Paris/Berlin. Die Parteien setzen bei der Präsidentschaftswahl im Frühjahr auf neue Köpfe. Der Konservative François Fillon liegt in Umfragen vorn.
Wenn die Franzosen im Frühjahr einen neuen Präsidenten küren, dann ist es eine Schicksalswahl. Nicht nur für Frankreich, sondern auch für Deutschland und Europa. Der Urnengang entscheidet, ob Frankreich die Grenzen dicht macht, aus der Euro-Zone austritt, einen massiven Sparkurs fährt oder die öffentlichen Ausgaben sprudeln lässt.
Bereits heute steht fest: In der französischen Politik findet ein Generationswechsel statt. Neue Köpfe werden das Land führen. Die Polit-Dinos François Hollande, Nicolas Sarkozy und Alain Juppé sind Vergangenheit.
Valls führt bei den Sozialisten
Das Werben um die Wähler hat zwar schon vor Monaten begonnen. Aber in die heiße Phase geht das Präsidentschaftsrennen erst nach den Vorwahlen der Sozialistischen Partei (PS) Ende Januar. Als Favoriten gelten Ex-Premierminister Manuel Valls (54), Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg (54) und Ex-Erziehungsminister Benoît Hamon (49).
Nach einer neuen Umfrage, die von der Fernsehanstalt France Télévisions in Auftrage gegeben wurde, liegt Valls bei den Sozialisten mit 43 Prozent weit vorn. Valls ist im sozialdemokratischen Flügel der Partei angesiedelt. Er steht für einen starken, wehrhaften Staat und hatte in der Vergangenheit auch Steuererleichterungen für Unternehmen mitgetragen.
Wirtschaftspolitik à la Donald Trump
Dahinter folgt der linke Kandidat Montebourg mit 25 Prozent. Er vertritt eine protektionistische Wirtschaftspolitik à la Donald Trump und lehnt den Sparkurs von Kanzlerin Angela Merkel („schädliche Austeritätspolitik“) ab. Noch weiter links rangiert Hamond mit 22 Prozent. Er fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle.
Im konservativen Spektrum werden Ex-Premierminister François Fillon gute Chancen eingeräumt. Er hatte in den Vorwahlen die alten Schlachtrösser Sarkozy und Alain Juppé besiegt. Sein Programm ist vor dem Hintergrund der französischen Tradition politisches Dynamit: Abschaffung der 35-Stunden-Woche, Streichung von 500.000 Beamtenstellen, Erhöhung des Renteneintrittsalters.
Sogar Fillon steht in gewissem Sinne für die Erneuerung des Spitzenpersonals. Der 62-Jährige, der unter Sarkozy fünf Jahre das Amt des Regierungschefs innehatte, mag zwar ein alter Polit-Profi sein. Doch er galt stets als ein Mann der zweiten Reihe und symbolisiert nun als konservativer Überraschungskandidat den Aufstand der bürgerlichen Wählerschaft gegen die Parteispitze der Republikaner.
Macron tritt als Anti-System-Kandidat auf
Fast ein bisschen alt sieht auf einmal Marine Le Pen aus. Die 48-jährige Chefin des rechtsextremen Front National (FN) ist nicht nur die einzige aussichtsreiche Präsidentschaftskandidatin, die bereits zum zweiten Mal antritt. Sie hat zudem die Kandidatur wie die Partei von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen geerbt. Der hatte sich ab 1974 nicht weniger als fünfmal erfolglos um das höchste Amt im Staat beworben.
Marine Le Pen steht für den Schutz französischer Firmen durch protektionistische Maßnahmen. Für Flüchtlinge will sie die Grenzen schließen. Darüber hinaus macht sie sich für ein Referendum über den Austritt Frankreichs aus der EU und der Euro-Zone stark.
Für den größten Verjüngungseffekt sorgt der ehemalige Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Der parteilose 39-Jährige hat sich zum Shootingstar der politischen Klasse Frankreichs entwickelt. Er ist mit seiner 24 Jahre älteren früheren Französischlehrerin verheiratet und setzt sich erfolgreich als Anti-System-Kandidat in Szene. Macron vertritt wirtschaftsliberale Positionen, will die 35-Stunden-Woche kippen und den Beamtenstatus einschränken.
Vorwahlen als neue „Revolte von unten“
Mitte Dezember wurden drei Umfragen für den ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen am 23. April veröffentlicht. Bei der Erhebung, die noch mit Vorsicht zu genießen ist, steht der konservative Fillon auf Platz eins (26 bis 29 Prozent) vor der rechtsextremen Le Pen (24 bis 26 Prozent). Dahinter folgen Macron (14 bis 17 Prozent), der Linksaußen Jean-Luc Mélenchon (zwölf bis 14 Prozent) und Valls (neun bis elf Prozent). Bei der für den 7. Mai angesetzten Stichwahl würde Le Pen sowohl gegen Fillon, Macron als auch Valls verlieren.
Die personelle Erneuerung der politischen Klasse kam keineswegs freiwillig. Sie wurde von den Bürgern praktisch erzwungen. Erst die Einführung von Vorwahlen machte dies möglich. Die Sozialisten machten 2006 den Anfang. In jenem Jahr war es Ségolène Royale, die gegen den offenen Widerstand ihrer gesamten Parteispitze zur Präsidentschaftskandidatin auf den Schild gehoben wurde. Fünf Jahre später setzte sich der lange Zeit als Außenseiter gehandelte Hollande durch. Letztes Beispiel der „Revolte von unten“ war der Durchmarsch von Fillon.
Hinterzimmer-Kungeleien sind passé
Vorwahlen haben mit der Tradition der politischen Erbhöfe aufgeräumt. Lange Zeit galt die Devise: Wir nehmen dieselben Köpfe und machen einfach weiter. Das politische Spitzenpersonal wechselte kaum. Wer für welchen wichtigen Posten kandidierte, wurde von den jeweiligen Parteigranden im Hinterzimmer ausgekungelt. Die Konsequenz war eine stetig steigende Politikverdrossenheit, die sich in immer höheren Enthaltungsquoten und im Vormarsch des FN niederschlug. Jetzt soll alles anders werden.