Ellwangen. Angeklagter verursachte schweren Autounfall auf der A7 in Baden-Württemberg. Im Prozess versucht er, die Opferfamilie einzuschüchtern.

Um ein Haar hätte er eine ganze Familie ausgelöscht. Weil er einen Stein auf die Autobahn geworfen haben soll. Doch statt mit einer Entschuldigung beginnt die Verhandlung gegen Jörg B. (37) gestern mit einem Eklat. Als Familienvater Serdal Öztürk vor dem Landgericht im württembergischen Ellwangen schildert, wie er den Unfall erlebt hat („Es gab einen Knall, die Airbags gingen auf und ich dachte, das überlebe ich nicht“), fällt ihm der Angeklagte wutschnaubend ins Wort.

Jörg B. droht seinem Opfer: „Sobald ich draußen bin, baue ich mir eine Knarre und knall dich ab!“ Mit diesem Prozessverlauf hätten die Öztürks wohl nicht mal in ihren schlimmsten Albträumen gerechnet. Ein halbes Jahr ist die schwer fassbare Tat nun her. In der Nacht zum 25. September soll der Angeklagte einen zwölf Kilo schweren Betonpflasterstein auf die Autobahn 7 bei Giengen an der Brenz nahe Ulm geschmettert haben. Das hat er gegenüber der Polizei gestanden, doch sein Motiv ist völlig unklar.

Zu spät zum Ausweichen

Fest steht: Um 1.30 Uhr befindet sich Familie Öztürk auf dem Heimweg von einer Hochzeit, die Tochter (6) und der Sohn (5) schlafen auf der Rückbank. Plötzlich liegt dieser Steinklotz auf der Straße. Zum Ausweichen ist es zu spät. Der Wagen trifft das Hindernis, ein Reifen platzt, das Auto rast eine Böschung hoch, überschlägt sich mehrfach und bleibt völlig zertrümmert auf dem Dach liegen. Serdal Öztürk (33) ist schwer verletzt, hat sich Knie, Becken und mehrere Rippen gebrochen.

Die Kinder wurden aus dem Fahrzeug geschleudert. Wie durch ein Wunder kommen sie mit Prellungen und Schürfwunden davon. Am schlimmsten hat es Mutter Deniz Öztürk (26) erwischt: Hals- und Brustwirbel sind gebrochen, Schädelbasisbruch, Hirnblutung. Sie überlebt, doch ihr rechter Unterschenkel muss amputiert werden. Vier Tage nach der Tat verhaften Polizisten Jörg B. Weil er bereits mehrfach Ärger mit der Justiz hatte, können Ermittler die auf dem Betonklotz sichergestellte DNA mit ihm in Verbindung bringen.

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Nur eingeschränkt schuldfähig

Nach dem Eklat im Gerichtssaal droht der Vorsitzende Richter Gerhard Ilg dem Angeklagten mit einer „Ordnungsmaßnahme“, wenn sich Jörg B. nicht sofort beruhige. Danach sitzt der bärtige Mann schweigend auf seinem Platz, er wirkt gelangweilt. Sein Wutausbruch lässt ahnen, dass dieses Verfahren alles andere als leicht wird. Kurz vor Ostern soll das Urteil fallen.

Was geht in dem Mann vor, warum hat er den Stein auf die Fahrbahn geworfen? Einem psychiatrischen Gutachten zufolge sei er zur Tatzeit „wegen einer anderen schweren seelischen Abartigkeit“ nur eingeschränkt schuldfähig gewesen, sagt Oberstaatsanwalt Peter Staudenmaier. Jörg B. ist des versuchten Mordes angeklagt. Denkbar ist die Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Anstalt.

Unfall nicht verwunden

Die Öztürks leiden bis heute unter der Tat. Mutter Deniz liegt immer noch im Krankenhaus. Um ihre Zeugenaussage zu machen, wird sie im Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben. Sie sei teils gelähmt, erzählt sie mit leiser Stimme, ihre Notdurft könne sie nicht ohne Hilfe verrichten. Ihr Mann hofft, dass sie nach Hause darf.

Die Kinder wirken auf Fremde erstaunlich unbeschwert – wohl auch, weil sie das Ausmaß der Katastrophe gar nicht wirklich erfassen. Die Amputation der Mutter zeigten die Eltern ihnen erst viel später. „Die Kinder vermissen die Mama sehr“, hat Serdal Öztürk Reportern bereits vor dem Prozess erzählt.

Ein Schimmer Hoffnung

Dazu kommen finanzielle Sorgen. Bald nach dem Unfall kamen die Rechnungen, etwa für die Lagerung des kaputten Autos. Und wenn die Mutter aus der Klinik entlassen wird, muss die Familie in ein barrierefreies Haus umziehen. Immerhin kann sich die Familie auf ihr Umfeld verlassen. Freunde und Nachbarn haben 35.000 Euro gesammelt.

Das Geld soll helfen, dass sich die Öztürks einen Bungalow kaufen können – behindertengerecht. Ein Schimmer Hoffnung. Doch von einem normalen Leben sind sie weit entfernt.