Sachs Harbour. Unser Autor liebt die „Enden der Welt“ – abgelegene Orte mit geheimnisvollem Klang und Gegenden abseits gängiger Reiserouten

Wenn Jacky Kuptana verreist, braucht sie länger als andere, um anzukommen. Sie ist daran gewöhnt. Es liegt daran, dass sie von allem weiter weg wohnt als die anderen. Jacky ist am Ende der Welt zu Hause.

Aus demselben Grund bekommt sie selten Besuch. Selbst ihre Familie aus London ist in den über 20 Jahren ihrer Ehe noch nicht ein einziges Mal vorbeischauen gekommen, wie sie mit Ehemann Roger ganz oben auf der Kuppe des Planeten lebt. Das kann auch daran liegen, dass nur zweimal die Woche ein Linienflugzeug bei Jacky und Roger in Sachs Harbour auf Banks Island einschwebt. Und daran, dass der Flug oft kurzfristig wegen Nebels gestrichen wird.

Wo Eisbären die Mehrheit stellen

Roger kennt das. Er ist dort aufgewachsen, will nirgendwo anders hinziehen. Für ihn ist der Ort im Abseits der Nabel der Welt. Und Jacky aus London will nirgendwo anders zu Hause sein als bei ihrem Roger. Macht nichts, dass Sachs Harbour der ein­zige Ort auf der Insel ist, die es ungefähr auf die doppelte Größe Irlands bringt und über weniger als sechs Kilometer Straße verfügt. Egal, dass dort weniger als 120 Menschen leben, Eisbären in der Gegend klar die Mehrheit stellen und im Hinterland Zehntausende Moschusochsen wie seit Urzeiten leben.

Abgelegene Orte entfachen die Fantasie, beflügeln die Reiselust. Wie mag es in einer Gegend aussehen, von der man nie ein Foto zu Gesicht bekommen hat? Die in keinem Reisekatalog auftaucht und nur umständlich zu erreichen ist? Die Punkte weit abseits sind es, die mit Emotionen behaftet sind – und einen magischen Sog auslösen können.

Die Enden der Welt sammeln

Manchmal bekommen Jacky und ihr Inuit-Ehemann Roger Kuptana inzwischen Besuch von Fremden, die den weiten Weg unternehmen und sechsmal umsteigen, bis sie endlich ganz oben auf dem Planeten angekommen sind. Sie mieten sich wie ich ins geheizte Gästehaus der Kuptanas ein, gehen mit Roger auf Moschusochsen-Safari und halten ihren großen Zeh in den Amundsen Golf.

Diese Leute sammeln Enden der Welt – so teuer und so umständlich es auch sein mag, dorthin zu gelangen. Sie sind von Neugierde getrieben: auf das, was sich hinter einem merkwürdig klingenden Ortsnamen im Flugplan oder auf der Landkarte verbirgt, hinter Pangnirtung oder Kangiqsualujjuaq, hinter Umm al Qaiwain oder Tristan da Cunha. Oder Sachs Harbour, „Ikaahuk“ in der Sprache der Ureinwohner, hinter dem nächsten Berg, der übernächsten Kurve oder nur hinter einer hohen Mauer.

Sich auf einen fremden Rhythmus einlassen

Ich suche dort Antworten auf Fragen, die kein Reiseführer geben kann. Es sind die schönsten Fragen – auch deshalb, weil jeder am selben Ort für sich völlig unterschiedliche Antworten darauf finden würde. Und weil manche dieser Antworten nicht gesprochen werden, sondern man sie spüren muss. Irgendwo tief im Inneren.

Wie lächeln die Menschen auf der Kuppe des Planeten? Wie weit schaut man von der Spitze eines Leuchtturms oberhalb des Polarkreises in Nordnorwegen, und trägt der Wind dort wirklich die Gedanken davon? Wie fühlt es sich an, auf einer traditionellen Dhau durch die weltfernen Fjorde der omanischen Musandam-Halbinsel zu gleiten, auf ein paar Kissen an Deck unter einem Sonnensegel zu liegen und einem Delfinflüsterer zu lauschen, wenn er anfängt, die Sprache der Meeressäuger zu sprechen?

Wer Antworten will, muss hinfahren

Wovon träumen die Menschen auf der jemenitischen Insel Sokotra im Indischen Ozean, wo es aussieht wie zu Anbeginn der Welt? Und warum kann in der brasilianischen Fischersiedlung Barra do Sucatinga, wo sie keinen Hafen haben und ihre Boote nach getaner Arbeit auf den Strand ziehen, keiner den Weg zum nächsten Ort beschreiben? Und niemand dessen Namen nennen?

