Berlin. Mit der Doku „Embrace“ will Nora Tschirner Frauen Mut machen, ihre Körper anzunehmen. Ein Gespräch über Mädchenträume und Model-Shows.

Sie sprudelt, sie scherzt, sie schießt Antworten heraus, ohne auch nur einen messbaren Moment zu zögern – das alles an einem verregneten Montagmorgen in einem hippen Hotel auf Berlins Parytmeile, die gerade vom Wochenende verschnauft.

„Der Morgen ist meine Zeit“, sagt Nora Tschirner (35), „erlebt mich besser nicht ab 17 Uhr.“ Die gebürtige Ostberlinerin, „Tatort“-Kommissarin in Weimar, hat eine Dokumentation produziert. „Mit privatem Geld“, wie sie betont.

„Embrace“ setzt sich mit dem Schönheitsdruck auseinander, der auf Frauen lastet, und dem sogenannten Body-Shaming, also dem Diffamieren anderer wegen des Äußeren. Die Botschaft: „Liebe deinen Körper wie er ist, er ist der einzige, den du hast!“ Der Film läuft nur am Donnerstag im Kino.

Die Idee zu „Embrace“ hatte die Australierin Taryn Brumfitt, die 2013 mit einem nicht allzu alltäglichen Vorher-Nachher-Foto bei Facebook für Aufsehen sorgte. Eine Crowdfunding-Kampagne machte die Doku möglich.

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Wie sind Sie denn auf Taryn und ihre Vorher-Nachher-Bilder aufmerksam geworden? Während der Crowdfunding-Kampagne für den Film?

Nora Tschirner: Ich glaube währenddessen. Da sind die Bilder in meiner Facebook-Timeline aufgetaucht und ich fand das ganz toll, weil ich mich mit dem Thema schon vorher beschäftigt hatte. Vor allem mit Müttern, die sich während oder nach der Schwangerschaft nur noch mit der Optimierung ihres Körpers beschäftigt haben. Die Initialzündung mich mit diesem Thema zu beschäftigen lag also in meinem Umfeld. In der Schauspielszene, aber auch im Freundeskreis.

Was war denn der Grund für den Lebenswandel?

Tschirner: Die Frauen waren an einem Punkt unsicherer. Das sind die gleichen Gründe wie bei anderen auch. Viele denken: Wenn du fit bist, bist du attraktiv, dadurch hast du Erfolg. Schön erfolgreich, gesund und glücklich – das hat aber nicht zwingend etwas miteinander zu tun.

Wir machen gesellschaftlich einander Versprechungen, die Kokolores sind – und ehrlich gesagt auch gefährlich, die zu Depressionen führen können. Weil man ewig investiert und sich optimieren will, in der Hoffnung, irgendwann ein glücklicheres Leben zu führen. Dann kommt aber irgendwann die schleichende Erkenntnis, dass diese Rechnung vielleicht gar nicht aufgeht. Dann kriegt man natürlich schnell mal eine Panikattacke. Diese seelische Gefahr wollen wir transparent machen.

Sind daran auch die sozialen Netzwerke wie Instagram Schuld?

Tschirner: Natürlich nutzen viele Instagram oder Facebook, weil sie Bestätigung von außen wollen. Aber ich kann Instagram und Facebook nicht verurteilen. Es gibt dort auch Gegenbewegungen und für diese Diversität ist Instagram ein Segen, weil es auch zu Selbst-Entspanntheit und Selbst-Liebe führen kann.

Plötzlich gibt es Sichtbarkeit alternativer Schönheitsideale und die Chance auf neue Impulse und allgemeine Entspannung. Wie zum Beispiel eine angesagte Fitness-Bloggerin in den USA, die ihre Körperbehaarung nicht entfernt und sich so auch selbstbewusst zeigt. Die positive Kraft sozialer Medien zeigt sich jetzt auch ganz konkret beim Film. Ich habe 90.000 Fans bei Facebook. Das ist für eine öffentliche Person nicht so viel im Vergleich. Aber der Trailer zum Film wurde so oft geteilt, dass wir innerhalb der ersten drei Tage jeden Tag eine Million Klicks hatten. Das Thema rennt offene Türen ein und es deutet sich an, dass das, was wir medial als „Mainstream“ bezeichnen würden, offensichtlich an der Lebensrealität und den Bedürfnissen des eigentlichen Mainstreams vorbeigeht.

In Ihrer Doku „Embrace“ machen Sie auch selbst mit – nach einer Frau mit Verbrennungen und einer mit Bart. Was, kann man sich fragen, haben Sie dann da zu suchen – Sie entsprechen doch dem allgemeinen Schönheitsideal.

