Berlin/Bremen. Lisa Marie Haas ist eine der sechs Finalistinnen von „Die Astronautin“. Die Initiative will die erste deutsche Frau zur ISS schicken.
- Eine private Initiative führt ein Casting durch, das eine deutsche Astronautin hervorbringen soll
- Die Gewinnerin soll zur ISS reisen und auf der Raumstation arbeiten
- Aus Auswahlverfahren ist anspruchsvoll
Den schwarz-orangefarbenen Astronautenanzug trägt sie bereits, bedient Schalthebel im einem Modul der Internationalen Raumstation (ISS), wirft einen prüfenden Blick auf eine der Anzeigen an der Raumschiffwand. Doch noch steht Lisa Marie Haas (33) – ganz so wie im echten Leben – mit beiden Füßen fest auf dem Boden, statt in der Schwerelosigkeit zu schweben.
Die ISS ist lediglich ein Nachbau des Originals, das im Raumfahrtzentrum von Airbus in Bremen steht. Knöpfe und Hebel drückt die promovierte Physikerin ausschließlich für die vielen Pressevertreter und Kamerateams, die sich am Mittwoch bei Airbus versammelt haben, um sechs junge Frauen kennenzulernen. Denn Haas ist eine der Frauen, die es ins Finale eines ganz besonderen Castings geschafft haben: „Die Astronautin“ heißt das Projekt, das als private Initiative vor 2020 die erste deutsche Astronautin ins Weltall zur ISS starten lassen will.
Der Traum vom Blick auf das „Raumschiff Erde“
Wenn Haas über ihren Traum vom Orbit erzählt, strahlt jeder Quadratmillimeter ihres Gesichts. „Ich wollte schon immer Astronautin werden, schon als Kind“, sagt sie mit einer Begeisterung, die so ansteckend ist wie ein hochinfektiöser Virus. Sie spricht von ihrer Neugier, ihrem Forschergeist, davon, wie gern sie „mit Blick von oben auf das Raumschiff Erde“ hinunterschauen will. Fast kindlich wirkt da diese Begeisterung. Dabei ist Lisa Marie Haas eine gestandene Frau.
Die Mutter zweier Söhne, zwei und fünf Jahre alt, arbeitet als Entwicklungsingenieurin für Aufbau- und Verbindungstechnologie bei Robert Bosch. Sie entwickelt Sensoren, die später beispielsweise in Handys oder Tablets verbaut werden. In ihrer Freizeit zieht es sie zum Klettern an steile Felswände oder auf Hoch- und Skitouren hoch hinaus.
Vorbild für junge Frauen
Und nun will sie eben ins All. „Das schönste Erlebnis wäre es, wenn ich als erste deutsche Frau im All wäre und danach ganz viele Mädchen auch Astronautin werden wollten“, sagt sie.
Sie wolle Vorbild sein, weil es mehr Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen brauche. Wenn junge Mädchen sehen würden, dass eine ganz normale Frau Astronautin sein könne, dann würde es viel mehr Frauen in dieses Berufsfeld ziehen, ist sie überzeugt. Und wieder versprüht ihr Lächeln dabei eine riesige Portion Begeisterung in die Atmosphäre.
Eine von 480 Bewerberinnen soll zur ISS
Unter mehr als 480 Frauen hat Haas es unter die sechs Finalistinnen von „Die Astronautin“ geschafft. Vor etwa einem Jahr startete das Bewerbungsverfahren. Lebenslauf, Bewerbungsvideo, Fragebogen mit Zusatzinformationen, ein persönliches Interview, ein medizinischer Fragebogen, zwei psychologische und ein medizinischer Test beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) – all das hat Haas bestanden.
Im Bewerbungsprozess wurden immer mehr Frauen ausgesiebt. Von 480 Einsendungen wurden nur 408 als ernstzunehmende Bewerbungen anerkannt. Den medizinischen Fragebogen brauchten schon nur noch 120 Frauen auszufüllen. 86 Bewerberinnen gingen in die erste Runde der psychologischen Tests, 30 in die zweite – nur acht bestanden. Und davon wiederum sind nur sechs auch aus medizinischer Sicht tauglich für eine Reise zur ISS.
Muskeln und Knochen bauen sich im All ab
Wann aber ist frau alltauglich? Gefragt seien vor allem Teamfähigkeit, Kommunikationsstärke, ein gutes Konfliktmanagement, ein gutes Maß an Stressresistenz – und eine gute Portion Humor, sagt Claudia Stern, Leiterin des medizinisch-psychologischen Auswahlverfahrens für „Die Astronautin“. „Wir brauchen keine Superwoman. Aber eine Frau, die ins All fliegt, muss sehr gesund sein und über eine gute körperliche Fitness verfügen. Sie muss das Astronautentraining gesund absolvieren können und sollte natürlich auch während der Mission nicht krank werden.“
Ausschlusskriterien seien etwa Krankheiten wie Parkinson, Schizophrenie oder massive Allergien. Die gesundheitliche Belastung im All sei sehr hoch. Knochendichte und Muskelmasse bauten sich in der Schwerelosigkeit rasch ab, die Strahlenbelastung sei relativ hoch.
Harte Konkurrenz unter Bewerberinnen
Nach einem Aufenthalt im All käme es häufig zu Kreislaufproblemen, zu einer schlechten Flüssigkeitsverteilung im Körper oder zu Problemen mit den Augen. Die Schwerelosigkeit mache eine medizinische und physiotherapeutische Reha nötig – und das auch schon nach kurzen Weltraum-Aufenthalten von zehn Tagen. Allerdings: „Durch die Raumfahrt entstehen keine gefährlichen Gesundheitsschäden“, heißt es auf der Internetseite von „Die Astronautin“.
