Gelsenkirchen. Wie ist die Arbeit bei „Charlie Hebdo“ nach den Anschlägen in Paris? Zwei Macher der Satirezeitung über den Alltag in der Redaktion.

Vor zwei Jahren stürmten zwei islamistische Terroristen die Redaktion der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“ und töteten zwölf Menschen. Seit jenem 7. Januar 2015 ist die Welt bei „Charlie Hebdo“ in eine Zeit davor und danach eingeteilt.

Die „neue“ „Charlie Hebdo“ erscheint seit Dezember auch in Deutschland. Minka Schneider leitet die deutsche Ausgabe. Der Name ist ein Pseudonym. Ihre Kollegen haben ihr geraten, ihren eigenen Namen nicht preiszugeben, es sei sicherer so. Gemeinsam mit dem Zeichner Foolz war Minka Schneider zwei Tage in Gelsenkirchen unterwegs. Redakteur Sinan Sat hat die Journalisten begleitet.

Vor dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ haben Sie beide nicht in der Redaktion gearbeitet. Sie, Minka, sind erst danach dazugestoßen. Und Sie, Foolz, haben zuvor Ihre Zeichnungen in Ihrer Heimat in der Bretagne gefertigt. Warum haben Sie sich dazu entschieden, nun in der Redaktion zu arbeiten?

Foolz: Ich hatte das Gefühl, dass die Zeitung mich braucht. Die meisten Kollegen waren weg. Es hat an Leuten gefehlt, die in der Redaktion zusammen an einem Tisch sitzen, über Themen und Zeichnungen diskutieren, Ideen entwickeln. Die normale, alltägliche Redaktionsarbeit war in Gefahr. Ich denke, ich musste das machen. Mit „Charlie“ weiterzumachen sind wir unseren getöteten Kollegen schuldig. Für die wäre es das Wichtigste gewesen, dass die Zeitung weiter erscheint.

Tausende Menschen gingen am Abend nach dem Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ in Paris auf die Straße und gedachten der Opfer.
Tausende Menschen gingen am Abend nach dem Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ in Paris auf die Straße und gedachten der Opfer. © imago/Haytham Pictures | imago stock&people

Minka: Für „Charlie“ zu arbeiten bringt einige Besonderheiten mit sich. Natürlich habe ich mit meiner Familie und einigen Freunden zuvor darüber gesprochen. Ich schreibe unter einem Pseudonym, die Redaktion ist an einem geheimen Ort und gut gesichert. Einige Kollegen haben Personenschützer und bei Recherchen vor Ort müssen wir vorsichtiger sein, als Kollegen anderer Zeitungen. Es ist aber auch eine spannende Aufgabe, „Charlie“ nach Deutschland zu bringen.

Beeinflusst das die Arbeit der Redaktion?

Minka: Natürlich ist der Anschlag allgegenwärtig. Aber die Redaktion gibt sich größte Mühe, weiterzumachen. Die wöchentliche Konferenz etwa findet immer an einem Mittwoch statt. Dass war auch am 7. Januar 2015 so, als der Anschlag erfolgte. Trotzdem, oder gerade deshalb, wurde der Mittwoch als Konferenztag beibehalten. Es ist auch ein Zeichen, an diesem Ritual festzuhalten. Zuletzt im Januar, zwei Jahre nach dem Anschlag, war es natürlich nicht normal in der Redaktion. Im Alltag aber arbeiten alle leidenschaftlich und fokussiert am Erscheinen der Zeitung. Möglicherweise hilft es auch, dass nun Kollegen in der Redaktion arbeiten, die bei dem Anschlag nicht dabei waren, weil wir weniger traumatisiert sind.

Foolz und Minka von „Charlie Hebdo“, die wir bei ihrem Besuch im Ruhrgebiet begleitet haben.
Foolz und Minka von „Charlie Hebdo“, die wir bei ihrem Besuch im Ruhrgebiet begleitet haben.

Gehen Sie seither anders an Themen heran, die absehbar für empörte Reaktionen sorgen?

Foolz: Wir wissen, dass unsere Zeichnungen mittlerweile von viel mehr Menschen gesehen werden. Kritische Inhalte werden schneller über das Internet verbreitet. Es gucken mehr Leute auf unsere Arbeit und sind dann mitunter entsetzt darüber. Die überwältigende Solidarität, die „Charlie Hebdo“ nach dem Anschlag erfahren hat, wird hier zum Problem. Plötzlich fühlen sich Menschen getäuscht, wenn ihnen eine Zeichnung nicht passt. Sie sagen: ‚Hey, ich war doch „Charlie". Warum macht ihr so etwas?‘ Wir haben kritische Themen aber auch vorher schon derbe und überspitzt dargestellt. Das ist das Wesen einer Karikatur und die Natur von „Charlie Hebdo“.

Seit Anfang Dezember gibt es „Charlie Hebdo“ auch mit eigenen Inhalten auf Deutsch . . .

Minka: Die Idee, dass man mit „Charlie“ auch mal in ein anderes Land gehen könnte, gibt es schon lange. Es ist ja kein französischer Humor, sondern ein „Charlie“-Humor, den man überall versteht.

Foolz: Außerdem sehe ich das als Hilfeleistung, weil die Deutschen ja den Ruf haben, kein besonders humorvolles Volk zu sein.

Für die aktuelle Ausgabe waren Sie in Gelsenkirchen. Haben die Leute dort den Ruf, besondere Nachhilfe in Sachen Humor nötig zu haben?

Minka: Wir haben überlegt, welche sozialen Probleme gibt es in Frankreich und was kommt jetzt vielleicht auch ähnlich in Deutschland auf. Wo gibt es Vergleichspunkte, wo Unterschiede? Worauf lohnt ein „Charlie“-Blick? Wir haben uns dann entschieden, uns die Migranten-Communities hier anzuschauen. Integration ist in Frankreich eine sehr alte Debatte und eines der Kernthemen von „Charlie Hebdo“. Wir wollten das Thema in einem Umfeld beleuchten, das nicht das hippe Berlin oder Hamburg ist. Wir wollten sehen, wie die „neuen“ und „alten“ Minderheiten mit den Deutschen und untereinander zurechtkommen.

Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben Sie gesehen?

Foolz: Wir haben es hier als deutlich weniger aggressiv und deutlich besser organisiert empfunden. In Paris und der Umgebung treffen wir immer wieder auf Menschen, die in Zelten leben müssen. Zuletzt haben mitten in Paris 5000 Flüchtlinge unter Brücken und in Metro-Stationen übernachten müssen. Hier haben wir syrische Flüchtlinge getroffen, die eine Zeit lang zwar in einer Sammelunterkunft gelebt haben, heute aber ihre eigene kleine Wohnung haben.

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