Luxemburg. Wer haftet im Skandal um mangelhaftes Brustsilikon? Der Europäische Gerichtshof entlastet den Tüv. Eine 49-Jährige hatte geklagt.

Die Brustimplantate haben ihr Leben zerstört – davon ist die Frau aus der Pfalz überzeugt. Kaum habe sie die Kissen des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) einsetzen lassen, sei es mit ihrer Gesundheit bergab gegangen, erzählt die 49-Jährige. Muskelprobleme, erhöhte Tumorwerte im Blut und: Depressionen. Heute ist sie arbeitslos, ihr Erspartes längst aufgebraucht.

So wie der 49-Jährigen ging es etlichen anderen Frauen. Über 20 Jahre hinweg hatten Frauen auf der ganzen Welt nach Brustkrebsoperationen oder im Rahmen einer Brustvergrößerung Silikonkissen der Firma PIP implantiert bekommen. Doch sie ahnten nicht, dass sie dabei ihre Gesundheit aufs Spiel setzten.

Schmerzensgeld vom Tüv gefordert

Die Frauen vertrauten auf den Tüv. Dieser hatte das Qualitätssicherungssystem von PIP zertifiziert und überwacht. Die Prüfer bemerkten allerdings nicht, dass die Firma die Kissen mit billigem Industriesilikon gefüllt hatte.

Weil sie sich getäuscht sah, zog die 49-Jährige vor Gericht und verlangte 40.000 Euro Schmerzensgeld vom Tüv Rheinland. Die Begründung lautete: Der Tüv habe keine unangekündigten Inspektionen bei PIP durchgeführt und auch die Brustimplantate selbst nicht geprüft. Sonst wäre der Pfusch mit dem Billigsilikon – so die Argumentation der Juristen – sofort aufgeflogen.

Laut Urteil muss der Tüv nicht die Medizinprodukte selbst überprüfen

Ein entferntes Implantat der Firma PIP.
Ein entferntes Implantat der Firma PIP. © dpa | Bruno Bebert

Mit ihrer Klage scheiterte die 49-Jährige am Donnerstag jedoch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die Luxemburger Richter urteilten, dass Stellen wie der Tüv nicht grundsätzlich verpflichtet sind, Medizinprodukte wie Implantate selbst zu prüfen oder angekündigte Kontrollen bei den Herstellern durchzuführen. Auch seien Institutionen wie der Tüv nicht verpflichtet, die Geschäftsunterlagen von Medizinfirmen selbst zu prüfen oder in Labors zu testen, ob Brustimplantate besonders reißanfällig sind.

Nur wenn Hinweise vorlägen, dass ein Medizinprodukt die vorgeschriebenen Anforderungen nicht erfülle, müssten auch beim Tüv „alle erforderlichen Maßnahmen“ ergriffen werden.

Der Tüv Rheinland äußerte sich „sehr zufrieden“ mit dem Urteil und sah sich „in den entscheidenden Punkten bestätigt.“ In dem Skandal sei der Überwachungsverein selbst Opfer. PIP habe den Tüv im großen Stil betrogen, hieß es in einer Stellungnahme. Das Unternehmen habe in seinen Unterlagen verschleiert, dass minderwertiges Silikon zum Einsatz gekommen sei. Bei den Überwachungsmaßnahmen habe der Tüv Rheinland sich stets an die gesetzlichen Bestimmungen gehalten. Der Gründer des inzwischen insolventen Unternehmens PIP war bereits zu vier Jahren Haft verurteilt worden.

Der Pfusch hatte fatale Folgen für die Gesundheit

Viele der betroffenen Frauen zeigten sich vom Urteil enttäuscht. „Mein Glaube ins Rechtssystem ist völlig verloren gegangen. Ich hätte mir gewünscht, dass der Tüv zur Rechenschaft gezogen wird“, sagte die 49-Jährige. Tausende waren nach Bekanntwerden des Skandals einer Empfehlung gefolgt, die Implantate entfernen zu lassen. Einigen von ihnen setzte das Ganze so zu, dass sie lieber ohne Brüste weiterleben wollten, als erneut Implantate zu erhalten. Der Pfusch hatte fatale Folgen: Rissen die Implantate, kam es nicht nur häufig zu Verformungen. Oft entzündete sich das umliegende Gewebe. Zudem steht das ausgetretene Gel im Verdacht, Krebs zu erzeugen.

Trotz des abgewiesenen Schmerzensgeldanspruchs machte der EuGH den Frauen auch Hoffnung: Die Richter schlossen nicht aus, dass Prüfstellen von Medizinprodukten - wie der Tüv - unter bestimmten Bedingungen gegenüber Patienten haftbar sein können. Das war bislang strittig. Hätten die Richter diese Haftung grundsätzlich verneint, wären im PIP-Skandal Klagen von Frauen gegen den Tüv automatisch zum Scheitern verurteilt gewesen.

Ob der Tüv wirklich Pflichten verletzt hat und damit haften kann, müssen nun nationale Gerichte entscheiden. Das Tauziehen geht also weiter.