Berlin. Lineal, Wasser, Cappuccino: Wissenschaftler Aeneas Rooch erklärt in seinem Buch Experimente mit einfachen Mitteln und großer Wirkung.

„Physik ist wunderbar. Leider wissen das nur wenige“, findet Aeneas Rooch. Diese Meinung mag der Grund dafür gewesen sein, dass der Bochumer Physik und Mathematik studiert hat – „sie sei ihm gegönnt“, wird der eine oder andere denken, der die ungeliebte Erinnerung an ellenlange Formeln auf der Schultafel lange verdrängt hat. Aber dabei will Aeneas Rooch es nicht belassen.

Seit zwei Jahren experimentiert er live im öffentlich-rechtlichen Radio, um den Hörern seine Naturwissenschaft näherzubringen. Er erklärt, warum der Himmel blau ist, wie wir Töne hören und warum es manchmal beim Anfassen der Türklinke schmerzhaft knallt. Heute erscheint sein erstes Buch „Rubbel die Katz oder wie man Wasser biegt“ mit Experimenten zum Nachmachen.

Was braucht der angehende Hobbyphysiker fürs Heimexperiment?

Aeneas Rooch: Für den Versuch, nach dem das Buch benannt ist, braucht man ein Katzenfell. Das gehört ohnehin in jede gute physikalische Gerätesammlung, weil es sich sehr gut zum elektrostatischen Aufladen von Gegenständen eignet. In Prüfstellen wie dem Tüv oder der Dekra wird beispielsweise aus Sicherheitsgründen getestet, wie stark sich Kunststoffgegenstände aufladen, da ging bis 2009 nichts ohne Katzenfell.

Was passierte 2009?

Rooch: Da hat die EU den Handel mit Katzenfellen verboten. Man kann natürlich heimlich seine Privatkatze verwenden, allerdings hat wahrscheinlich die Katze etwas dagegen. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt hat Physikern damals geraten, auf Schaffilz umzusteigen. Für private Experimente tut es aber auch ein Baumwoll-T-Shirt.

Was stellt man damit an?

Aeneas Rooch: „Rubbel die Katz oder wie man Wasser biegt“. Random House, 224 Seiten,
Aeneas Rooch: „Rubbel die Katz oder wie man Wasser biegt“. Random House, 224 Seiten, © andreas ren | andreas ren

Rooch: Man rubbelt ein Plastiklineal damit ab, als wollte man es polieren. Dabei werden negative Ladungen, Elektronen, vom Fell oder Filz oder T-Shirt abgestreift und springen auf das Lineal über. Dadurch ist es elektrostatisch geladen. Jetzt dreht man den Wasserhahn auf, und zwar so, dass der Wasserstrahl so dünn wie möglich ist, und hält das Lineal ganz nah neben den Wasserstrahl. Der biegt sich dann wie von Zauberhand in Richtung des Lineals.

Für diejenigen, die sich nicht mehr an den Physikunterricht erinnern: Wieso lässt sich Wasser biegen?

Rooch: Man muss sich so ein Wasserteilchen vorstellen wie einen Micky-Maus-Kopf. Es besteht aus einem Sauerstoff- und zwei Wasserstoffatomen. Das Sauerstoffatom ist der Kopf und die zwei Wasserstoffatome sind die Ohren. Insgesamt ist das Wasserteilchen elek­trisch neutral, aber die einzelnen Enden sind ein kleines bisschen geladen – der Kopf negativ, die Ohren positiv –, und wegen dieser geladenen Enden reagiert es auf elektrische Felder wie das vom aufgeladenen Lineal.

Die positiv geladenen Ohren der Wasserteilchen drehen sich zum Lineal, weil sich ungleiche Ladungen anziehen. Der negativ geladene Kopf des Wasserteilchens will vom Lineal weg, weil sich gleiche Ladungen abstoßen. Durch die Drehung ist er aber weiter vom Lineal entfernt und hat weniger Einfluss. Deswegen biegt sich der ganze Wasserstrahl zum Lineal.

Wer kam eigentlich auf die Idee, Gegenstände zu rubbeln, um sie aufzuladen?