Wer Antworten will, muss hinfahren. Es gibt nichts Spannenderes als diese Orte. Als die Menschen dort. Als zu spüren, dass ihre Neugierde so groß ist wie unsere und wir uns Nächte lang gegenseitig alles erzählen und einander ausfragen können – mit Händen, Füßen und ein paar erratenen Brocken einer fremden Sprache.

MS Europa-Kapitän: "Eine Weltumrundung macht was mit einem"

weitere Videos

    Die meisten waren nie in einer Stadt

    Viele der Fischer von Barra do Socatinga, jenem Dorf, das sich in die Dünen des brasilianischen Bundesstaates Ceara duckt, sind nie auf dem Landweg aus ihrem Ort herausgekommen. Es hat sie nie interessiert. Es war nie nötig. Sie können den Weg zur Nachbarsiedlung Arios nicht beschreiben, obwohl sie keine zehn Kilometer entfernt ist und man am Strand entlang hinspazieren könnte.

    Tagelang fahren diese Männer aufs Meer hinaus, jahraus, jahrein, seit Generationen, und tagelang fahren sie zurück. In einer Stadt waren die meisten von ihnen nie. Und verschlägt es ausnahmsweise mal Fremde nach Barra do Sucatinga, wollen die Fischer von ihnen nicht mal als Erstes wissen, wie deren Heimat aussieht. Sie wollen wissen, ob der Ozean endet und es irgendwo ganz weit da draußen wirklich so etwas wie ein anderes Ufer gibt.

    Die Welt dreht sich weiter – auch ohne Handy

    Sie haben es noch nie gesehen, nur davon gehört, können keine Karten lesen, haben keine GPS-Navigation an Bord ihrer Jangada-Nussschalen. Sie meinen ihre Frage ernst. Sie sind deshalb nicht dümmer als ihre Besucher. Sie sind anders. Ihr Leben ist anders, und ganz andere Dinge sind für sie von Bedeutung als zu Hause bei uns. Das zu erkennen und sich ein paar Tage, vielleicht Wochen auf den fremden Lebensrhythmus einzulassen, macht Urlaub erst aus.

    Nichts kann entspannender sein. Nirgendwo anders wird klarer, dass sich die Welt weiterdreht, obwohl der Handy-Akku leer ist, die Netzabdeckung fehlt, das Laptop vor lauter Luftfeuchtigkeit den Geist aufgegeben hat. Das Hotel vermietet nicht Betten, sondern nur Hängematten. Einen Supermarkt gibt es nicht, eine Speisekarte in der Bar auch nicht. Und trotzdem hat kaum etwas je besser geschmeckt als Muqueca de Arraia, Rochen in Kokossoße, in der Bar von Barra do Sucatinga.