Die Finalistinnen von „Die Astronautin“
Die Konkurrenz bei „Die Astronautin“ ist groß. Unter Lisa Marie Haas’ übrig gebliebenen Mitbewerberinnen sind hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen, Ingenieurinnen sowie eine der drei einzigen weiblichen Eurojet-Kampfpiloten der Bundeswehr – alle selbstverständlich topgesund. Zwei von ihnen sollen beim DLR zu Astronautinnen ausgebildet werden – zu kommerziellen Astronautinnen.
10 bis 14 Tage Aufenthalt auf der ISS
Für eine Laufbahn als Berufsastronaut wären die Voraussetzungen noch strenger. Welche beiden Finalistinnen tatsächlich am Astronautentraining teilnehmen werden, entscheidet eine Jury im April. Eine dieser beiden soll dann für 10 bis 14 Tage zur ISS fliegen dürfen – als erste deutsche Frau im All.
Deutschland sucht also die erste Astronautin – aber warum das Ganze? „Deutschland ist die Nation, die europaweit die meisten Männer ins All geschickt hat“, sagt Claudia Kessler, Initiatorin von „Die Astronautin“, Raumfahrtingenieurin und Geschäftsführerin eines Personaldienstleistungsunternehmens für hochqualifizierte Raumfahrtfachkräfte. „Bereits elf deutsche Männer waren im All, jetzt ist es Zeit für die erste deutsche Frau.“
„Die Astronautin“ sammelt Geld via Crowdfunding
Wichtig sei dies nicht nur für den Gleichstellungsgedanken, sondern aus wissenschaftlicher Sicht. Nur 10 Prozent der Astronauten weltweit, die bereits im All waren, seien weiblich. Vor allem deutsche Wissenschaftler hätten deshalb ein Interesse an Daten aus erster Hand. Die Forscher am DLR etwa wollen herausfinden, welche Auswirkungen Schwerelosigkeit auf den weiblichen Körper und Hormonhaushalt hat.
Als private Initiative ist „Die Astronautin“ auf Spenden angewiesen. Allein die Flugkosten zur ISS sind mit 30 bis 50 Millionen Euro veranschlagt. Die Kosten für das Auswahlverfahren sind durch Sponsoren bereits gesichert, nun will „Die Astronautin“ via Crowdfunding in 60 Tagen zunächst 125.000 Euro für den ersten Teil der Ausbildung sammeln. Einen Tag nach dem Start liegt die gesammelte Summe bei knapp über 2000 Euro.
Ausbildung dauert etwa zwei Jahre – in Teilzeit
Die Ausbildung soll individuell auf die Kandidatinnen abgestimmt werden. Jemand, der bereits einen Flugschein habe, brauche diesen schließlich nicht noch einmal. Etwa zwei Jahre soll sie dauern; die zwei Frauen sollen sie neben dem Beruf absolvieren können. Unter anderem gehören dazu Flug- und Tauchschein, Parabelflüge, Überlebenstraining, Russischkurse, die technische Ausbildung sowie Workshops in sozialer Kompetenz, Stressbewältigung, Kommunikations- und Medientrainings.
Ob es realistisch ist, das nötige Geld zusammen zu bekommen, vermag bei „Die Astronautin“ niemand so recht zu beantworten. Initiatorin Kessler verpackt etwaige Zweifel geschickt, spricht von der Hoffnung, dass sich genug Unterstützer und Sponsoren finden lassen werden und nicht die gesamten Kosten auf Spendenbasis finanziert werden müssten, sondern auch staatliche Organisationen einspringen werden. Sie sei aber überzeugt, dass bis 2020 die erste Deutsche ins All fliegen werde.
Traum ist plötzlich greifbar nah
Ob diese erste Frau Lisa Marie Haas heißen wird? Ihre Bewerbung bei „Die Astronautin“ ist nicht der erste Versuch, den Weg ins All zu finden. Bereits im Jahr 2009 bewarb sie sich für das Astronauten-Ausbildungsprogramm bei der Europäischen Weltraumorganisation Esa. „Damals hatte ich aber das Mindestalter für das Auswahlverfahren von 27 Jahren noch nicht erreicht“, erinnert sie sich.
Nun aber rückt ihr Traum in greifbare Nähe. Angst hat sie nicht, lediglich den nötigen Respekt. Ihre Stärke sei es, Risiken kalkulieren sowie Vorsicht und Gefahr abschätzen zu können und sich selbst zu überwinden, wenn es angebracht ist – das kenne sie vom Klettern.
Reise ins All als i-Tüpfelchen des Lebens
„Man kann alle Probleme überwinden, wenn man sie betrachtet und versucht, eine Lösung zu finden“, sagt sie mit so viel Zuversicht, dass schwer vorstellbar ist, dass irgendein Hindernis sie noch von der Reise zur ISS aufhalten könnte.
„Wenn es klappt, wäre es sozusagen das i-Tüpfelchen“, sagt sie. Wenn nicht, gehe für sie die Welt aber auch nicht unter. Schließlich sie sei „super super glücklich“ mit ihrer Karriere und mit ihrem Leben. Lisa Marie Haas, vielleicht irgendwann die erste deutsche Astronautin im All, nimmt ihr Leben fast schwerelos leicht – und steht doch mit beiden Füßen fest auf dem Boden.