Passagier der „Hindenburg“: „Luft war plötzlich wie Feuer“
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Von Dirk Hautkapp
Washington. Der letzte Überlebende der Katastrophe von Lakehurst der erinnert sich an den Absturz des Luxus-Zeppelins „Hindenburg“ vor 80 Jahren.
Ginge er ins Fernsehen, sie würden ihm Sondersendungen widmen. Schriebe er ein Buch, es würde ein Bestseller. Aber Werner Doehner ist nicht so. Der letzte Überlebende der „Hindenburg“-Katastrophe vom 6. Mai 1937 hat selten einen Blick in sein Innerstes zugelassen. Zu tief war wohl die Verletzung. Zu groß der Verlust, den er als kleiner Junge erlitt.
Am Freitagabend aber wäre der pensionierte Ingenieur, der mit seiner Frau Elin in der 1500-Einwohner-Gemeinde Parachute (zu Deutsch: Fallschirm) in den Bergen von Colorado lebt, zum Gang ins Rampenlicht bereit gewesen. Als im „Clarion Hotel“ in Toms River nahe der Absturzstelle des seinerzeit größten Luftschiffs der Welt in Lakehurst/New Jersey mit einem Fest-Dinner die Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag eingeläutet wurden, hätte Doehner gern mit am Tisch gesessen. „Ich habe mich darauf gefreut, aber was soll’s“, sagte der 88-Jährige.
1937 explodierte die „Hindenburg“
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In akzentfreiem Deutsch erzählt er am Telefon, dass er zu der Gala zunächst ein- und dann wieder ausgeladen wurde. Er vermutet, dass finanzielle Probleme dahinterstecken und verhehlt seine Irritation über die Ausladung nicht. Die Organisatoren der Gala waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. So oder so: Den Gästen in Toms River entgeht der letzte Augenzeuge einer der bewegendsten Geschichten des 20. Jahrhunderts.
Werner Doehner ist acht Jahre alt, als er gemeinsam mit Bruder Walter (10), Schwester Irene (14) und den Eltern Hermann und Matilde am 3. Mai 1937 in Frankfurt am Main den Zeppelin LZ 129 besteigt. Die wohlhabende Familie will über New York nach Mexiko-Stadt reisen, wo der Vater als Generaldirektor des Pharmazie-Handelsunternehmens Beick tätig ist.
245 Meter lang, 118 Tonnen schwer, 41 Meter hoch, bis zu 130 km/h schnell, vier Dieselmotoren, Platz für 72 Passagiere, die jeweils 1000 Reichsmark für die einfache Fahrt zahlen, alle Kabinen mit fließend warmem Wasser, vergoldetes Geschirr. Vater Hermann filmt die vorbeiziehenden Eisberge und in New York das Empire State Building. Für den Knirps ist die Reise in dem fliegenden Luxushotel, das die Nazis als Propaganda-Werbeträger einsetzen, ein Spektakel ohne Beispiel.
Reporter schlichen sich ins Krankenzimmer
Dann passiert nach 77 Stunden circa 100 Meter über dem Landeplatz in Lakehurst, 80 Kilometer südlich von New York, bei schwerem Gewitter das bis dahin Undenkbare: „Die ganze Luft war plötzlich wie ein Feuer“, erinnert sich Doehner. Binnen Sekunden, eine elektrostatische Aufladung soll die Ursache gewesen sein, geht das mit 200.000 Kubikmeter Wasserstoff gefüllte Luftschiff in Flammen auf und stürzt wie ein brennender Riesen-Lampion ab.
36 Tote. 62 Menschen kommen mit teils schwersten Verbrennungen davon. Herbert Morrison, der Radioreporter des Senders WLS Chicago, kann bei seiner Livereportage die Tränen nicht unterdrücken. „Oh, Menschheit. Das ist eine der schlimmsten Katastrophen der Welt.“ Werner Doehner überlebt, weil seine Mutter ihn und seinen Bruder Walter in letzter Sekunde aus dem brennenden Riesen wirft. Beim Sprung hinterher bricht sie sich das Becken. Hermann Doehner bleibt in den Flammen, Schwester Irene erliegt am Tag danach ihren schweren Verletzungen.
In diesen Stunden wächst Doehners bis heute ausgeprägte Reserviertheit den Medien gegenüber. Im Krankenhaus von Point Pleasant, wo er über 90 Tage verbringt und mehrfach operiert wird, schleichen sich Foto-Reporter in die Krankenzimmer. „Sie waren sehr aggressiv. Dabei hat meine Mutter versucht, uns so gut es geht abzuschirmen.“
Keine Albträume mehr durch die „Titanic der Lüfte“
Über seine Erlebnisse bleibt Doehner über Jahrzehnte fast stumm. Erst 1998 öffnet er sich gegenüber dem Filmemacher Peter Bardehle. In dessen großartiger Dokumentation „Titanic der Lüfte“ sieht man ihn gemeinsam mit Werner Franz, dem 2014 verstorbenen letzten Mitglied der Kabinencrew.
An die Stelle öffentlich inszenierter Trauer hat Werner Doehner das stille Gedenken gesetzt. Bis 2016 war er regelmäßig am Grab seiner Eltern in Mexiko-Stadt. Heute würde er sich dem Katastrophenjubiläum stellen. „Ich habe keine Albträume und auch keine Technikfeindlichkeit“, sagt der frühere Ingenieur, „die Hindenburg ist Teil meiner Biografie, das werde ich nie vergessen.“
Seit klar ist, dass Lakehurst bei den bis Sonnabendabend dauernden Feierlichkeiten auf seine Anwesenheit verzichtet, hat Doehner noch mehr Zeit, sich auf ein wichtigeres Jubiläum zu konzentrieren. „Ich feiere in diesem Jahr Goldene Hochzeit.“