Lauenau. Wieder ist ein Lastwagen auf einen Pkw aufgefahren. Mutter und Sohn sterben im Wrack. Der Ruf wird laut nach einem neuen Bremssystem.

Es war eine Tragödie mitten im Berufsverkehr: Ein Lkw-Fahrer hat am Donnerstagabend auf der A 2 das Stauende zu spät gesehen, fuhr auf den Wagen vor ihm auf und schob ihn in einen vorausfahrenden Lastwagen. Durch die Wucht des Aufpralls war das Führerhaus des Sattelzuges auf den SUV gekippt, der komplett zerdrückt wurde. Die Insassen hatten keine Chance. Die Frau (43) und ihr zehnjähriger Sohn starben noch an der Unfallstelle. Die Lkw-Fahrer wurden leicht verletzt.

Für Verkehrsexperten ist das Drama, das sich jetzt bei Lauenau in Niedersachsen ereignete, keine Seltenheit. „Rund 60 Prozent der tödlichen Unfälle mit Lkw-Fahrern als Hauptverursachern waren Zusammenstöße mit vorausfahrenden oder stehenden Fahrzeugen“, heißt es vom ADAC. Verkehrspsychologen sprechen bereits von „Albtraum Stau“.

Notbremsassistenten oft ausgeschaltet

Eine der häufigsten Ursachen ist laut ADAC zu geringer Abstand zum Vordermann. Auch Ablenkung und Übermüdung spielen bei der Unfallentstehung eine Rolle – aber auch das Überlisten der eingebauten Notbremssysteme. Warum der Lkw-Fahrer das Stauende übersah, müssten die Ermittlungen ergeben, sagte Mirco Nowak, Polizeisprecher in Hannover. „Auch wird untersucht, ob der Sattelzug vom Bautyp MAN über ein Bremswarnsystem verfügte und, wenn ja, warum es nicht griff.“

Die Bremswarnsysteme „funktionieren in der Regel wunderbar“, so Siegfried Brockmann, Leiter „Unfallforschung der Versicherer“ in Berlin. Seit 2015 müssen alle neuen Lkw mit einem Notbremsassistenten ausgestattet sein. Der Haken sei: Sie würden oft einfach ausgeschaltet, „weil es die Fahrer nervt“, so Brockmann. Der Fahrer fühle sich gestört, erst durch das Piepen, dann durch den Abbremsprozess. „Dann kann er nicht mehr das tun, was er gerne tut: ganz dicht auffahren“. Der Bremsweg eines Lkw ist bei 8o km/h etwa 36 Meter, beim Pkw 23 Meter. Noch ein Problem: „Ältere Lkw haben das System eben noch nicht.“ Es lasse sich auch nicht nachträglich einbauen.

Brockmann fordert, dass Notbremssysteme verpflichtend werden, die nach Sekunden wieder anspringen, auch wenn sie ausgeschaltet wurden. Nur auf diese Weise könnten Unfälle vermieden werden, die meist dramatische Folgen haben: Wie 2016, als eine deutsche Familie im Stau am Brenner ausgelöscht wurde. Ihr Wagen wurde zwischen zwei Lastwagen zerquetscht. Die Dramen ähneln sich auf traurige Weise. Mitte 2016, A 3 bei Nürnberg: Drei Menschen sterben, als ein Lastwagen in das Stauende fährt und zwei Autos in einen anderen Lkw schiebt. Auf der A 6 kamen kurz darauf vier Menschen ums Leben, darunter drei Kinder.

Ablenkung der Fahrer durch Laptop und Kreuzworträtsel

„Ein großes Problem ist nicht nur die Übermüdung, sondern auch die Ablenkung der Fahrer. Um sich wachzuhalten, spielen sie oft am Laptop oder lösen Kreuzworträtsel und gucken nicht auf die Fahrbahn“, sagt der Verkehrsexperte. Auf der A 4 bei Aachen war der Beweis dafür am Unfallort zu sehen, dem toten Fahrer aus Polen klebte noch der Laptop zwischen Kopf und Windschutzscheibe.

Als Polizisten in Karlsruhe mit versteckter Kamera in einem Wohnmobil loszogen, um nach Lkw-Fahrer Ausschau zu halten, die auf dem Laptop spielten, trafen sie sogar auf Zustimmung vieler Lkw-Fahrer, die sich im Internet Luft machen: „Jeden Tag passiert mindestens ein Lkw-Unfall am Stauende. Es ist nur noch der blanke Wahnsinn.“