    Das Great Barrier Reef ist in Gefahr

    Die Hiobsbotschaften mehren sich seit Monaten: Etliche Korallenbänke am Great Barrier Reef haben ihre lebensspendenden Algen verloren.
    Die Hiobsbotschaften mehren sich seit Monaten: Etliche Korallenbänke am Great Barrier Reef haben ihre lebensspendenden Algen verloren. © dpa | Tory Chase/Arc Centre Of Excelle
    Das Great Barrier Reef in Australien ist das größte Korallen-Ökosystem der Welt. Es besteht aus rund 3000 einzelnen Riffen und 900 Inseln und zieht sich über 2300 Kilometer entlang der Ostküste Australiens. Es hat in diesem Jahr die schlimmste je erfasste Korallenbleiche zu verkraften.
    Das Great Barrier Reef in Australien ist das größte Korallen-Ökosystem der Welt. Es besteht aus rund 3000 einzelnen Riffen und 900 Inseln und zieht sich über 2300 Kilometer entlang der Ostküste Australiens. Es hat in diesem Jahr die schlimmste je erfasste Korallenbleiche zu verkraften. © REUTERS | REUTERS / DAVID GRAY
    Das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens muss bereits das zweite Jahr in Folge eine Korallenbleiche verkraften.
    Das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens muss bereits das zweite Jahr in Folge eine Korallenbleiche verkraften. © REUTERS | HANDOUT
    In einer 700 Quadratkilometer großen Region im nördlichen Teil des mehr als 2300 Kilometer langen Riffs seien zwei Drittel der Korallen abgestorben, manche Korallenbänke hätten gar keine lebenden Korallen mehr, bilanzieren Wissenschaftler der James-Cook-Universität.
    In einer 700 Quadratkilometer großen Region im nördlichen Teil des mehr als 2300 Kilometer langen Riffs seien zwei Drittel der Korallen abgestorben, manche Korallenbänke hätten gar keine lebenden Korallen mehr, bilanzieren Wissenschaftler der James-Cook-Universität. © dpa | -
    Diese Aufnahme stammt von der Nasa – fotografiert von der ISS am 15. Oktober 2015.
    Diese Aufnahme stammt von der Nasa – fotografiert von der ISS am 15. Oktober 2015. © dpa | Nasa
    Bislang lagen zwischen den Bleichen am Great Barrier Reef immer einige Jahre, in denen sich das Riff erholen konnte. Nach Angaben von Experten sind dazu normalerweise fünf Jahre erforderlich.
    Bislang lagen zwischen den Bleichen am Great Barrier Reef immer einige Jahre, in denen sich das Riff erholen konnte. Nach Angaben von Experten sind dazu normalerweise fünf Jahre erforderlich. © dpa
    Im Great Barrier Reef gibt es mehr als 600 Korallenspezies und Tausende Fischarten,Weichtiere und Schwämme, Seeschlangen, Wale, Delfine, Haie und Dugongs (Seekühe).
    Im Great Barrier Reef gibt es mehr als 600 Korallenspezies und Tausende Fischarten,Weichtiere und Schwämme, Seeschlangen, Wale, Delfine, Haie und Dugongs (Seekühe). © dpa | Dan Peled
    Als Bleiche wird ein Verblassen der farbenprächtigen Steinkorallen bezeichnet: Bei zu hohen Wassertemperaturen stoßen die Nesseltiere die für die Färbung sorgenden Algen ab, mit denen sie sonst in einer Gemeinschaft zu gegenseitigem Nutzen leben. Ohne die sogenannten Zooxanthellen können sie aber auf Dauer nicht überleben – sie sterben ab, wenn sich die Algen nicht binnen einiger Wochen oder Monate wieder ansiedeln.
    Als Bleiche wird ein Verblassen der farbenprächtigen Steinkorallen bezeichnet: Bei zu hohen Wassertemperaturen stoßen die Nesseltiere die für die Färbung sorgenden Algen ab, mit denen sie sonst in einer Gemeinschaft zu gegenseitigem Nutzen leben. Ohne die sogenannten Zooxanthellen können sie aber auf Dauer nicht überleben – sie sterben ab, wenn sich die Algen nicht binnen einiger Wochen oder Monate wieder ansiedeln. © dpa | Greg Torda/Arc Centre Of Excelle
    Klimawandel, Schifffahrt, Fischerei, Erosion, Stürme und der Abfluss von Dünger und Pestiziden aus intensiver Landwirtschaft bedrohen das Riff. Die Korallendecke ist seit 1985 um die Hälfte geschrumpft.
    Klimawandel, Schifffahrt, Fischerei, Erosion, Stürme und der Abfluss von Dünger und Pestiziden aus intensiver Landwirtschaft bedrohen das Riff. Die Korallendecke ist seit 1985 um die Hälfte geschrumpft. © dpa | Greg Torda/Arc Centre Of Excelle
    Das Great Barrier Reef steht seit 1981 auf der Liste der Weltnaturerbestätten der UN-Kulturorganisation Unesco, es ist eine der größten Touristenattraktionen Australiens.
    Das Great Barrier Reef steht seit 1981 auf der Liste der Weltnaturerbestätten der UN-Kulturorganisation Unesco, es ist eine der größten Touristenattraktionen Australiens. © dpa | JAMES COOK UNIVERSITY/APP
    Die Unesco hat allerdings mit dem Entzug dieses Status’ gedroht, falls die australische Regierung nicht mehr unternehme, um die Einzigartigkeit der Region zu erhalten. Sie verlangt regelmäßige Berichte über die Fortschritte.
    Die Unesco hat allerdings mit dem Entzug dieses Status’ gedroht, falls die australische Regierung nicht mehr unternehme, um die Einzigartigkeit der Region zu erhalten. Sie verlangt regelmäßige Berichte über die Fortschritte. © REUTERS | DAVID GRAY
    Neben dem Klimawandel habe im Jahr 2016 das Wetterphänomen El Niño den Riffen zugesetzt, erklären Experten: Es habe die Temperaturen zusätzlich steigen lassen.
    Neben dem Klimawandel habe im Jahr 2016 das Wetterphänomen El Niño den Riffen zugesetzt, erklären Experten: Es habe die Temperaturen zusätzlich steigen lassen. © REUTERS | DAVID GRAY
    Die Region zwischen dem nördlichsten Teil der Ostküste und Papua-Neuguinea war bislang der intakteste Teil des Riffs. „Die Region war von den Bleichen 1998 und 2002 nur wenig betroffen, aber dieses Mal sind die Schäden groß“, sagt Korallenforscher Terry Hughes.
    Die Region zwischen dem nördlichsten Teil der Ostküste und Papua-Neuguinea war bislang der intakteste Teil des Riffs. „Die Region war von den Bleichen 1998 und 2002 nur wenig betroffen, aber dieses Mal sind die Schäden groß“, sagt Korallenforscher Terry Hughes. © dpa | Andreas Dietzel/Arc Centre Of Ex
    Die Rückkehr endgültig abgestorbener Korallen könne zehn bis 15 Jahre dauern – wenn es keine weiteren Störungen gebe.
    Die Rückkehr endgültig abgestorbener Korallen könne zehn bis 15 Jahre dauern – wenn es keine weiteren Störungen gebe. © REUTERS | HANDOUT
    1/14

