Berlin. Normalos und Freaks erobern Mode und Werbung – und schnappen klassischen Models manchen Job weg. „Nodels“ erobern weltweit Laufstege.

Einen Taillenumfang von 60 Zentimetern, 1,80 Meter Körpergröße, hohe Wangen und volle Lippen – das ist nicht mehr das Maß aller Dinge. Del Keens (45) sitzt vor seinem Computer in Berlin, schaut sich Gesichter an. Er sucht nach einer Art Pamela Anderson, aber einer „mit gelber Haut, strähnigen Haaren und vielen Falten“. Typen, die einprägsam statt klassisch schön sind. Der Brite mit den großen Ohren, den eigenwilligen Zähnen und den müden Augen leitet in Berlin die größte sogenannte Charakter-Modelagentur in Deutschland.

Er weiß, wovon er spricht: Keens selbst gilt als das erfolgreichste „hässliche Model“ weltweit. Für Del Keens, eigentlich Designer und Experte, steht fest: Die Ära der perfekten Illusion ist zu Ende. Es ist die Zeit von besonderen Typen mit Ecken und Kanten und schrägen Persönlichkeiten – oder auch von Normalos. „No Models“, kurz „Nodels“, nennen Designer und Agenturen weltweit die neuen Gesichter, die man so schnell nicht vergisst.

Models mit Makeln liegen im Trend

Gesichter, nach denen die Werbe- und Modeindustrie verstärkt für ihre großen Kampagnen und Laufstege sucht. Mike Eckhaus, Inhaber des Labels Eckhaus Latta, erklärt: „Wir arbeiten für die New Yorker Fashion Week mit Models und sogenannten Nodels.“ Aber auch Freunde und Bekannte dürfen für den US-Modemacher auf den Laufsteg. „Ich denke, es macht Klamotten interessanter, wenn keine klassischen Schönheiten sie tragen“, sagt Eckhaus. So wie er glauben viele Entscheider, dass Konsumenten sich besser mit Models identifizieren, die Makel haben.

Del Keens war Pionier dieses Trends. Mit Anfang 20 von einem Modelscout auf der Straße entdeckt und bei der Agentur „Ugly Models“ unter Vertrag genommen. Seitdem modelte er für die italienische „Vogue“, für „Levis“, „Renault“, „Diesel Jeans“ und „Calvin Klein“. Für den Autoverleih „Sixt“ präsentierte sich Del Keens im goldenen Badeanzug.

Typen mit Tätowierungen

Das war lustig und ein bisschen provokant. „Uns ging es darum, unsere Premiumfahrzeuge mit markanten und starken Persönlichkeiten zu präsentieren“, erklärt Marketingchef Jörn Hombert. Im Jahr 2010 eröffnete Keens seine Agentur „Misfit Models“, also „Außenseiter-Models“ in Berlin. Mittlerweile hat er über 650 Models in seiner Kartei. Typen mit Tätowierungen, mit Prothesen, Frauen mit Glatzen oder Männer mit Gaumenspalte.

Das Geschäft brummt. Gerade ist eine Anfrage des Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck eingegangen. Er sucht zwei Statisten mit Downsyndrom. Zuletzt warb sein Model Sebastian, ein Familienvater mit einer Gesichtstätowierung, für Pampers. Sein Model Kim war auf einem Plakat der „Aktion Mensch“ in ihrem Rollstuhl zu sehen.

Agenturen sind nicht begeistert

„Jahrzehntelang wurde in den Medien ein perfektionistisches Bild von Models propagiert, doch das ist so falsch. Heute geht es in der Werbung und in der Mode mehr um Authentizität“, sagt Del Keens. Klassische Agenturen sind nicht begeistert. Yannis Nicolaou von der internationalen Agentur Place Models mit Sitz in Hamburg führt zwar selber auch eine Sparte für kurvige Models. Zu dem „Nodels“-Trend sagt er allerdings: „Ich beobachte diese Entwicklung, ehrlich gesagt, mit Entsetzen.

Wir werden über die sozialen Medien wie Facebook und Instagram mit Gesichtern überflutet. Jeder setzt sich heutzutage in Szene, jeder will groß rauskommen. Aber warum sollte jeder Hans und Franz Model werden können?“ Er wolle deshalb bei seiner Linie bleiben, die er seit 18 Jahren verfolge. „Das bedeutet Schönheit, Eleganz und Klasse.“