Berlin. Inga Humpe ist die Königin des deutschen Elektropops. Das neue Album der Band 2raumwohnung erzählt von wilden Nächten und hellen Tagen.

Inga Humpe (61) betritt den Kaffeeladen in einer Seitenstraße von Berlin-Mitte, in dem Models, Rockstars, Designer verkehren. Doch jeder ist hier zu distanziert, kühl und von sich selbst eingenommen, um den anderen zu bemerken. Umso stärker ist der Kontrast zwischen dem Verhalten der Sängerin und dem der Gäste. Denn Inga Humpe interessiert sich, wann immer man sie trifft, mehr für ihr Gegenüber als für sich selbst. Und so muss man aufpassen, dass man mit ihr nicht wie bei einer alten Freundin ins Plaudern kommt.

Inga Humpe war einst Sängerin der Band Neonbabies, NDW-Ikone und Musikpionierin, bekam mit ihrer Schwester Annette Humpe (66, Ich + Ich) unlängst Auszeichnungen für ihr Lebenswerk. Jetzt hat sie mit ihrer Band 2raumwohnung, gemeinsam mit ihrem Freund Tommi Eckart (54), das achte Album „Nacht und Tag“ („It Sounds“) herausgebracht.

Doppelalbum mit jedem Song in zwei Versionen

Musikerin Inga Humpe.
Musikerin Inga Humpe. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / XAMAX

„Jedes Lied auf dem Doppelalbum gibt es in einer Tag- und in einer Nachtversion. Die Tagversionen sind weicher und heller, ein Sound, zu dem man sich auch unterhalten kann, moderne Hippie-Musik. Die Nacht-CD ist energetisch“, erzählt Inga Humpe. Der erste Song des Albums, „1993“, spielt auf das Gründungsjahr ihrer Band an.

Damals lernte sie den Musikproduzenten Tommi Eckart unter den Eindrücken des Nachwende-Berlins kennen. Die Hauptstadt befand sich im Wiederaufbau, vielerorts auch im völligen Chaos. „Da waren überall Ruinen, und in diesen Ruinen wurde getanzt. Die Stadt war unkontrollierbar, und das war auch das Lebensgefühl“, erzählt sie. Tommi Eckart lernte sie im Studio des Musikers Moritz von Oswald kennen. „Dann haben wir uns verknallt. Und wir sind ausgegangen“, sagt sie und lächelt.

Den Namen 2raumwohnung gaben die beiden ihrer Band damals im besagten Jahr 1993, „damit es klingt wie eine Ostband“. Der berühmte Name Humpe sollte nicht auftauchen. „Das mit meinem Namen hat dann auch niemanden interessiert, weil der Sound so gut war“, erinnert sie sich. Ihre Fähigkeit, den richtigen Ton zu treffen, ist ihr bis heute nicht abhandengekommen.

Viele Menschen werden in der Musikbranche durchgewunken

„Nimm mich mit“, „Ich und Elaine“ und „36 Grad“ wurden Hits – um nur drei zu nennen, die von Humpes sonorer Schlafzimmerstimme geprägt sind. War es einfach, sich in der Musikwelt über fast ein ganzes Leben zu behaupten? „Nein“, sagt sie. „Wenn du selbst schreibst, selber Vorstellungen hast, die du durchsetzen willst, dann kämpfst du um jeden Zentimeter, jeden Millimeter Land.“ Die Leute, gerade Frauen, die in dieser Branche „ausgenutzt und durchgewunken wurden“ – Inga Humpe hat viele von ihnen gesehen.

Die Aufregung am Tag der Veröffentlichung spürt sie heute noch wie beim ersten Mal. „Das ist nicht mein Lieblingszustand. Da bin ich total im Wettbewerb. Ich wäre da gerne souveräner“, sagt sie. Erleichterung kommt dann erst in dem Moment, wenn die Platte, wie jetzt auch „Nacht und Tag“, in die Charts einsteigt.

Im nächsten Jahr würde Inga Humpe gern tagsüber Konzerte geben

Bis in den Herbst sind 2raumwohnung nun in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Tour. Bei den Shows spielen Inga Humpe und Tommi Eckart akustische Gitarre, was man bei vergangenen Tourneen weniger gesehen hat. „Wir waren immer mit vielen Musikern und Backgroundsängern auf der Bühne, da ist es schwerer, einen kompakten Sound zu bekommen“, sagt die Sängerin. Das Auftreten mit großer Band habe ihr zuletzt nicht mehr gefallen. „Es wurde für mein Gefühl zu viel Rock und Pop. Und wie alle klingen – das wollte ich nicht.“

Im kommenden Jahr würde Inga Humpe gern Konzerte am helllichten Tag geben. „Am liebsten draußen. Am Wasser. So eine Stunde oder anderthalb spielen und dann geht die Sonne unter – und irgendwann wieder auf“, überlegt sie laut. „Vielleicht sogar im Freibad.“

Inga Humpe scheint keinen Zeitdruck zu haben, trotz Tour, Arbeiten im Studio oder Interviews wie jetzt. Sie trägt eine Uhr, auf die sie nicht schaut. Sie schaut lieber mit sanftem Blick in die Leere und fragt irgendwann: „Sag mal, liest du eigentlich Knausgård?“