Kiew. Die 35-jährige Nadija Sawschenko war die prominenteste Gefangene Russlands. Dann kam sie frei. Jetzt will sie die Ukraine regieren.

Sie war Kampfpilotin und eine der prominentesten Gefangenen Russlands, verurteilt zu 22 Jahren Haft. Noch im Gefängnis trat sie in den Hungerstreik, wurde in Abwesenheit ins Parlament ihres Heimatlandes gewählt. Nach ihrer Rückkehr bekam sie den höchsten Orden des Landes verliehen. Seitdem gilt sie als Heldin, als Jeanne d’Arc der Ukraine. Doch Nadija Sawtschenko will weiter nach oben. Ins Präsidentenamt. Ihre Chancen stehen gut, glaubt man Meinungsumfragen.

35 Jahre ist sie gerade mal. Doch ihre Biografie reicht schon für mehr als einen Kinofilm. Wer ist diese Frau, die einst Modedesign lernte, dann als Freiwillige an die Front zog, um gegen die von Russland unterstützen Rebellen in der Ostukraine zu kämpfen? Jedoch in Gefangenschaft geriet und in einem Schauprozess in Russland wegen angeblicher Beihilfe zum Mord verurteilt wurde?

Sawtschenko will keine Kinder

Nadija Sawtschenko wirkt gescheit, auch wenn sie nichts sagt. Sie hört aufmerksam zu, der Blick ihrer großen dunklen Augen schweift umher, während sie über die Worte nachdenkt, die sie gehört hat. Ihre Miene ist lebhaft, ihr mattrot geschminkter Mund verzieht sich oft zu einem Lächeln. Aber sie antwortet entschlossen.

Welche Männer ihr gefallen? „Die, die dich erstaunen können, mit Klugheit, Güte, mit Taten, die sonst keiner vollbringt.“ Ob sie jetzt verliebt ist? „Ich bin in die Ukraine verliebt.“ Ihr tue weh, was im Land passiere, sie wolle niemanden neben sich haben, weil sie das nur schwäche. „Und ich denke, nicht jedermann ist es gegeben, zu lieben.“ Sawtschenko sagt, sie wolle auch keine Kinder, ihre Pflichten erlaubten ihr jetzt nicht einmal, eine Katze oder eine Topfblume zu versorgen.

Ukrainische Medien sahen in ihr russischen Agent

Als Nadija Sawtschenko im Mai, zwei Monate nach ihrer Verurteilung, im Zuge eines Gefangenenaustauschs freikommt, bereitet ihr Kiew einen triumphalen Empfang. Präsident Petro Poroschenko würdigt ihren „eisernen Willen, zivilen Mut und den aufopferungsvollen Dienst am ukrainischen Volk“. Doch Sawtschenko fügt sich nicht in die für sie vorgesehene Rolle. Zur Überraschung des Publikums verlangt sie Verständnis für die Menschen in den Rebellengebieten und direkte Gespräche mit den Separatisten, die ihr selbst mit Erschießung drohten. Und sie erklärt, Präsident Poroschenko existiere für sie nicht mehr, weil er nichts für die Befreiung ukrainischer Kriegsgefangener tue.

Schon behaupten erste ukrainische Medien, sie sei ein russischer Agent. Sawtschenko lacht darüber, wie über Spekulationen, das Regime könne Killer auf sie ansetzen.

Heldin mit vielen Feinden

Sie ist eine Heldin mit vielen Feinden, mit einem 18-Stunden-Tag und oft nur zwei bis drei Stunden Schlaf, erzählte die 35-Jährige kürzlich in einem Interview und fügte hinzu: „Ich weiß nicht, woher meine Kraft kommt“.

Ihre Schwester Vera sagt, Nadija sei viel kompromissbereiter und weicher als ihr eisernes Image. „Nadija war immer die Größere, hat mich als Kind beschützt, gab mir das Beste ab.“ Ihre Schwester besitze ein starkes Mitgefühl, als Soldatin habe sie eine kranke streunende Katze aufgelesen, und für ihr Geld einen Tierarzt gesucht. „Aber wenn sie glaubt, dass sie recht hat, ruht sie nicht eher, bis sie es bewiesen hat.“

Sawtschenko ist das Helden-Image egal

Sawtschenko selbst sagt, sie spüre die großen Erwartungen, die man an sie habe. „Jeden Tag, wenn ich ins Parlament gehe, stehen dort Menschen, die mich treffen wollen, um mir Tonnen von Papieren zu geben, Anfragen, Beschwerden“, erzählte die 35-Jährige jüngst dem ZDF. „Ich bekomme Anrufe wie den einer alten Dame, die mich bat, ob ich kommen kann, um eine neue Birne in die Lampe im Treppenhaus einzuschrauben. Ich habe gelacht und ihr gesagt: Wissen sie, ich muss gerade eine riesige Birne für das ganze Land neu einschrauben und ich weiß nicht wie.“

Ihr Helden-Image sei ihr egal, sagt Sawtschenko auch. Sie sehe sich vielmehr als „Soldat auf dem Schlachtfeld“. Angst vor der Verantwortung habe sie nicht. Man hat keinen Zweifel, dass dem so ist.