    Das Schöne an einer Kugel ist ohnehin, dass jeder Punkt ihr Anfang sein könnte. Oder ihr Ende. Rein geografisch ist Barra do Sucatinga so sehr Anfang und Ende der Welt wie Hamburg, Wien oder Moskau, wie Washington, Rio oder Sydney. Trotzdem liegt das Fischerdorf etwas mehr im Nirgendwo als diese Städte.

    Das endlose Grün der Weiden

    Oder da ist Don Ignacio Pardo Santayana, der mal ein Flugzeug hatte, als die Geschäfte besser liefen. Der von Autos nicht viel hält und am liebsten reitet. Vier Tage braucht er, um seinen Grundbesitz mitten in Uruguay hoch zu Ross einmal komplett zu umrunden. 55 Kilometer sind es von seiner Estancia bis zur nächsten asphaltierten Straße, bis zur winzigen Ortschaft Paso de los Toros.

    Klingt gut. Macht neugierig. Wie es dort draußen riecht? Nach frisch gemähtem Gras und ein paar Tausend Rindern. Wie die Sonne dort untergeht? Unglaubwürdig schön. Sie braucht ewig, bis sie in der flachen Landschaft hinter den Horizont taucht. Und was der Traumberuf von Rinderbaron Don Ignacio ist? „Eigentlich“, sagt er, „wäre ich viel lieber Pirat geworden.“ Er hätte das endlose Grün seiner Weiden gegen das Blau des Meeres tauschen wollen.

    Mohammed Bas Traum vom Flugzeug

    Bloß keine Enge spüren müssen, keinen unmittelbaren Nachbar haben. Kostbare Freiräume, die selten werden auf diesem Globus: Auch das sind die Enden der Welt. Orte, wo man noch Platz hat, es keine Ampeln, selten ein Verkehrsschild gibt. Es sind meist stille Orte, wo man nachts den eigenen Herzschlag hört, weil es keine anderen Geräusche gibt.

    Mohammed Ba ist in Khasab auf der omanischen Musandam-Halbinsel aufgewachsen und träumt davon, Pilot zu werden. Wann immer ein Flugzeug mit Ach und Krach auf dem zwischen die schroffen Gipfel des Hajjar-Gebirges und die Fjorde der ­Straße von Hormuz gezwängten Mini-Airport einschwebt, ist Mohammed zur Stelle, um es zu sehen. Seine Freunde verstehen nicht, warum er so eine Sehnsucht nach diesen Geräten hat und so gerne in die Welt hinaus will.

    Schwimmen mit den Delfinen

    Dabei ist es dieselbe Neugierde, die Fremde in ihre Heimat lockt. An ein herrlich stilles, sonniges Ende der Welt. Mohammed hat hier mit 17 die Sprache der Delfine gelernt. Er formt die Hände zu einem Kelch, legt sie an die Lippen und erzeugt Geräusche, die binnen weniger als einer Minute verlässlich Flipper-Familien anlocken und neben dem Holzboot im warmen Wasser der Fjorde tanzen lassen. Er schwimmt mit ihnen, spielt mit ihnen, kann ihre Sprache klanglich perfekt – aber er weiß nicht, was er sagt. Es macht nichts.

