Berlin. Helfer kommen auf der Autobahn häufig nicht zur Unfallstelle durch. Ein Verkehrspsychologe sagt, das Mitgefühl der Menschen schwindet.

Es ist schon wieder passiert. Diesmal nach einem Unfall auf der A7 in Nordhessen, drei Lastwagen waren am Donnerstag ineinander gekracht. Was dann geschah, kennen viel zu viele Rettungshelfer aus ihrem Berufsalltag: Als Feuerwehr und Krankenwagen anrücken, um die Fahrbahn zu räumen und einen verletzten Lkw-Fahrer ins Krankenhaus zu bringen, bleiben sie im Stau stecken.

Mehrere Pendler weigern sich, eine Rettungsgasse zu bilden, durch die die Helfer schnell zum Unfallort durchrauschen könnten. Stattdessen müssen Feuerwehrleute aussteigen und die Autos mühsam an die Fahrbahnseite lotsen. Ein genervter Helfer stöhnt hinterher über die rücksichtslosen Blockierer: „Ich habe den Eindruck, es wird immer schlimmer.“

„Hier zählt jede Minute“

Reines Glück, dass die Behinderung keine ernsten Konsequenzen hatte – der verletzte Lkw-Fahrer wurde mit Nackenschmerzen in eine Klinik nach Melsungen gebracht. Sanitäter, Verkehrsexperten und Politiker beobachten entsetzt, dass Szenen wie auf der A7 immer häufiger vorkommen. „Vor allem schwer und schwerst verletzte Unfallopfer müssen möglichst schnell versorgt werden – hier zählt jede Minute“, warnt Oliver Reidegeld, Sprecher des Autoclubs ADAC Hessen-Thüringen.

Tatsächlich sind schon Menschen gestorben, weil Autofahrer keine Rettungsgasse bilden wollten. Vor anderthalb Jahren etwa blieben Rettungskräfte nach einem Unfall auf der A2 in Brandenburg im Verkehr stecken. Als der Notarzt endlich am Unfallort ankam, konnte er nur noch den Tod eines schwer verletzten Lkw-Fahrers feststellen.

Autofahrer wollen um jeden Preis Wartezeit vermeiden

Vor zwei Wochen erst sorgte das besonders dreiste Verhalten mehrerer Autofahrer für bundesweite Empörung. Nachdem ein Bauarbeiter in Südhessen von einer Brücke auf die A5 gestürzt war, nutzten „einige Schlaumeier“ die Rettungsgasse, um dem Stau zu entkommen, wie der Feuerwehrmann Theo Herrmann erzählt. Er war dabei: „Die Autos standen kreuz und quer“, sagt der 59-Jährige. „Wir mussten die letzten 800 Meter bis zum Einsatzort laufen. In voller Montur.“ Er und seine Kollegen hätten sich sogar noch dumme Sprüche gefallen lassen müssen – „macht doch nicht so einen Zirkus“. Herrmann ist seit 46 Jahren bei der Feuerwehr. „Aber so etwas habe ich noch nicht erlebt.“

„Wenn die Sanitäter erst noch zur Unfallstelle laufen müssen, ist das natürlich eine erhebliche Stresssituation“, sagt auch Günter Ohlig vom Deutschen Roten Kreuz. Wie kann es sein, dass Autofahrer mitten in Deutschland durch unverschämtes Verhalten Leben aufs Spiel setzen? Der Frankfurter Verkehrspsychologe Peter Fiesel glaubt, dass Menschen immer mehr mit sich selbst beschäftigt seien und sich im Auto zudem isoliert fühlten. „Ich beobachte einen zunehmenden Egozentrismus in der Gesellschaft, während Mitgefühl und Rücksichtnahme schwinden.“

Für Rettungsgassen gibt es eine einfache Faustregel

Die Faustregel ist denkbar einfach: Wer auf dem linken Fahrstreifen unterwegs ist, fährt nach ganz links, sobald der Verkehr stockt. Alle anderen Fahrzeuge fahren möglichst weit rechts. Die Frage ist, wie Fahrer dazu gebracht werden können, tatsächlich eine Gasse zu bilden. Das Land Hessen hat bereits 2015 eine Kampagne gestartet und will Autofahrer mit Plakaten sensibilisieren. Die Bußgelder, die Blockierern drohen, wirken jedoch wenig abschreckend, kritisiert etwa Feuerwehrmann Theo Herrmann. Nach dem Unglück auf der A5 hatten er und seine Kollegen 30 besonders dreiste Autofahrer der Polizei gemeldet. Doch die meisten werden mit gerade einmal 20 Euro davonkommen.

Der Bundesrat will derartige Behinderungen zu einer Straftat verschärfen – dann droht bis zu ein Jahr Gefängnis. Wann das Vorhaben umgesetzt wird, ist offen. Ein Problem bleibt so oder so: Nur selten werden solche Verstöße überhaupt verfolgt. Denn im Notfall hat kein Rettungshelfer Zeit, Nummernschilder zu notieren.