Berlin. Hat Deutschlands Wirtschaft Chancen, bei der Digitalisierung mitzuspielen? Die Internet Economy Foundation mahnt zu dringendem Handeln.

Mit einer neuen Stiftung wollen Unternehmen aus der Internetwirtschaft für Deutschlands internationalen Anschluss kämpfen. Die von Ralph Dommermuth (Vorstand United Internet AG) initiierte Internet Economy Foundation (IEF) stellte bei ihrer Gründung am Montag in Berlin eine Studie mit sieben Handlungsfeldern vor. Um die Dramatik aufzuzeigen wählte Dommermuth einen Vergleich aus der Industriegeschichte: „Wir können nicht mit dem Pferdefuhrwerk erfolgreich sein, wenn die anderen Dampfmaschinen nutzen.“ Jeder Tag, der vergehe, mache das Problem größer, wenn nicht gehandelt werde.

Die Stiftung: Der Think Tank soll Politik unterstützen, die der deutschen Internetwirtschaft hilft. Dommermuth gehört wie Oliver Samwer („Rocket Internet“), Robert Gertz („Zalando“) und Ex-Telekomchef René Obermann dem Stiftungsrat an, Vorsitzender ist der frühere CDU-Politiker Friedbert Pflüger. Initiator Dommermuth drängt es offenbar danach, etwas zu verändern. Er soll bereits im Herbst als Gast dem CDU-Bundesvorstand bei einer Tagung in Mainz deutlich die Meinung gegeigt haben. Die Stiftung war offenbar Folge einer Aufforderung von Matthias Machnig (SPD), Staatssekretär im Wirtschaftsministerium: Die Internetwirtschaft solle doch mal Interessen und Anliegen klar benennen. Dommermuth nahm den Ball auf, fand aber ein einmaliges Papier nicht ausreichend. Er fordert auch ein Digitalministerium. Für die Stiftung bekam er von den geladenen Gästen einhelliges Lob. Im Netz wurde kritisiert, dass keine Frauen vertreten sind.

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Die Alarmsignale: Die größten Unternehmen der USA und in China sind Internetkonzerne, in Deutschland ist ein solches Unternehmen nicht einmal im Dax zu finden. Deutschlands Autobranche ist größer als die der USA, die zehn wertvollsten Internetunternehmen sind aber 100 Mal so viel wert wie Deutschlands Top 10, so eine Studie von Roland Berger. Und die Lücke droht weiter aufzureißen: In den USA flossen 2015 rund 53 Milliarden Euro Venture Capital in junge Unternehmen, in Deutschland waren es 31 Milliarden. US-Firmen finden einen riesigen einheitlichen Binnenmarkt mit liberalen Datenschutzgesetzen, Firmen in der EU haben mit verschiedenen Gesetzgebungen zu kämpfen. Oliver Samwer sah Deutschland am Scheideweg: „Entweder im Internet in der ersten Liga oder in der Micky-Maus-Liga.“ Man komme nicht mehr weiter mit der Strategie „ein bisschen Fördern und nicht viel zerstören“. Der Zentraleuropa-Chef der Beratungsgesellschaft Roland Berger, Stefan Schaible, sagte: „Die Zeit zum Handeln ist jetzt.“ Der Unternehmensberater sieht aber auch Hoffnung: „Vor zwei Jahren war ich sehr skeptisch gewesen. Wir sehen aber große Dynamik bei großen Unternehmen, beim Mittelstand kommt es auch an.“

Die Forderung nach mehr Mitteln: Die IEF schlägt in der Studie ein Programm vor, das innerhalb der nächsten fünf Jahre 50 Milliarden Risikokapital in Deutschland vorsieht. Die öffentliche Hand solle sich dabei mit bis zu der Hälfte beteiligen. Die Beteiligung der privaten Geldgeber stelle sicher, dass das Geld nicht fehlgeleitet werde. 500 Unternehmen könnten so im Jahr rausgebracht werden. Und durch Innovationen bei jungen Unternehmen würde auch der Innovationsdruck auf bestehende Unternehmen verschärft, so Schaible von Roland Berger. Er wollte auch fehlende öffentliche Mittel bei Zukunftsinvestitionen nicht gelten lassen: „Wenn jemand sagt, das sei nicht finanzierbar, dann stelle ich die Gegenfrage, ob das nicht mehr zur Bekämpfung der Altersarmut beiträgt als viele andere diskutierte Ideen.“ Thomas Jarzombek, Sprecher der Unionsfraktion für Digitale Wirtschaft und an der Entstehung, sah schon Fortschritte: „Wir haben die Wagniskapitalprogramme schon deutlich hochgefahren, es hat aber fast keiner mitbekommen. Wir brauchen Programme mit Strahlkraft.“

