Berlin. Immer mehr Frauen möchten ihr Baby zu Hause bekommen. Manche ohne Hebamme. Ärzte raten dringend von den sogenannten Alleingeburten ab.

Saralisa Volm (31) hat zu lange gewartet, es eigentlich sogar provoziert. Denn jetzt ist die Hebamme nicht da, und sie fühlt „schon einen Kopf zwischen ihren Beinen“. Sie schafft es dennoch, in dieser Situation unangemessen cool zu reagieren. „Wir bekommen jetzt das Baby“, ruft sie ihrer Freundin Anna durch die geschlossene Badezimmertür ihrer Wohnung zu. „Ruf die Hebamme und koch Kaffee.“

Das Kaffeekochen ist als „psychologische Maßnahme für Anna“ gemeint. „Damit die Beteiligten nicht durchdrehen.“ Fünf Minuten und eine Presswehe später, hält sie ihr nasses Neugeborenes in den Händen. Das Baby ist rosafarben, und Saralisa Volm ist glücklich. Und schließlich sei auch die Hebamme eingetroffen, erzählt sie. Drei Kinder hat die Berliner Schauspielerin und Filmproduzentin heute, alle drei sind zu Hause geboren.

Selbstbestimmungsrecht der Frau

Die Schauspielerin Saralisa Volm lebt mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen in Berlin. Alle drei Kinder hat sie zu Hause auf die Welt gebracht.
Die Schauspielerin Saralisa Volm lebt mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen in Berlin. Alle drei Kinder hat sie zu Hause auf die Welt gebracht. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Gregor Fischer

Das Phänomen der sogenannten Alleingeburt wird dieser Tage viel diskutiert. Geburtsmediziner halten sie für potenziell lebensgefährlich für Kind und Mutter, Hebammen stehen ihr meist etwas toleranter gegenüber, verweisen auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Sarah Schmid (35), studierte Medizinerin und sechsfache Mutter, gilt als Vorreiterin dieser Bewegung. Die Deutsche, die mit ihrer Familie im Elsass lebt, bekam alle ihre Kinder zu Hause, eines im benachbarten Wald, zwei im heimischen Garten.

„Alleingebärende“, die ihr Kind ganz bewusst ohne Ärzte und ohne Hebammen auf die Welt bringen, werden statistisch zwar nicht erfasst. Von den jährlich knapp 10.000 außerklinischen Geburten in Deutschland sind allerdings heute ein Drittel Hausgeburten – Tendenz steigend. Beim europäischen Spitzenreiter, den Niederlanden, kommt sogar jedes dritte Baby zu Hause auf die Welt. „Ich wollte meine Kinder selbstbestimmt zur Welt bringen“, sagt Sarah Schmid unserer Redaktion.

Angst vor Komplikationen

„Eine Geburt ist ein intimer Moment, wenn andere Menschen dabei sind, kann ich mich schlechter auf mich und auf den Geburtsprozess konzentrieren.“ Ähnlich sieht es auch Saralisa Volm. Bei ihrem ersten Kind, das sie in ihrer Berliner Wohnung zur Welt brachte, war noch eine Hebamme dabei. „Beim zweiten Kind hatte ich das Gefühl, mir geht es besser, wenn ich während der Geburt alleine bin.“ Angst vor Komplikationen haben beide Mütter nicht.

Saralisa schreibt in ihrem Buch „Mama Beat“ (Beltz) über ihre „Traumgeburten“. In „Alleingeburt, Schwangerschaft und Geburt in Eigenregie“ ermutigt Schmid sogar andere Frauen, es ihr gleichzutun. Sie habe immer einen Notfallplan und ihr Handy dabei, betont sie, schreibt aber auch, dass ein Beutel gefrorener Erbsen gegen Blutungen helfen könne. Am Ende betont Schmid jedoch auch, dass jeder für sich selbst verantwortlich sei und abwägen müsse.

Plötzlich eintretender Notfall

Wolfgang Henrich hat für Alleingebärende kein Verständnis. „Noch nie war die Mütter- und Kindersterblichkeit so niedrig wie heute“, sagt der Direktor der Geburtsmedizin der Berliner Charité im Gespräch mit unserer Redaktion. Sein Haus ist mit 5245 Geburten im Jahr 2016 Deutschlands geburtenstärkste Klinik. Laut Henrich können die Folgen eines plötzlich eintretenden Notfalls wie ein akuter Sauerstoffmangel, eine massive Blutung oder eine Fruchtwasserembolie Mutter und Kind das Leben kosten.

Zudem würden nahezu 50 Prozent aller Hausgeburten im Laufe des Geburtsvorgangs in eine Klinik verlegt. „Ich finde, es zeugt von fehlender Rücksichtnahme auf das wehrlose Ungeborene, wenn sich eine Mutter aus Egoismus bei einer Hausgeburt verwirklichen möchte“, sagt Henrich.

Videos ihrer Geburt

Eine Schwangere trage die Verantwortung für ihr Ungeborenes, auch wenn sie rein rechtlich keine Hilfe für die Geburt in Anspruch nehmen müsse. Immer wieder verweisen Mediziner auf den Fall der Hebamme Anna R. Während einer ihrer Geburten im Jahr 2008 starb das Baby. Anna R. wurde im Jahr 2014 wegen Totschlags zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Solche Fälle sind aber eine Ausnahme.

Nach der Geburt von Saralisa Volms Baby zu Hause war ihre Freundin Anna etwas überrumpelt, aber dennoch beeindruckt. „Eine solche Geburt fühlt sich so richtig an“, sagte Anna später ihrer Freundin. Die Alleingebärende Sarah Schmid rät derweil allen Frauen dazu, die Videos ihrer Geburten, die sie auf ihre Webseite gestellt hat, anzuschauen. Denn wer wisse, wie eine Geburt abläuft, sei vielleicht auch im Krankenhaus viel selbstbewusster.