    Es ist so ähnlich wie bei der Verständigung mit Händen und ­Füßen unter Menschen. Es reicht, dass man versteht, wie sehr sich das Gegenüber in­teressiert. Es ist das Gegenteil von Anonymität. Und mehr als an anderen Orten der Welt gilt in jedem Nirgendwo: Fremde sind Freunde, die man noch nicht kennt. Kitschig? Ein bisschen. Aber wahr. Fast immer, fast überall. Warum das so ist? Weil man an einsamen Orten gewohnt ist, zuzuhören und sich übereinander freut – erst recht an Orten, wo lange kein ausländischer Besucher sein sollte, wenn es nach den Regierenden ging.

    Der Gemüsehändler vom Nil

    In Burma zum Beispiel, wo ein Mönch in einem Dorf bei Mandalay in gebrochenem Englisch ausspricht, warum seine Mitbrüder sich so freuen: „Es ist schön, dass du hier bist“, sagt er. „Weil jeder Fremde ein lange verschlossenes Fenster aufstößt, durch das frische Luft hereinweht.“ Die Burmesen brauchten diesen Sauerstoff, um unter ihrer Militärdiktatur nicht zu verkümmern.

    Oder im Sudan. Da ist der Gemüsehändler auf dem Marktplatz von Shendi, einer Kleinstadt in einer Nilschleife nicht weit von der Bayuda-Wüste: „Deine Anwesenheit beweist, dass man uns nicht vergessen hat. Dass die Welt herschaut“, sagt er und legt die rechte Hand auf sein Herz. Ein anderer klopft für keine andere Leistung als die bloße Anwesenheit auf die Schulter: „Good to have you here. Welcome to Sudan“, sagt er.

    Deutsche Basis in der Arktis wird 25

    Vor nunmehr 25 Jahren wurde die erste deutsche Forschungsstation in der Arktis eröffnet. Nach den Norwegern waren die Deutschen die ersten, die in Ny-Ålesund auf Spitzbergen am 10. August 1991 eine Basis errichteten.
    Vor nunmehr 25 Jahren wurde die erste deutsche Forschungsstation in der Arktis eröffnet. Nach den Norwegern waren die Deutschen die ersten, die in Ny-Ålesund auf Spitzbergen am 10. August 1991 eine Basis errichteten. © dpa | Jens Büttner
    Damals hieß die Basis in der nördlichsten Siedlung der Welt noch Koldewey, heute nennt sie sich Awipev. Grund für die Namensänderung war der Zusammenschluss mit der französischen Forschungsbasis im Jahr 2003.
    Damals hieß die Basis in der nördlichsten Siedlung der Welt noch Koldewey, heute nennt sie sich Awipev. Grund für die Namensänderung war der Zusammenschluss mit der französischen Forschungsbasis im Jahr 2003. © Alfred-Wegener-Institut | René Bürgi
    Das ist der Meßturm der Anlage. Mit ihm führt die Arktis-Forschungsstation die wichtigen Langzeitmessungen durch.
    Das ist der Meßturm der Anlage. Mit ihm führt die Arktis-Forschungsstation die wichtigen Langzeitmessungen durch. © Alfred-Wegener-Institut, Helmhol | René Bürgi
    Maßgeblich am Aufbau der deutschen Station beteilig, war der Atmosphärenphysiker Roland Neuber. Auch heute noch ist er regelmäßig als wissenschaftlicher Koordinator im hohen Norden.
    Maßgeblich am Aufbau der deutschen Station beteilig, war der Atmosphärenphysiker Roland Neuber. Auch heute noch ist er regelmäßig als wissenschaftlicher Koordinator im hohen Norden. © dpa | Rene Buergi
    Wenn es dunkel ist, kann man häufig über Ny-Ålesund einen hellen grünen Laserstrahl sehen, der vom AWIPEV-Observatorium gegen den Himmel schiesst. Der Laserstrahl gehört zu einem LIDAR-System, das vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam seit den 90er Jahren betrieben wird. Damit wird an klaren Tagen die Atmosphäre nach dünnen Wolken und Aerosolen untersucht, kleinsten Schwebeteilchen in der Luft.
    Wenn es dunkel ist, kann man häufig über Ny-Ålesund einen hellen grünen Laserstrahl sehen, der vom AWIPEV-Observatorium gegen den Himmel schiesst. Der Laserstrahl gehört zu einem LIDAR-System, das vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam seit den 90er Jahren betrieben wird. Damit wird an klaren Tagen die Atmosphäre nach dünnen Wolken und Aerosolen untersucht, kleinsten Schwebeteilchen in der Luft. © dpa | Rene Buergi
    Im „Blauen Haus“ leben und schlafen bis zu acht Personen,...
    Im „Blauen Haus“ leben und schlafen bis zu acht Personen,... © imago | alimdi
    ... aber auch die Arbeitsräume sind hier untergebracht. Forschungsgebiete sind Biologie, Chemie, Geologie und Atmosphärenphysik.
    ... aber auch die Arbeitsräume sind hier untergebracht. Forschungsgebiete sind Biologie, Chemie, Geologie und Atmosphärenphysik. © Alfred-Wegener-Institut | René Bürgi
    Die Forscher haben alle wichtigen Utensilien vor Ort und sind auf das Leben in der Antarktis eingestellt.
    Die Forscher haben alle wichtigen Utensilien vor Ort und sind auf das Leben in der Antarktis eingestellt. © Alfred-Wegener-Institut | René Bürgi
    Denn im hohen Norden ist die Zivilisation weit weg und Einsamkeit ein ständiger Begleiter. Im Winter leben etwa 30 Personen in der Siedlung, im Sommer um die 120
    Denn im hohen Norden ist die Zivilisation weit weg und Einsamkeit ein ständiger Begleiter. Im Winter leben etwa 30 Personen in der Siedlung, im Sommer um die 120 © Alfred-Wegener-Institut, Helmhol | René Bürgi
    1/9

