Hamburg. Der Hamburger Daniel Wendt hat einen der größten natürlichen Goldfunde in Deutschland gemacht. Nun steht fest, wo sein Schatz herkommt.

Goldfunde in Deutschland sind selten, doch es gibt sie. Ob im Rhein oder in der Elbe, im Main oder in der Isar und im Inn – in allen Flüssen, die in Gebirgen mit Goldgehalten entspringen, findet sich das Edelmetall in geringen Mengen. Bis heute setzt die Erosion in den Alpen, dem südlichen Schwarzwald, dem bayerischen Wald, dem Thüringer Wald und dem Erzgebirge Goldpartikel frei. Der Regen wäscht sie aus, spült sie in die Flüsse.

„Wo die Fließgeschwindigkeit gering ist, lagert sich das Gold dann ab“, weiß Thomas Becker, der Hamburger Goldschmied wäscht selber Gold. Ganz selten findet es sich auch in den Ablagerungen der Gletscherströme der Eiszeiten, die das Edelmetall aus den Gebirgen Skandinaviens mitbrachten. Ihnen verdankt der Hamburger Daniel Wendt seinen Schatz, einen der größten natürlichen Goldfunde, der je in Deutschland gemacht wurde.

Fünf Jahre lang auf der Suche nach der Herkunft

Auf einem Wanderweg am Roten Kliff fand ein Hamburger ein 10,4 Gramm schweres Goldstück.
Auf einem Wanderweg am Roten Kliff fand ein Hamburger ein 10,4 Gramm schweres Goldstück. © iStock | iStock/reach-art

Am 21.Juli 2012 ging der Labortechniker bei strahlendem Sonnenschein mit seiner Familie auf dem öffentlichen Wanderweg am Roten Kliff auf Sylt spazieren – da fand er einen fingernagelgroßen, goldglänzenden Stein. Doch bis der Finder sicher war, wo dieser 10,4 Gramm schwere Stein herkommt, vergingen fast fünf Jahre akribischer wissenschaftlicher Arbeit. Erst dann stand fest: Die Eiszeiten trugen ihn von Südnorwegen nach Sylt.

„Zunächst war ich sehr skeptisch“, berichtet Professor Jochen Schlüter. Der Mineraloge leitet das Mineralogische Museum im Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg. „Gold von Sylt, das war doch mehr als unwahrscheinlich; und dann auch noch in dieser Größe.“ Doch als Schlüter das Fundstück sah, waren seine Zweifel wie weggeblasen. Dafür gab es neue Fragen: Wie gelangte dieser Fund nach Sylt? Woher kommt er ursprünglich?

Jochen Schlüter wälzte die Literatur, um die Ausbreitung der Gletscher der Eiszeiten zu ergründen: Die Elster-Eiszeit, die Saale-Eiszeit und die Weichsel-Eiszeit. Die Gletscherströme der beiden ersten Eiszeiten legten dem Land bis an die Mittelgebirge einen mächtigen Eispanzer auf und hinterließen beim Abschmelzen ihre mitgeführten Gesteine und Sedimente – auch auf Sylt. Der Mineraloge beriet sich mit Kollegen, die Experten für das jüngste Erdzeitalter sind.

Goldmine als Ursprungsort?

Die Quartärgeologen können anhand charakteristischer Gesteine in den eiszeitlichen Ablagerungen, sogenannter Leitgeschiebe, erkennen, wo in Skandinavien diese ursprünglich beheimatet sind. „Demnach stammen die Ablagerungen am Roten Kliff auf Sylt aus der mittleren Eiszeit, der Saale-Eiszeit. Die logische Konsequenz daraus: Das Gold müsste, um mit den Gletschern dieser Eiszeit nach Sylt gereist zu sein, aus Schweden stammen. Ich vermutete zunächst als Ursprungsort die berühmte Goldmine Ädelfors in Südostschweden, die seit 1738 Goldgräber anzieht“, so Schlüter.

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    Zugleich nahm der Mineraloge im Frühjahr 2014 das Gold chemisch unter die Lupe und stellte zu seiner Verwunderung fest: Es war kein reines Gold. Vielmehr war es eine natürliche Mischung von Gold und Silber, die Elektrum genannt wird. „Damit war schlagartig klar, aus der Goldmine Ädelfors kann der Fund nicht stammen. Das schwedische Gold dort sieht chemisch ganz anders aus.“ Woher stammt er dann? Experten wissen, dass die mittlere Eiszeit auch Material der älteren Elster-Eiszeit beförderte. Jochen Schlüter wurde nun klar, dass er seine Suche auf ein knapp 500.000 Quadratkilometer großes Gebiet in Südskandinavien ausdehnen musste, in dem es fünf goldführende Regionen gibt.

    Das Ergebnis der Arbeit war verwirrend

    Er bat Kollegen aus Deutschland, Schweden und Norwegen, ihm Referenzproben aus dieser Region in Südskandinavien zu geben, damit er diese mit dem Sylter Goldfund vergleichen konnte. „Ende 2014 hatte ich diesen Prozess abgeschlossen und war zutiefst überrascht: Die chemische Zusammensetzung des Elektrums entsprach am ehestens dem Edelmetall, das in der berühmten Silbermine nahe Kongsberg in Norwegen gewonnen wurde“, sagt Schlüter. „Dieses Ergebnis nach zwei Jahren Arbeit war verwirrend. Zumal in der Region Kongsberg noch nie so reiches Elektrum gefunden worden ist. Also veranlasste ich weitere Analysen.“

    Schlüter schickte Material des Sylter Goldfundes und von sieben skandinavischen Referenzproben ans Steinmann Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie der Uni Bonn. Dort analysierte Dr. Raúl Fonseca die Spurenelemente. Deren Gehalte sind für Metalle eines gleichen Herkunftsortes fast so charakteristisch wie ein Fingerabdruck. Ergebnis: Die Signatur des Goldfundes stimmt nahezu vollständig mit dem Edelmetall überein, das in Kongsberg gefördert wurde.

    Goldstück lag 215.000 Jahre versteckt

    Gewissheit brachte vier Jahre nach der Entdeckung aber erst das Ergebnis weiterer Analysen von Dr. Stephan Schuth am Institut für Mineralogie der Universität Hannover. Das Verhältnis der Bleiisotope in den Proben zeigte eindeutig: Die Quelle des Sylter Goldes liegt in der Region Kongsberg.

    Die erste Eiszeit transportierte das Gold von Norwegen an den nördlichen Rand der norddeutschen Tiefebene. Die zweite Eiszeit, deren Gletscher von Schweden aus die norddeutsche Tiefebene überzogen, nahm das Gold mit nach Sylt und lagerte es dort mit viel Geröll ab. „Überschlägig brauchte das Gold also 145.000 Jahre, um von Kongsberg nach Sylt zu gelangen. Dort lag es weitere 215.000 Jahre, bevor es entdeckt wurde“, so Schlüter. „Dagegen sind knapp fünf Jahre Forschung doch gar nichts.“