Paris. Mireille Mathieu wurde als „Spatz von Avignon“ berühmt. Am Freitag wird die französische Sängerin mit dem Pagenschnitt 70 Jahre alt.

Die Deutschen, sagt sie oft, habe sie schon immer gemocht. Umgekehrt ist es ähnlich. Vor allem in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren. Als sie ihre größten Erfolge feiert, sich „Hinter den Kulissen von Paris“ herumtreibt und der „Akropolis Adieu“ sagt. Den „Spatz von Avignon“ haben sie sie damals genannt. Ein Name, den die Presse in ihrer Heimat Frankreich erfunden hat. Heute wird Mireille Mathieu 70.

Aufgewachsen ist sie als Älteste von vierzehn Kindern in Armut als Tochter eines Steinmetzes. Jeden Centime habe man zweimal umdrehen müssen, erinnert sie sich später. Deshalb und wegen ihrer Schreib- und Leseschwäche kann sie die Schule nicht beenden. Als Hilfsarbeiterin in einer Papierfabrik muss sie schon früh für das Auskommen der Familie mitarbeiten und auch zu Hause mit Hand anlegen. Hart ist das, aber es prägt. Denn es lehrt Bescheidenheit. „Man lernt zu teilen.“

Die Frisur brachte ihr stets auch Spott ein

So bleibt sie immer auf dem Boden. Obwohl der Aufstieg steil ist, nachdem sie in der Show „Télé-Dimanche“ entdeckt worden ist. Talent trifft Disziplin. Jeden Tag schult sie ihre von Natur aus gute Stimme. Und bald steht die damals 17-Jährige auf der Bühne des Pariser Olympia und ihre erste Single „Mon Credo“ wird ein Hit. Viele Franzosen sehen in ihr die neue Piaf. Aber das ist sie nicht. Schon weil Mathieu den Charme einer Kosmetikberaterin ausstrahlt und nicht die Verruchtheit einer Femme fatale. Und weil selbst Chansonklassiker wie „Non, Je Ne Regrette Rien“ damals bei ihr immer nur ein Lied waren, aber nichts, was sie aus eigener Erfahrung kannte.

Mireille Mathieu bei einem Auftritt in den 1960er Jahren.
Mireille Mathieu bei einem Auftritt in den 1960er Jahren. © imago/United Archives | imago/United Archives

1969 erobert sie Deutschland. Nicht mit Chansons, sondern mit klassischem Schlager. Frauen und Männer sind verzückt, nur die Jugend zwischen Kiel und Konstanz spottet über Mathieus Aussehen. Porzellanteint zu schwarzem Pagenkopf. „Wie Prinz Eisenherz“, scherzen sie hämisch. „Nur blas­­­ser­“. Davon ­abgesehen bietet die nur 153 Zentimeter große Sängerin damals wie heute kaum Angriffsfläche. Lange gibt es keine Skandale, keine Ausfälle. Erst als sie 2008 im Kreml vor Muammar al-Gaddafi und Wladimir Putin singt und auch ein Tässchen Tee mit ihnen trinkt, wird Kritik laut.

Ansonsten sind häuslich, familienverbunden, gläubig und diszipliniert die Attribute, mit denen Mathieu meist beschrieben wird. Ein ewiges Fräulein, das ständig über die Liebe singt, aber viele Jahre nicht darüber spricht. Das sei ein „Jardin Secret“, ein Geheimnis. Wie alles, was ihr Privatleben betrifft.

„Druck, der mich krank machte“

Vor ein paar Jahren ist sie es dann selbst, die die Fassade einreißt. Mathieu erzählt von den Depressionen, die sie lange plagten, von dem „Druck, der mich krank machte“ und von „großer Leere“ aller Erfolge zum Trotz. Und auch zum Thema Männer äußert sie sich erstmals. Ja, es habe natürlich Affären gegeben, nein, „die große Liebe“ sei nie dabei gewesen. Auf der Bühne will sie weiter stehen. Schon der im Frühjahr mit 94 Jahren verstorbenen Mutter wegen. „Mama mochte es immer, wenn ich singe. Also muss ich weitermachen – allein für sie.“ Aber anscheinend auch für viele andere. Ihre letzten Tourneen waren umjubelt.

Nur wenig verändert hat sich Mathieu, wirkt immer noch fit. „Gute Gene“ vermutet sie, spricht aber auch von einer gesunden Lebensweise mit neun Stunden Schlaf, wenig Sonne, keine Zigaretten und Alkohol nur in Maßen. Jedenfalls denkt sie nicht ans Aufhören. „Was ich mache, ist das, wovon ich als kleines armes Mädchen immer geträumt habe“, sagt sie, wenn man sie danach fragt. Man könne das auch nicht Arbeit nennen: „Es ist mein Leben.“