Cannes. Schauspielerin Vanessa Redgrave hat ein Film über Flüchtlinge gedreht. Ein Herzensthema. Genauso wie ihre Liebe zu einem Westernheld.

Niemand sollte Vanessa Redgrave unterschätzen. Denn der erste Eindruck trügt. Gebückt sitzt die 80-Jährige an einem Tisch im Garten des Hotels Residéal in Cannes, ihr Blick gleitet gelegentlich ins Leere, die Stimme wird manchmal brüchig. Und doch steckt in diesem fragilen Äußeren ein lebendiger Geist und unbändiger Wille.

Zum ersten Mal in ihrer Karriere trat die britische Oscar-Gewinnerin hinter die Kamera, um einen aufrüttelnden Appell für die Situation von Flüchtlingen zu drehen. Bei dem Thema beginnt sie auch während dieses Gesprächs aufzuleben.

Sie sind unverwüstlich. Mit 80 präsentieren Sie jetzt Ihre erste Regiearbeit als Dokumentarfilmerin ...

Vanessa Redgrave: Ich bin immer noch fit genug, um mich regelmäßig zu bewegen. Und ich habe auch militärische Gene in meinem Körper: Mein Großvater war Mitglied der Royal Navy, er war im Ersten Weltkrieg im Nahen Osten eingesetzt und wurde danach Chef der Marineakademie, und zwei meiner Onkel kämpften in vielen Schlachten des Zweiten Weltkriegs.

Und Sie kämpfen jetzt mit Ihrem Film „Sea Sorrow“ für die Unterstützung von Flüchtlingen. Wie hat sich das entwickelt?

Redgrave: Ich war einfach entsetzt, wie viele Menschen ihr Leben verloren haben, ob in den Wüsten von Afrika oder im Mittelmeer. Um Spenden aufzutreiben, habe ich eine Performance in London organisiert. Und bei den Vorbereitungen hörte ich vom Schicksal des dreijährigen Aylan Kurti, der bei der Überfahrt mit einem Schlepperboot mit seiner Mutter und seinem Bruder ertrank. Nur weil sie nicht legal auf einer Fähre übersetzen durften, weil sie keine Pässe und kein Geld hatten. Warum können wir Flüchtlingen keine sicheren Reisebedingungen geben? Deshalb sterben all diese armen Familien mit ihren Kindern. Dieser Zustand ist unerträglich. Das war auch letztlich der Anstoß, diesen Film zu machen.

Sie lobten Deutschland als Gewissen Europas. Sie haben allerdings auch die andere Seite der Deutschen kennengelernt. Schließlich erlebten Sie die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs.

Redgrave: Damals waren die Deutschen natürlich der Feind. Aber ich bewege mich lieber nicht in der Zeit zurück. Und im Gegensatz zu anderen Ländern haben die Deutschen ihre Vergangenheit aufgearbeitet.

Damals waren Sie vier – woran erinnern Sie sich noch?

Redgrave: Dass wir uns bei den Angriffen immer im Keller verstecken mussten. Und dass ich bei der Verdunklung mithalf. Meine ältere Cousine setzte mir einen Helm auf, drückte mir eine kleine Taschenlampe in die Hand und sagte zu mir: Jetzt gehst du rum und schaust, dass nirgendwo ein Licht brennt. Nicht mal Kerzen!

Sie engagieren sich politisch. Das hatte sicher auch Nachteile für Sie.

Redgrave: Ich würde es nicht Nachteile nennen, aber ich wurde natürlich auch angefeindet. Die einzig wirklich Leidtragenden waren meine Kinder, weil ich dann keine Zeit für sie hatte. Aber es ist eben für mich das Natürlichste auf der Welt, mich für andere Menschen zu engagieren. Abgesehen von meinen Kindheitserlebnissen liegt das in meiner Familientradition. Meine Eltern zum Beispiel setzten sich dafür ein, dass jüdische Flüchtlinge Visa in England bekamen, zum Beispiel für Oskar Kokoschka. Die Chamberlain-Regierung weigerte sich ja, Juden aufzunehmen. Die Geschichte wiederholt sich unter anderen Vorzeichen.

Wenn Sie sich engagieren, sollen Sie aber auch verbal austeilen können.

Redgrave: Nur wenn ich mit Unsinn konfrontiert bin. Den kann ich schlecht tolerieren, und dann werde ich deutlich.

Wurden Sie das auch in Ihrer Beziehung zu dem italienischen Schauspieler Franco Nero, mit dem Sie seit 1967 eine Partnerschaft mit Unterbrechungen führen?

Redgrave: Ohne ins Detail gehen zu wollen – da fielen schon auch mal harte Worte. Wir waren garantiert nicht immer einer Meinung, aber wir haben im Lauf der Jahre immer mehr Nachsicht füreinander entwickelt. Wir versuchen, den anderen nicht zu etwas zu machen, das er nicht ist, schätzen ihn in seiner Art und vertrauen und respektieren einander total. Hauptsache, er ist am Leben.

Welche Meinungsverschiedenheiten hatten Sie denn?

Redgrave: Das kann ich jetzt nicht öffentlich ausbreiten. Es gab indes auch konstruktive Meinungsverschiedenheiten. Zum Beispiel gab es Phasen, wo ich meine Karriere ganz für das Kinderkriegen an den Nagel hängen wollte. Denn ich konnte es kaum erwarten, Mutter zu werden. Mit 26 war es dann zum ersten Mal so weit. Und als ich mich von meinem ersten Mann trennte, mit dem ich zwei Töchter hatte, wollte ich weitere Kinder. Franco hat mich dann aber eines Besseren belehrt. Er meinte, nur Mutter zu sein wäre nichts für mich, ich dürfe mein Talent nicht vernachlässigen. Und da hatte er recht.

Wie haben Sie sich eigentlich in all dieser Zeit innerlich verändert?

Redgrave: Schwierig zu sagen – einfach, weil ich mich ständig verändert habe, von Stunde zu Stunde. Denn ich habe immer versucht, für andere Menschen offen zu sein und ihnen zuzuhören. Das prägt einen natürlich. Vielleicht denke ich intensiver über Dinge nach, nehme mir auch die Zeit dafür, anstatt durch den Tag zu hetzen.