa)