Berlin. Lisa Frieda Cossham hat Mann und Kinder verlassen. Plötzlich war sie Mittelpunkt einer Debatte über das Idealbild der guten Mutter.

Wenn ein Vater nach der Trennung auszieht, ist das Normalität. Wenn eine Mutter auszieht, dann erntet sie im allerbesten Fall Verständnis. Lisa Frieda Cossham (37) hat den Tabubruch trotzdem gewagt, ihren Mann und damit auch ihre zwei kleinen Töchter vor vier Jahren zu verlassen und zu Hause auszuziehen. In ihrem Buch „Plötzlich Rabenmutter“ (Blanvalet, 224 Seiten) hinterfragt die Münchener Journalistin das deutsche Mutterbild und will damit eine Debatte über „Teilzeitmütter“ anstoßen.

Die Geschichte von Frieda Cossham und ihrem Mann Jan beginnt jedoch zunächst als Inbegriff des gesellschaftlichen Ideals, wie im Bilderbuch – vor über 20 Jahren in der Schule. Sie sind Klassenkameraden, tauschen Pausenbrote. Jan und Frieda werden kurz nach ihrem Schulabschluss ein Paar, zwei Jahre später ist sie schwanger.

Beide sind 21 Jahre, studieren, haben Geldsorgen, sind unfertig, aber glücklich. Martha kommt auf die Welt. Beide studieren in München und gehören zu den fünf Prozent der Studenten deutschlandweit, laut der jüngsten Sozialerhebung des Studentenwerks, die ein Kind haben.

Jan und Frieda wählen 50/50-Lösung

Lisa Frieda Cossham ist Journalistin und schreibt in einer Kolumne über ihre Familie.
Lisa Frieda Cossham ist Journalistin und schreibt in einer Kolumne über ihre Familie. © Olga Kessler | Olga Kessler

Louise wird geboren, da ist Frieda Cossham 23 Jahre alt. Martha sollte kein Einzelkind sein und die junge Familie rückt noch enger zusammen. Frieda Cossham beendet ihr Studium, heiratet fast nebenbei. Jan ist mittlerweile Arzt, das Paar versinkt im Alltagstrott, in Überstunden, dringt nicht mehr zueinander durch.

Frieda Cossham ist damals 33 Jahre und trifft Paul. „Als ich Paul kennenlernte, war es wie eine Sucht. Ich musste ihn immer wiedersehen“, erzählt sie uns. Sie kann sich plötzlich neu entscheiden, zieht aus, zunächst zu einer Freundin.

„Dass die Kinder bei mir wohnen und der Vater plötzlich nur noch ein Wochenendpapa ist, wäre für uns beide nicht denkbar gewesen“, sagt Cossham. Jan und sie entscheiden sich für die 50/50-Lösung. Im Wechsel eine Woche beim Papa, eine Woche bei Mama. „Wenn das Modell gut organisiert ist, bedeutet der Wechsel keinen Umzug, sondern ein Nachhausekommen in die beiden vertrauten Wohnungen von Mutter und Vater“, sagt die Familienrechtlerin Hildegund Sünderhauf. Dass ihre Lebensform längst nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, soll Frieda Cossham bald merken.

Shitstorm im Netz

Als Journalistin schreibt sie in ihrer Kolumne „Teilzeitmutter“ im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ – über den Abschiedsschmerz, leere Betten, die Telefonate mit ihren Töchtern, die neue Patchworkfamilie des Vaters. „Ich habe Angst, ich könnte eines Tages in der gleichen Bahn sitzen wie meine Kinder, sie zufällig treffen“, schreibt Cossham über den Kontrollverlust als halbe Mutter.

Der Shitstorm im Netz lässt nicht lange auf sich warten. Egoistisch sei sie, eine Rabenmutter, ihr Wohl vor das ihrer Kinder zu stellen. Ihr Leid sei hausgemacht, ihr Jammern nicht berechtigt. Rückblickend sagt Cossham: „Ich musste verstehen, dass Mutterschaft in Deutschland keine private Sache ist.“ Warum Frauen oft gegenseitig Lebensmodelle anderer abwerten müssen, um sich ihres zu bestätigen, wisse sie allerdings auch nicht.

Heutiges Mutterbild sehr widersprüchlich

Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung mag Aufschluss darüber geben. Laut dieser ist das heutige Mutterbild zutiefst widersprüchlich. An junge Mütter werden Ansprüche gestellt, die sich gegenseitig eigentlich ausschließen.

80 Prozent der Befragten sagen demnach, Mütter sollten einem Beruf nachgehen, um unabhängig vom Partner zu sein. 80 Prozent sagen aber auch, Mütter sollten nachmittags ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen können. Die Anforderungen an Väter seien bei Weitem nicht im selben Maße gewachsen, die Zahl der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, allerdings auf 68 Prozent.

„Wir gehen davon aus, dass es einen hohen gesellschaftlichen Druck gibt auf Mütter, diesem gesellschaftlichen Leitbild zu entsprechen“, sagt Studienleiterin Sabine Diabaté.

Frieda Cossham befürwortet das Wechselmodell

Nach der Trennung, sagt Cossham, habe sie das Gefühl gehabt, die Lebensform der Familie verspielt zu haben. „Wenn ich sonntags Familien beim Spazierengehen gesehen habe, dachte ich oft: Ich laufe mit einem ,Gescheitert‘-Stempel auf der Stirn herum.“ Heute kann sich die Autorin wieder alles vorstellen.

Die Töchter Martha und Louise (heute 13 und 11) sind mit dem wöchentlichen Umziehen zufrieden,das Verhältnis zum Vater ist sehr gut. „Das Wechselmodell hat sicherlich den Vorteil, dass man es als Mutter schafft, gut zu arbeiten und sich auch zu regenerieren“, findet Cossham. Mittlerweile ist sie Single, hält aber alles noch für möglich. „Ich fand immer, man wächst durch Beziehungen.“