Ralph Dommermuth hatte mit dem damaligen Telekom-Chef Rene Obermann 2013 die
Ralph Dommermuth hatte mit dem damaligen Telekom-Chef Rene Obermann 2013 die "E-Mail made in Germany" vorgestellt. Nun geht es ihnen in der Internet Economy Foundation um Deutschlands Zukunft als Standort der Internetwirtschaft. © REUTERS | © Thomas Peter / Reuters

Die Forderung nach besserer Infrastruktur: Die Stiftung fordert das „Gigabit-Netz“, weil Deutschland mit seinen Übertragungsraten nur im Mittelfeld liege. Die bisherigen Ziele seien auch nicht weitreichend genug. EU-Kommissar Günther Oettinger sprang bei: „Wir brauchen die zwölfspurige digitale Autobahn.“ Bei der Markteinführung von 5G, dem nächsten, hundertmal schnelleren Mobilfunkstandard, müsse Europa wieder an der Spitze stehen. Oettinger sprach von „vor 2020“. Oettinger sah die Telekommunikationsunternehmen in Deutschland in einer Schlüsselrolle, “dann müssen wir ihnen aber auch ein paar Gewinne lassen.“ Der EU-Kommissar unterstützte auch die Forderung, Studienplätze in Richtung IT zu verlagern. „Das kostet, aber es macht sich bezahlt.“

Die Forderung nach einheitlichen Standards: Für annähernd gleiche Wettbewerbsbedingungen sei ein ähnlicher Markt nötig. Oettinger rechnete vor, dass ein Startup in Berlin 28 Anwälte brauche, um eine Applikation in allen europäischen Ländern gesetzeskonform zu gestalten. Die Botschaft: einheitliche europäische Regeln und Standards müssen her. Die europäische Datenschutzverordnung macht der IEF Hoffnung, gefordert wird nun, dass die europäischen Staaten nicht noch individuell weitergehende Regeln fassen. Die Stiftung spricht sich für eine starke europäische Datenschutzstelle aus.

Die Forderung nach fairem Wettbewerb: Wer mit Plattformen bereits erfolgreich ist, diktiert dort die Bedingungen. 1&1-Chef Jan Oetjen nannte zwei Beispiele: „Apple kassiert 30 Prozent von allen digitalen Erlösen. Und für ein Android-Handy muss man sich als erstes eine Google-Adresse zulegen.“ Es gehe nicht um Protektionismus, aber nötig sei eine „vertikale Entflechtung“. Mit einer solchen Kontrolle lasse sich sonst jeder Markt knacken. Die IEF will per Gesetz regeln lassen, „dass sich gerade marktbeherrschende Plattformen neutral gegenüber vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen verhalten müssen“. Auch Oettinger sagte, vielleicht seien allgemeine Regeln für Plattformen nötig und nicht nur eine Einzelfallbetrachtung von Google.

Die Forderung an die Gesellschaft: Die IEF spricht sich auch für eine neue Businesskultur aus, will für mehr Mut und weniger Verzagtheit werben. Sie kreidet der Branche auch an, dass Startups zu schnell verkauft werden, statt weiterwachsen zu wollen.

Die Bedenken: Konzertveranstalter Peter Schwenkow (DEAG) meldete sich, berichtete vom Aufbau des eigenen Ticketshops myticket.de und mahnte „Vergesst mit den Mittelstand nicht, vergesst nicht, wo die Arbeitsplätze sind.“ Es gebe dort sehr viele Firmen, die auch beitragen könnten zum digitalen Wachstum, aber viele benötigten Hilfe, ihr Unternehmen weiterzuentwickeln.

Die Studie: Die komplette Studie zum Stand der deutschen Internetwirtschaft und zu Handlungsempfehlungen, damit Deutschland den Anschluss schafft, gibt es bei der Stiftung (PDF).