Berlin. Die Familie Hart gehört zu den erfolgreichsten deutschen Familien-Bloggern. Doch was bedeutet ein öffentliches Leben für den Nachwuchs?
Ein langes buntes Wochenende bei Familie Hart am Meer. Die Töchter Lilli (7) und Lotte (4) essen morgens Brote zu Hause in Schönberg an der Kieler Bucht, bauen dann in farbenfroher Regenkleidung eine Sandburg am nahe gelegenen Strand. Baby Tom schläft. Später geht es mit dem Bollerwagen zurück, eine Gemüsepfanne wird gekocht, es werden Kaninchen gestreichelt, die Einkäufe auf dem Supermarktparkplatz in den Kofferraum verladen. Immer dabei: die Kamera. Denn die Harts sind eine Blogger-Familie. Und zwar eine der erfolgreichsten in Deutschland. Mit bis zu zwei Millionen Lesern im Monat.
Schnipsel ihres Alltags, Gedanken, kleine Ereignisse werden sorgfältig auf der Webseite der Familie dokumentiert. Oft täglich. Die Eltern wuchsen hinein, die Kinder werden damit groß. Doch was bedeutet ein öffentliches Leben für eine normale Familie?
Neun von zehn Kleinkindern tauchen schon im Netz auf
Fest steht: Familien-Blogs, digitale Tagebücher oder auch einfach Kinderfotos auf dem eigenen Facebook-Profil sind längst Normalität. In den USA spricht man sogar schon von „Sharenting“ (eine Mischung aus dem englischen Wort Eltern „Parents“ und Teilen „Share“). Die Wortschöpfung steht für den Trend, dass Eltern ihre Kinder- und Familienbilder im Netz verbreiten. Neun von zehn Kleinkindern unter zwei Jahren tauchen laut einer Studie der Universität Michigan bereits im Netz auf. Menschen werden in der digitalen Welt öffentlich, lange bevor sie ihre erste E-Mail versendet haben.
Immer mehr Eltern professionalisieren ihren digitalen Auftritt, entdecken so irgendwann ihre heile Familie als Wirtschaftszweig. Eine der erfolgreichsten der Welt, die kanadische „Eh Bee Family“, kommt dank ihrer witzigen Video-Clips sogar auf 15 Millionen Abonnenten und insgesamt über zwei Milliarden Aufrufe. Die Eltern verdienen so ihren gesamten Lebensunterhalt und verfügen laut Branchenschätzungen über ein Vermögen von 1,6 Millionen US-Dollar (etwa 1,4 Millionen Euro).
Die Themen reichen von Basteln bis zum vierten Kind
Auf die deutsche Familie Hart aus der Kieler Bucht, die den Blog „BabyKindundMeer.de“ betreibt, trifft das erst in Teilen zu. „Wir leben wirklich gut, zahlen sogar unseren Hauskredit durch die Einnahmen des Blogs ab“, sagt die Gründerin und Mutter der Familie Marisa Hart. Anfangs habe sie den Blog „BabyKindundMeer.de“ aus Spaß alleine gestartet, erzählt sie. Irgendwann sei die Zahl der Leser gewachsen und die Einnahmen über Anzeigen und Werbepartner gestiegen, sodass auch ihr Mann Micha, eigentlich Schiffsbauingenieur, hauptberuflich einstieg.
„Professionelles Bloggen wird vom Aufwand leicht unterschätzt. Man muss täglich Fotos machen, diese bearbeiten, Artikel schreiben, Videos schneiden, Leserbriefe und Anfragen beantworten, Kooperationen aushandeln“, erklärt die dreifache Mutter. Ihr Themenspektrum reicht von selbst gemachter Knete über Kartoffelchips aus der Mikrowelle bis hin zu den Schwierigkeiten des Elternseins und ihrem vierten Wunschkind.
http://Blogger_soll_mit_Radtour_EU-Förderung_erklären{esc#210552207}[agentur]
„Jeder weiß, wer wir sind“
Der Preis für diese Offenheit ist die Privatsphäre. „Jeder weiß, wer wir sind, wie unser Haus aussieht, unser Alltag, aber Bloggen ist einfach ein neuer Berufszweig, und wir sind eine Blogger-Familie“, sagt Marisa Hart. Nicht anders würden auch Zirkuskinder oder junge Schauspieler aufwachsen. Der Job ermögliche ihr und ihrem Mann, von zu Hause aus zu arbeiten und für ihre Kinder da zu sein.
Rechtsanwalt Tobias Schäfer (35), der mit seinem offenen Brief gegen Kinderfotos im Netz für Aufsehen sorgte, beobachtet diese Offenheit im Netz eher mit Sorge. „Künftig können komplette Profile von Menschen von Geburt an erstellt werden. Ich finde, dass in solchen Zeiten Datensparsamkeit geboten ist“, sagte der Justiziar aus Wetter in Nordrhein-Westfalen.
Bloggerin Marisa Hart hat klare Regeln in punkto Kinderbilder
Der Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger geht da sogar noch einen Schritt weiter. „Eltern prägen mit ihrem Nutzungsverhalten ihre Kinder“, sagt der Lehrbeauftragte an der Fachhochschule der Polizei in Brandenburg. Je alltäglicher die Verbreitung von Privatem im Netz für die Eltern sei, desto selbstverständlicher werde das Teilen von Intimitäten im Netz auch für deren Kinder.
Bloggerin Marisa Hart hat da klare Regeln: „Wir zeigen keine Nacktbilder und keine Fotos, die unseren Kindern irgendwann peinlich sein könnten.“ Doch wird das überhaupt der Fall sein? Medienanwalt Schäfer tippt da auf eine gewisse Abstumpfung der jüngeren Generation. „Ich denke, dass die meisten betroffenen Kinder in zehn Jahren dem relativ gleichgültig gegenüber eingestellt sein werden, wenn es das normale Maß nicht überschreitet.“
Darüber macht sich Marisa Hart keine Sorgen. Interessanterweise hat ausgerechnet ihr erfolgreichstes Blog-Posting rein gar nichts mit ihren Kindern zu tun – sondern mit Backen. Es ist das Rezept für einen Regenbogenkuchen.
Update: Mit verstörenden Bildern wirbt eine Kampagne gegen Kinderfotos im Netz