Berlin . Mitarbeiter können in Konzernen Gesetzesverstöße aufdecken und Schaden abwenden, doch sie erhalten wenig Schutz und gehen ein hohes Risiko ein

Die neueste Wendung in der VW-Affäre: Die VW-Führung soll bereits im Frühjahr von Abweichungen bei CO2-Werten einzelner Automodelle gewusst haben. Der damalige Konzernchef Martin Winterkorn habe wegen auffälliger Messwerte sogar den Verkauf des Polo TDI BlueMotion gestoppt, berichtet die „Bild am Sonntag“. Ein VW-Sprecher bezeichnet das prompt als „reine Spekulation“. Ein bekanntes Muster der Affäre: Auf Enthüllungen folgen Dementis und später verklausulierte Teilgeständnisse. Zäh und scheibchenweise. So geht Aufklärung nach Wolfsburger Art.

Beinahe täglich werden weitere Details über den Abgasskandal bekannt. Dass das ganze Ausmaß ans Licht kommt, ist vor allem den Mitarbeitern zu verdanken. Immer mehr Techniker und Ingenieure geben preis, was ihnen seit Langem bekannt ist. Die Hinweisgeber wenden sich anonym an Presse oder Behörden. Zu groß ist ihre Angst, den Job zu verlieren oder in der Branche nicht mehr Fuß fassen zu können.

Auf Hilfe seitens des Gesetzgebers können sie kaum hoffen, denn in Deutschland gibt es bisher keinen gesetzlich geregelten Schutz für sogenannte Whistleblower. Dabei braucht es solche Hinweisgeber, um im schlimmsten Fall Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. „Der Verbraucher hat ein Recht darauf zu wissen, wie bestimmte Produkte hergestellt werden. Das gilt für Lebensmittel wie für Technologien oder die medizinische Versorgung“, sagt die Sprecherin für Verbraucherpolitik der SPD-Bundestagsfraktion, Elvira Drobinski-Weiß.

Frühzeitig Schaden abwenden

Drobinski-Weiß kann sich gut vorstellen, dass der VW-Skandal deutlich früher aufgedeckt worden wäre, wenn es ein Whistleblower-Schutzgesetz gegeben hätte. „Es ist erstaunlich, wie lange VW diese Missstände verheimlichen konnte.“ Allerdings betont die SPD-Politikerin, dass in einem Gesetz unterschieden werden muss, ob es sich um tatsächliche Probleme im Unternehmen handelt, die gemeldet werden, oder nur um einen persönlichen Rachefeldzug eines unzufriedenen Mitarbeiters. „Das ist eine Gratwanderung zwischen Denunzieren und dem tatsächlichen Offenlegen von Missständen.“

Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD darauf verständigt, zu prüfen, ob internationale Vorgaben zum arbeitsrechtlichen Schutz von Whistleblowern in Deutschland hinreichend umgesetzt sind. Doch bis das passiert, soll erst einmal die europäische Datenschutzverordnung verabschiedet werden, fordern Teile der großen Koalition. SPD-Politikerin Drobinski-Weiß hält das für einen Vorwand. „Für mich gibt es da keinen Zusammenhang. Ein nationales Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern könnte auch ohne neue Datenschutzbestimmungen verabschiedet werden.“

Drobinski-Weiß hofft, dass der VW-Skandal einem Whistleblower-Gesetz einen Schub verleiht. „Ein solches Gesetz ist nicht nur notwendig, sondern würde auch den Firmen helfen“, sagt die Verbraucherpolitikerin. Schließlich ist es auch für die Betriebe gut, wenn Probleme schnell aufgedeckt werden – und nicht erst nach Jahren, wie bei VW.

Whistleblowing in Deutschland - ein gefährliches Geschäft

Wie aus einem vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Auftrag gegebenen Gutachten der Universität Bremen hervorgeht, ist Deutschland im Hinblick auf internationale Vertragsverpflichtungen für Hinweisgeber derzeit „vertragsbrüchig“. Der Wissenschaftler Andreas Fischer-Lescano bezieht sich in seiner Bewertung auf die Konvention gegen Korruption der Vereinten Nationen.

Konkret geht es um die OECD-Konvention zur Bestechungsbekämpfung oder die Europäische Menschenrechtskonvention. Dort sind genaue Angaben zum Schutz von Hinweisgebern gemacht. Sie sollen Mitarbeiter vor Repressalien im Betrieb oder der Kündigung bewahren. „Das deutsche Recht setzt diese Vorgaben bisher nicht ausreichend um“, sagt Fischer-Lescano.

