Berlin/Wolfsburg. Der Abgasskandal zwingt den VW-Konzern zum Verschieben des Aktionärstreffens. Zulieferer des Autobauers spüren die Folgen der Krise.

Europas größter Autobauer in ernsten Nöten: Volkswagen verschiebt wegen des Abgasskandals die Vorlage seines Jahresabschlusses und die Hauptversammlung. Das beschloss am Freitag die Konzernspitze in Wolfsburg. Auslöser der Entscheidung: die völlig unklare Situation in den USA. Die Höhe der möglichen Strafzahlungen dort ist unüberschaubar. Analysten erwarten Belastungen in zweistelliger Milliardenhöhe. Die VW-Bilanz verschiebe sich um vier bis sechs Wochen, bestätigte ein VW-Sprecher auf Nachfrage.

Konzern braucht mehr Zeit für Risikoabschätzung

Der Konzern braucht nach Informationen unserer Zeitung mehr Zeit, um nötige Rückstellungen zu berechnen. Bislang waren 6,7 Milliarden Euro für die Nachrüstung der betroffenen Motoren eingeplant. Mitte Januar hatte Konzernchef Müller noch vermutet, „dass das genug sein sollte“. Diese Einschätzung hat sich inzwischen offenbar geändert.

Friedrich-Wilhelm Schlichting, Vorsitzender der VW-Belegschaftsaktionäre, begrüßte die Bilanzverschiebung: „Das ist eine gute Entscheidung. Aktionäre stellen Fragen. Wenn man die noch nicht ausreichend beantworten kann, dann macht die Einberufung einer Hauptversammlung keinen Sinn.“

Restwerte der verleasten Autos als unbekannte Größe

Dass ein Dax-Unternehmen die Bilanzvorlage verschiebt, daran kann sich Analyst Hans-Peter Wodniok vom unabhängigen Analysehaus Fairesearch nicht erinnern. Bei den „Bewertungsfragen“ gehe es wahrscheinlich einerseits um die bisher unverkauften Autos, die „Vorräte“ in der Bilanz, meint Wodniok. Zum anderen müsse man gegebenenfalls die Restwerte der verleasten Autos neu bewerten.

Das VW-Aufsichtsratspräsidium hatte am Mittwoch getagt. Einem Insider zufolge wurde dabei stundenlang darüber diskutiert, welche Rückstellungen gebildet werden sollen. Für VW sei nicht absehbar, wie teuer der Abgasskandal am Ende werde, sagte der Insider. VW äußerte sich dazu nicht. Der Konzern betonte aber, der Bericht über die Aufklärung der Dieselaffäre bleibe vom späteren Jahresabschluss unberührt. Geplant sei weiterhin, in der zweiten Aprilhälfte über den Stand der Ermittlungen zu informieren.

Auch VW-Hauptaktionär Porsche verschiebt Bilanz

VW hatte zugegeben, millionenfach Stickoxidwerte mit einer Software manipuliert zu haben. Bis zu 45 Milliarden Dollar Bußgelder stehen nach einer Klage des US-Justizministeriums im Raum. Nach Einschätzung von Experten könnte die von der US-Umweltbehörde EPA verlangte Strafe am Ende deutlich niedriger ausfallen. Bei ähnlichen Fällen in der Vergangenheit war dies so. Offen bleibt auch, wie die 600.000 in den USA von dem Skandal betroffenen Fahrzeuge repariert werden sollen.

VW erklärte, ohne Sondereinflüsse werde das operative Ergebnis des Konzerns auf dem Niveau des Vorjahres liegen. 2014 hatte der Konzern einen Betriebsgewinn von 12,7 Milliarden Euro erzielt. Ursprünglich sollte der Jahresabschluss auf der Bilanzpressekonferenz am 10. März präsentiert werden. Die Hauptversammlung war für den 21. April geplant. Auch VW-Hauptaktionär Porsche SE gab die Verschiebung seines Jahresabschlusses und seiner Hauptversammlung bekannt.

Zuliefer registrieren Einbrüche bei Bestellungen

Unterdessen schlagen Zulieferer des kriselnden VW-Konzerns Alarm. „Das Ordervolumen geht zurück, teilweise über alle Baugruppen hinweg“, sagte der Chef des Metallarbeitgeberverbandes in Niedersachsen, Volker Schmidt, am Freitag in Hannover. Sein Verband NiedersachsenMetall vertritt die VW-Lieferanten im Heimatbundesland des Autobauers.

Schmidt berief sich auf eine Umfrage unter mehr als 100 Zulieferern vom Januar. Die Betriebe beklagten die mangelnde Kommunikation des Konzerns. „Die Zulieferer leiden darunter, dass sie keine Informationen, keine Erklärungen erhalten. Aus dieser Unkenntnis erwächst große Unsicherheit.“