Strausberg. Sigmund Jähn war der erste Deutsche im Weltraum. Er erlebte einen tiefen Fall vom Helden der DDR zum Wendeverlierer. Nun wird er 80.

Es gibt eine Geschichte, die verdeutlicht, wie abgebrüht Sigmund Jähn im entscheidenden Moment seines Lebens war. Es war der 26. August 1978, kurz vor dem Start der „Sojus 31“-Rakete. „Da ging mir der Puls“, erinnert sich Jähn – aber nicht, weil er wenige Augenblicke später mit unvorstellbarer Energie ins Weltall geschossen wurde. Sondern weil er für den DDR-Rundfunk eine Erklärung verlesen musste. „Ich wollte mich auf keinen Fall verhaspeln.“ Also dankte er nervös dem Zentralkomitee der SED und sagte Sätze wie: „Ich widme meinen Flug dem 30. Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, meinem sozialistischen Vaterland.“ Angst vor dem Flug hatte er dagegen nicht.

Sigmund Jähn, der an diesem Montag 80 Jahre alt wird, war der erste Deutsche im Weltall. Die meisten Westdeutschen haben bis heute kaum Notiz von ihm genommen, was Jähn „völlig gleichgültig“ ist. In Ostdeutschland dagegen ist er ein Held, nach dem Schulen und Freizeitzentren benannt sind. Einer, dessen Ruhm nicht verblasst.

Bei seinen seltenen öffentlichen Auftritten wird er regelmäßig von Autogrammsammlern umlagert. Sein Flug machte den Jagdflieger der DDR-Volksarmee in der sozialistischen Welt über Nacht berühmt: Der Arbeiter- und Bauernstaat war nun Raumfahrernation – lange vor dem Klassenfeind im Westen. Den Namen von Jähns Geburtsort Morgenröthe-Rautenkranz im sächsischen Vogtland kannte fortan jedes DDR-Schulkind, sein Gesicht schmückte Gedenkmünzen und Briefmarken.

Heldenkult um Sigmund Jähn

Sigmund Jähn heute. Der zweifache Vater lebt vor den Toren Berlins.
Sigmund Jähn heute. Der zweifache Vater lebt vor den Toren Berlins. © imago/VIADATA | imago stock

Trotz des Heldenkults ist Jähn, der mit seiner Frau Erika in Strausberg bei Berlin wohnt, ein bescheidener Mensch geblieben. „Die ganzen Glückwünsche zu meinem Geburtstag bewegen mich“, sagt er. „Ich hatte so ein Glück, überhaupt ins All fliegen zu dürfen.“ Denn beim Kosmonautencasting war Jähn ein Außenseiter, wie er unserer Redaktion erzählt. Nach einer Vorauswahl reiste er mit weiteren Kandidaten ins Sternenstädtchen, das Ausbildungszentrum der sowjetischen Kosmonauten bei Moskau. Zwei Jahre lang wurden die Ostdeutschen auf den Einsatz vorbereitet. „Gesucht wurde ein Raumfahrer und ein Ersatzmann. Als ich dort hinkam, galt ich nur als Nummer drei. Da mein Körper mit der Schwerelosigkeit besonders gut zurechtkam und ich zudem gut Russisch sprach, fiel die Wahl am Ende auf mich.“

Sieben Tage, 20 Stunden und 49 Sekunden blieb er im All, führte zahlreiche wissenschaftliche Experimente durch. Bei der Landung in der kasachischen Steppe überschlug sich die Rückkehrkapsel mehrfach, Jähn überlebte, trug aber bleibende Schäden an der Wirbelsäule davon. „Es herrschte starker Wind, der Schirm klappte nicht aus“, erinnert sich Jähn, der auch dieses Erlebnis nicht dramatisieren will. „Wenn man in einer Kugel aus dem Weltraum auf die Erde fällt, ist das eben was anderes, als von einem Tisch zu springen.“

Jähns Biografie ist die eines Bilderbuch-Kommunisten. Er war aktiver Pionier, Sekretär der FDJ-Gruppe, machte eine Buchdruckerlehre und begann in den 50ern die Offizierslaufbahn bei der Nationalen Volksarmee. Es war auch dieser Lebenslauf, der den Sachsen fast seine Existenz kostete. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks war er im wiedervereinigten Deutschland plötzlich nicht mehr gefragt. Der Volksheld wurde arbeitslos.

Die Rückkehr nach Russland ist seine Rettung

Sein Freund Ulf Merbold (75) – fünf Jahre nach Jähn der erste Westdeutsche im All – vermittelte ihm schließlich einen Job als Mittler zwischen west- und osteuropäischer Raumfahrt. „Wir teilen gemeinsam die Erfahrung, dass man in 90 Minuten den Erdball umrundet und von dort oben keine Grenzen mehr sieht“, sagt Merbold. So kehrte Jähn zurück ins Sternenstädtchen, 15 Jahre blieb er in Russland. Dort bildete er europäische Astronauten wie den Frankfurter Thomas Reiter (58) aus. „Die Aufgabe war mein Glücksfall. Sonst hätte ich Zeitungen austragen müssen“, sagt Jähn.

Die Entwicklung der Raumfahrt verfolgt er genau. Er kritisiert den beginnenden Weltalltourismus, fordert eine verantwortungsvolle Raumfahrt. Auch die Hoffnungen auf eine baldige bemannte Mars-Mission will er nicht teilen. Die Menschheit sei dafür nicht reif, die Erschließung neuer Lebensräume brauche Zeit. „Mein dreijähriges Urenkelkind“, glaubt Jähn, „wird die Landung eines Menschen auf dem Mars nicht mehr erleben.“