Rooch: Als Geburtsstunde der elektrostatischen Aufladung gilt eine Bernsteinpolitur des griechischen Philosophen Thales von Milet um 600 vor Christus. Warum Thales Bernstein poliert hat, weiß ich nicht, aber er beobachtete dabei, dass der mit Fell abgerubbelte Bernstein wie von Geisterhand kleine Schnipsel anzog. Das altgriechische Wort für Bernstein, élektron, ist deshalb auch Namensgeber für die Elektrizität.

Passiert das Gleiche, wenn wir uns einen Luftballon über die Haare ziehen?

Rooch: Genau. Die Aufladung entsteht, indem man Dinge sehr nah in Kontakt bringt und wieder auseinanderzieht. Das passiert auch, wenn man zum Beispiel mit Plastikschuhen über einen Teppichboden schlurft. Wenn man dann eine Türklinke oder einen Fenstergriff anfasst, kriegt man wahrscheinlich einen Schlag.

Was passiert dabei?

Rooch: Durch den engen Kontakt sind Ladungen von der einen auf die andere Seite übergegangen. Ist kein Kontakt mehr da, können sich die Ladungen nicht mehr ausgleichen. Das widerstrebt den Ladungen. Den Zustand, wenn getrennte Ladungen sich ausgleichen wollen, aber nicht können, nennt man elektrische Spannung.

Um die Spannung zu lösen, wagen die Elektronen eine Art Base-Jump. Sie springen bei der nächstbesten Gelegenheit zum Ausgleich durch die Luft, zum Beispiel auf die Türklinke. Dabei kann ein Blitz entstehen. Was die Luft da leuchten lässt, ist ziemlich kompliziert. Und es tut weh.

Nämlich?

Rooch: Die springenden Elektronen treffen mitunter Luftteilchen, die ihre eigenen Elektronen dabeihaben, und schubsen diese weg. Die frei gewordene Stelle besetzen dann andere herumfliegende Elektronen, die kurz aufleuchten, wenn sie sich mit der Luft zusammentun. Beim Herumfliegen hat das Elektron viel Energie, die für die Verbindung mit der Luft unnötig ist, also sendet es die überflüssige Energie als Licht aus.

Lässt sich das schmerzfrei nachstellen?

Rooch: Ja, dafür nimmt man einen frischen selbstklebenden Briefumschlag, drückt die Laschen zusammen, schlitzt die Oberkante auf und verdunkelt den Raum. Dann reißt man die Laschen zügig, aber nicht zu hastig auseinander. Wer das richtige Tempo erwischt, kann für einen kurzen Moment bläuliche Funken zwischen den beiden Laschen beobachten.

Ist das bei echten Blitzen auch so?

Rooch: Das ist genau das gleiche Phänomen. Da hat man nicht zwei Laschen, sondern Luftschichten mit geladenen Teilchen. Beim Aufsteigen reißen die Schichten auseinander und irgendwann können die Ladungen dem Drang nicht mehr widerstehen sich auszugleichen und springen durch die Luft. Das ist das, was wir als Blitz sehen, nur ein bisschen größer und ein bisschen gefährlicher als der am Briefumschlag.

Haben Sie eigentlich ein Lieblingsexperiment?

Rooch: Als Vater der Experimente habe ich natürlich jedes Kapitel lieb. Ein Experiment führe ich aber tatsächlich ständig selbst durch und freue ich mich jedes Mal wieder drüber: Man geht in ein Café, bestellt Cappuccino, rührt ein paar Male um und klopft dann mit dem Löffel in regelmäßigem Takt von innen an den Boden der Tasse. Das Klopfgeräusch wird innerhalb weniger Sekunden immer höher – der Cappuccino singt.

Wie das?

Rooch: Das Geheimnis ist der Milchschaum. Beim Umrühren rührt man Schaum in die Flüssigkeit, also Luft, und in Luft breitet sich Schall langsamer aus als in Wasser. Beim Umrühren senkt man also die Schallgeschwindigkeit im Getränk. Mit der Zeit steigen die Luftbläschen aber nach oben oder zerplatzen, und mit jedem Bläschen wird der Schall im Cappuccino schneller. Und schnellerer Schall bedeutet in einem Becher einen höheren Klopfton.