Los Angeles. In Kalifornien beginnt das Coachella-Festival. Stars setzen sich in Szene. Jeder kann Tickets kaufen – wenn er sie sich leisten kann.
Von wegen Billigbier im Sixpack und Dosenravioli auf dem Camping-Gaskocher. In der Businessclass des umsatzstärksten Musik-, Kunst- und Lifestyle-Festivals der Welt nimmt der solvente Kunde zwischen den Konzerten ein Vier-Gänge-Dinner mit veganen Tacos in der „Hacienda Del Torro“ ein.
Danach geht’s zur Linderung von Muskelkater und seelischen Verspannungen in die „Abreva Fast Healing Cold Sore Treatment Relaxation Oasis“. Im Chiaozza-Garten kommt vor schrill bunten Skulpturen das Selfie-Gen zu seinem Recht. Und wer nach zwölf Stunden Live-Musik von Radiohead über Lady Gaga bis zum Rap-Poeten Kendrick Lamar endlich Ruhe sucht, findet sie im Safari-VIP-Zelt mit Klima-Anlage und flauschigen Daunenoberbetten.
Tickets kosten bis zu 8500 Dollar
Kostenpunkt inklusive Ticket für rund 150 Bands aus Rock, Hip-Hop, Alternative und Elektronischer Tanzmusik: 8500 Dollar. Willkommen beim Coachella!
Coachella-Festival in Kaliforniens Wüste
Seit Karfreitag ist das staubtrockene Coachella-Tal im Süden Kaliforniens wieder das Mekka all jener, für die knapp 50 Jahre nach Woodstock Festivals weit mehr sind als lautstarkes Zelten mit zu viel Bier und Kater am Morgen danach.
Stars wie Leonardo DiCaprio, Rihanna oder Katy Perry
Auf den sattgrünen Wiesen des Empire-Polo-Clubs im Städtchen Indio hat der mit der Punkbewegung groß gewordene Impresario Paul Tollett zum nunmehr 18. Mal wieder ein ökonomisch straff choreografiertes Multifunktionsereignis inszeniert. Musik, Mode, Lifestyle, Kulinarisches und Hightech gehen hier eine selten gut zu vermarktende Mischung ein.
Das und die geografische Nähe zum zweieinhalb Autostunden entfernt liegenden Promi-Hotspot Los Angeles garantiert, dass man in den sechs nach Wüsten benannten Konzertzelten (Gobi, Sahara, Sonora etc.) fast wie selbstverständlich auf Leute wie Leonardo DiCaprio, Rihanna oder Katy Perry stößt.
Coachella startete 1999 als kleines Indie-Festival
Modelstars wie Alessandra Ambrosio oder Emily Ratajkowski kündigen ihre Teilnahme inzwischen per Foto auf Instagram an. Auch darum ist Coachella, das 1999 als kleines Indie-Festival mit 25.000 Zuschauern startete, heute der wohl wirkmächtigste Open-Air-Catwalk auf dem Planeten.
Große Firmen nutzen das an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden knapp 250.000 Menschen aus aller Welt anziehende Happening für ihre Produktwerbung. So reist der deutsche Hollywoodkomponist Hans Zimmer zu seinem Konzert in einem futuristischen Modell eines bayrischen Motorenwerks an. Die Modekette H&M promotet ihre aktuelle Sonderkollektion mit Fransenwesten und Batik-T-Shirts im Hippie-Look.
Preise für Unterkünfte steigen um 300 Prozent
Jedes Jahr werden die Gesetze der Marktökonomie in dem eingezäunten Refugium am Fuße der Santa-Rosa-Berge verfeinert. Sprich: teurer. Wer in der Gegend zu Hause ist, kommt für das Drei-Tage-Ticket mit Billigunterkunft und Essen mit 700 Dollar aus. Von der Ostküste aus angeflogen, schlägt die Sause schon mit 1600 Dollar zu Buche.
Hauptproblem: das Wohnen. Die Hotelpreise in der eher strukturschwachen Region steigen während des Spektakels, das über 200 Millionen Dollar in die Gegend pumpt, um 300 Prozent und mehr.
Die Konzerte werden live im Internet übertragen
Die Lokalzeitung „Desert Sun“ hat wie in den Vorjahren wieder einen Leitfaden veröffentlicht. Darf man beim Coachella Marihuana rauchen? Nein (trotzdem tun es Tausende). Worauf sollte man besonders achten? „Viel Wasser trinken, Hüte aufsetzen und Sonnenschutz mit Faktor 30 aufwärts nicht vergessen.“
Wem das alles zu viel Aufwand ist, kann sich Coachella auch daheim auf dem Sofa ansehen. Die Konzerte werden über drei verschiedene YouTube-Kanäle live gestreamt. Heißt in Deutschland: neun Stunden später. Wer also sehen und hören will, wie Lady Gaga ihr „Poker Face“ aufsetzt, der sollte am Ostersonntag um 8.25 Uhr ins Netz gehen. Kendrick Lamar wird sein neues Album „Damn“ am Ostermontag um 7.25 Uhr zu Gehör bringen.