Tschirner: Obwohl ich diese Denkweise per se schon wieder schwierig finde, weil sie wieder behauptet, es gäbe ein äußerliches Richtig und Falsch und Besser oder Schlechter und als ginge es nicht um ein geistiges Problem, habe ich mich auch erst schwer getan, schlicht weil ich nicht wusste, ob wir meine Geschichte brauchen. Aber dann wurde mir nach und nach klar, was wir jetzt in den weltweiten Screenings bestätigt kriegen: Dass meine Geschichte eine wichtige Funktion hat, gerade was die jüngere Generation betrifft.

Nora Tschirner lebt den Traum vieler Mädchen: Sie ist Schauspielerin.
Nora Tschirner lebt den Traum vieler Mädchen: Sie ist Schauspielerin. © Reto Klar | Reto Klar

Ich lebe den Traum vieler Mädchen. Die Hauptrolle in einer Romantic Comedy zu spielen, also diejenige Figur zu verkörpern, die von allen bewundert und geliebt wird und den tollen Typen bekommt. Und zusätzlich vom Glamour nur so überschüttet wird, was ja nach Adam Riese erst recht zu Lebensglück führen muss. Diese Glitzerblase sanft und mit einer gewissen belustigten Distanz zum Business zu relativieren und zu entzaubern ist wichtig.

Wird der Film in den Schulen gezeigt, identifizieren sich, wie wir beobachten, unzählige Mädchen ausgerechnet mit mir: Red Carpet, Most Popular Actress – und denken: „Jetzt wird es interessant!“ Und dann sehen sie, dass ich das alles gar nicht so spannend finde und dass das nicht spielentscheidend für mein Lebensglück ist. Und dass das eigentliche Schön stattfindet, wenn Taryn und ich Freundschaftsgespräche führen und uns totlachen.

Glauben Sie denn, wenn Sie 20 Kilo mehr wiegen würden, wären Sie trotzdem noch als Schauspielerin erfolgreich?

Tschirner: Glaub ich nicht, weiß ich. Ich hatte mal 25 Kilo mehr auf den Rippen. Da wollte man mir in ein Drehbuch schreiben, dass ich in den Szenen immer mal wieder Schokolade esse, um damit quasi mein Aussehen zu rechtfertigen. Das habe ich abgelehnt. Danach hatte sich das Thema sofort erledigt, wir haben den Film einfach so gedreht und waren alle dufte Freunde am Set.

Das klingt sehr taff. Haben Sie sich nie unter Druck setzen lassen?

Tschirner: In meiner sogenannten „Peergroup“ war es dankbarerweise immer uncool, ein „Diät-Girl“ zu sein. Deswegen hatte ich Glück, dass ich in diese Richtung nicht abgerutscht bin. Trotzdem ist es passiert, dass jemand bei einem Shooting sagte, „Wow, das ist die Mustergröße und das mussten wir abstecken“, und ich mich ertappte, wie ich mich darüber freute. Absurd. Da denke ich Jahre später anders drüber. Eine gesunde Ernährung und Einstellung zu meinem Körper hatte ich damals nicht im Ansatz.

Denken Sie, Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“ sind eine Gefahr?

Tschirner: Ja, auf jeden Fall. Vor allem das Statement, das wir gesellschaftlich setzen, weil wir der Show so eine große Plattform bieten – die Primetime.

Was würden Sie Modelchefin Heidi Klum gerne sagen?

Tschirner: Ich habe mit keinem Menschen auf der Welt Probleme, aber ich würde freundlich sagen: Ich bitte dich, dir klar zu werden, was passiert. Und ich bitte dich, dir zu überlegen, ob du das willst. Ich würde dich an dieser Stelle gerne bitten, dass du das lässt – sehr jungen Seelen zu erzählen, dass irgendwas mit ihnen nicht oder noch nicht stimmt und dass das an ihrem Körper liegt. Vielleicht hat es einfach noch niemand versucht (lacht).

Liebe Heidi, jetzt nach zehn Staffeln mein Versuch: Lass es doch lieber. Sie soll von mir aus nicht mit Ihrem Beruf aufhören, aber bitte damit, diese Botschaften an Jugendliche zu versenden.

Männer kommen in Ihrem Film nicht vor. Dabei sind auch Sie Opfer von Body-Shaming und unnötigem Schönheits-Druck.

Tschirner: Ich weiß, dass die Zahlen steigen, auch wenn die Hauptleidtragenden mit großem Vorsprung nach wie vor Frauen sind, weil der Leistungsdruck bei Männern immer noch viel an anderen, nicht weniger gruseligen Punkten stattfindet. Ich glaube dennoch, dass betroffene Männer sich im Film wiederfinden können, denn viele der Geschichten sind universell.