Washington. Ein Katalog listet vom Menschen geschaffene Mineralien auf. Einige Forscher werten dies als Beweis für ein ganz neues Erdzeitalter.

Forscher um Robert Hazen vom Carnegie-Institut für Wissenschaft haben erstmal vom Menschen geschaffene Mineralien systematisch erfasst. Bisher wurde Mineralien nur ein natürlicher Ursprung zugesprochen. Diese neue Erkenntnis könnte nun weitere Schlussfolgerungen zur Erdgeschichte nahelegen.

Die Mineralien, um die es geht, heißen Widgiemoolthalit, Fiedlerit, Metamunirit oder Albrechtschraufit und sind in verlassenen Goldminen, in Abwasserkanälen oder an Tunnelwänden zu finden. Viele von ihnen gibt es erst seit Kurzem. 208 der über 5208 Mineralien, die die Internationale Mineralogische Gesellschaft (IMA) offiziell anerkannt hat, sind nur deshalb entstanden, weil Menschen die Voraussetzung dafür schufen.

Funde widersprechen bisheriger Darstellung von Mineralien

Die Forscher vom Carnegie-Institut haben diese Mineralien, die immerhin vier Prozent der Gesamtmenge ausmachen, nun erstmals in einem Katalog zusammengestellt. Ihre Analyse ist im Fachjournal „American Mineralogist“ veröffentlicht. Daneben erfassten sie auch eine große Menge mineralartiger Substanzen, die bisher keine Aufnahme in den IMA-Katalog fanden – weil die derzeitige Definition von Mineralien als reine Naturprodukte dem entgegensteht.

Die meisten der neuen Mineralien entstanden seit Mitte des 18. Jahrhunderts im Zuge des Bergbaus und später der Industrialisierung. Sie bildeten sich in Erzhalden oder verwitterter Schlacke, in Wassertümpeln in Minen oder durch Feuer darin. Einige wurden in Metallhütten oder an geothermalen Leitungssystemen entdeckt. Fundorte waren auch ein tunesisches Schiffswrack, zwei Bronze-Artefakte in Ägypten und Brandopfer-Stätten in den österreichischen Bergen.

Vor allem in Minen entstanden Mineralien

Vor allem in großen Minen sind einige der neuen Mineralien entstanden (Symbolfoto).
Vor allem in großen Minen sind einige der neuen Mineralien entstanden (Symbolfoto). © REUTERS | ROMEO RANOCO

Besonders deutlich wird der menschliche Einfluss an 29 Mineralien, die Kohle oder Kohlenstoff enthalten – 14 davon kommen in der Natur gar nicht vor. Ein Dutzend Mineralien und Mineralverbindungen entstand im Umfeld von Uranminen. Zum Beispiel Andersonit: Dessen gelbe, orange und grüne Kristalle bilden schimmernde Krusten an den Tunnelwänden von Uranminen in Arizona (USA). Interessant ist auch die Herkunft von Tinnunculit aus dem russischen Kopiesk: Es ist ein Produkt heißer Gase aus einer brennenden Kohlenmine, die mit den Exkrementen von Turmfalken (Falco tinnunculus) reagierten.

Ein erdgeschichtliches Ausrufezeichen

Rund zwei Drittel der Mineralien auf der Erde gehen auf die sogenannte Große Sauerstoffkatastrophe vor mehr als 2,2 Milliarden Jahren zurück. In diesem Zeitraum stieg die Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre rasch an. Das reaktive Gas beschleunigte die Verwitterung der Erdoberfläche, neue Verbindungen und Mineralien entstanden.

Die Zeitspanne seit dem Aufkommen der neuen Stoffe erscheine im Vergleich wie ein Wimpernschlag, so Hazen. „Wenn die Große Sauerstoffkatastrophe vor Erdzeitaltern einen Punkt in der Erdgeschichte markiert hat, dann ist der schnelle und weitreichende geologische Einfluss des Anthropozäns (Menschenzeitalters) wie ein Ausrufezeichen.“

Forscher streiten über vom Menschen geschaffenes Erdzeitalter

Insgesamt beeinflussen Menschen die weltweite Vielfalt und Verbreitung von Mineralien auf vielfältige Weise, resümieren die Autoren. Weil als industrielle „Nebenprodukte“ unbeabsichtigt Neubildungen entstehen. Durch die synthetische Herstellung neuer, mineralartiger Verbindungen – etwa Silicium-Chips für die IT-Industrie, Portlandzement oder Metall-Legierungen. Oder auch, weil Menschen große Landmassen als Bauwerkstoffe bewegen und Schmucksteine über die ganze Welt verbreiten.

All dies, so schließen die Autoren, werde sich einmal in den Sedimenten unserer Zeitepoche wiederfinden. Deshalb unterstützen sie die Ausrufung des Anthropozäns. Viele Experten fordern, das seit 12.000 Jahren andauernde Holozän (Nacheiszeit) für beendet zu erklären und rückwirkend von der Mitte des 20. Jahrhunderts an das Menschenzeitalter anzusetzen. Dieser Schritt wird derzeit von Geologen offiziell diskutiert, eine Entscheidung dürfte erst in einigen Jahren fallen. Die Ausrufung eines neuen Erdzeitalters gilt als hoch umstritten.

Ist die klassische Definition von Mineralien noch zu halten?

Der Geologe und Paläontologe Reinhold Leinfelder von der FU Berlin hält die Arbeit für einen bedeutenden Beitrag zur Anthropozän-Forschung. „Sie zeigt einmal mehr, dass der Impakt des Menschen heute von globalen Systemen wie dem Klimageschehen bis zur Mineral-Ebene der Grundbausteine der Erde reicht.“ Die IMA müsse nun überlegen, ob die klassische Definition von Mineralien als reine Naturprodukte noch zu rechtfertigen sei.