Handlungsbedarf gibt es für den Forscher längst nicht nur aus juristischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. Auch Fischer-Lescano sagt: „Ein effektives Whistleblower-System bei Volkswagen hätte viel früher die Missstände aufgedeckt. Der volks- und betriebswirtschaftliche Schaden hätte deutlich gemildert werden können.“ Um die Aufklärung voranzutreiben, hat die VW-Konzernspitze ihren Mitarbeitern ein Amnestieprogramm angeboten. Bis Ende November hatten sich im Rahmen dieses Programms bei VW laut „Welt am Sonntag“ intern rund 50 Mitarbeiter gemeldet.

Rechtswidrige Praktiken in Unternehmen publik machen

Die Zurückhaltung potenzieller Hinweisgeber hat gewichtige Gründe. „Whistleblowing ist in Deutschland ein gefährliches Geschäft“, sagt auch die ernährungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Karin Binder. Auch sie hält ein Schutzgesetz für Hinweisgeber für überfällig. „Dabei darf es keine Rolle spielen, ob sie ihre Informationen über Missstände auf einem Zettel äußern, per E-Mail oder einfach an die Presse gehen“, sagt Binder. Zudem erhofft sich die Politikerin mehr gesellschaftliche Anerkennung für die „kleinen Helden des Alltags“.

Gemeinsam mit den Grünen setzte sich die Linke im Sommer erneut für einen gesetzlichen Schutz für Hinweisgeber ein und legte einen Gesetzesentwurf vor. Widerstand kam nicht nur aus der großen Koalition. Auch die Arbeitgeberverbände halten ein Gesetz für „überflüssig“ und sogar „gefährlich“.

Schließlich gibt es ihrer Ansicht nach zahlreiche Anzeigerechte für Beschäftigte. Zudem könnten sich Arbeitnehmer an öffentliche Stellen wenden, wenn sie sich zuvor „ernsthaft um eine innerbetriebliche Klärung bemüht haben und die Anzeige nicht leichtfertig erfolgt“. In einer Stellungnahme haben die Arbeitgeber klargemacht, dass ein Hinweisgeber-Schutzgesetz sogar den Betriebsfrieden gefährdet. Damit stünden alle Unternehmen unter Verdacht.

„Whistleblowing ist eigentlich nichts anderes als ein Verbesserungsvorschlag“, sagt dagegen Johannes Ludwig, Professor für Management an der Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg, der sich mit dem Verein Whistleblower-Netzwerk schon lange für einen besseren Schutz von Hinweisgebern einsetzt. „Wenn man rechtswidrige Praktiken im Unternehmen entdeckt und benennt, die zu einem großen Schaden führen könnten, ist das eine große Chance für Verbesserungen.“

Wer auspackt, lebt gefährlich

Angestellte, die auf Missstände in Unternehmen hinweisen, wurden in der Vergangenheit nicht nur gefeiert, sondern auch immer wieder ins Abseits gedrängt. Dies zeigen folgende Beispiele: Wissenschaftler Rainer Moormann arbeitet rund 35 Jahren in der Kernforschungsanlage (KFA), dem heutigen Forschungszentrum in Jülich (FZJ), und deckt auf, dass der 1988 stillgelegte Versuchsreaktor in Jülich im Normalbetrieb jahrelang unzureichend gesichert war und im Mai 1978 nur knapp einem GAU entgangen ist. Doch Wissenschaftler Moormann wird intern als Nestbeschmutzer diffamiert. Seine Arbeitsgruppe im FZ Jülich wird aufgelöst, er selbst mehrfach in andere Abteilungen versetzt, bis er in den vorzeitigen Ruhestand geht.

Lkw-Fahrer Miroslaw Strecker deckt 2007 den Gammelfleisch-Skandal auf. Als Lkw-Fahrer soll er verdorbene Schlachtabfälle zu einem Lebensmittel-Fabrikanten bringen. Strecker ruft die Polizei. Der damalige Bundesverbraucherminister Horst Seehofer (CSU) zeichnet Strecker dafür mit der Goldenen Plakette aus. Doch als Strecker wieder zur Arbeit kommt, wird er gemobbt und aufgefordert, zu kündigen, was er ablehnt. Dann werden ihm Arbeitsaufträge zugeteilt, die im normalen Rahmen nicht zu schaffen waren. Schließlich wird Strecker gekündigt.

Die Frankfurter Steuerfahnder Rudolf Schmenger, Marco Wehner, Heiko und Tina Feser sind seit den 90er-Jahren großen Steuerbetrügern auf der Spur. Auch im Schwarzgeld-Skandal der Hessen-CDU ermitteln sie. Nach dem Wahlsieg der CDU in Hessen im Jahr 1999 werden sie versetzt, ihre Abteilung aufgelöst. Steuerhinterzieher sollen sie nicht mehr verfolgen. Sie werden zu einem Psychiater geschickt, der die Fahnder für „paranoid“ erklärt und zwangspensioniert. Der Arzt wird deshalb 2009 verurteilt. Hessen verweigert den Beamten die Rehabilitierung.

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