    Manchmal ist Nebel kostbar

    Enden kann die Welt unmittelbar vor den Toren einer Stadt oder dort, wo die Berge und Seen keine Namen haben, weil nur alle Jahre mal jemand vorbeikommt. Sie kann auf einer einsamen Insel enden, in einem abgelegenen Kloster in Tibet ebenso wie in Griechenland, das in der Vergangenheit lebt, keine Gegenwart kennt und die Zukunft nicht möchte. Oder an einer Grenze, deren Schlagbaum sich nicht mehr öffnen will.

    Wie das bei mir ist? Manchmal habe ich Jahre später einen neuen Anlauf unternommen, bis ins Nirgendwo vorzudringen, weil der erste Versuch scheiterte, aber ein Ortsname nicht mehr aus dem Gedächtnis geriet. Mit Sachs Harbour war das so. Bis zu Jacky und Roger bin ich erst fünf Jahre nach dem ersten Versuch vorgedrungen. Zunächst war das Wetter dagegen. Das zweite Mal gelang der Besuch, und endlich weiß ich, wie die arktische Blüte auf Banks Island im Juli aussieht und dass es nichts Weicheres gibt als Handschuhe aus Moschusochsen-Wolle.

    Und wohin führt die nächste Reise?

    Die Natur wollte, dass ich länger blieb. Am ersten Tag schwammen Kinder im Arktischen Ozean, das Thermometer zeigte 25 Grad. Am Morgen des zweiten Tages waren es 20 Grad, am Abend nur noch zwei. Und nachts fing es ein wenig an zu schneien, ehe der Nebel kam und den Flughafen drei Tage lang im Klammergriff hielt: kein Flugzeug rein, keines raus. Roger fuhr mit mir angeln, um die Zeit zu vertreiben – und erzählte die Märchen der Vorfahren. Manchmal ist es kostbar, wenn Nebel aufkommt, die Natur einen Vorhang vor die Welt zieht und man länger im Nirgendwo bleiben muss.

    Wohin die nächste Reise geht? Vielleicht auf die Insel Kish im Persischen Golf. Sie gehört zum Iran, war das Ferienparadies des Schahs, ist heute so etwas wie das Experimentierfeld für mehr Freiheiten im Land der Mullahs – und nur 30 Flugminuten von Dubai entfernt. Oder auf die Andamanen und Nikobaren, die indischen Inselgruppen im Golf von Bengalen, denen die touristische Entdeckung noch bevorsteht. Oder wieder zu Jacky und Roger. Weil sie so viel vom nächst gelegenen Nachbarort erzählt haben, von Ulukhaktok auf Victoria Island. Bloß gut anderthalb Flugstunden entfernt.

    Klingt gut. Ich werde wohl mal hinfahren.