Berlin. China und Indien machen Fortschritte im All. Dabei geht es nicht nur nur um das Wohl der Wissenschaft. Zweifel gibt es an der Nasa.
Eigentlich fehlte nur eine Jubelpose. Die aber wäre für einen chinesischen Staats- und Parteichef wohl unangemessen gewesen. Also verpackte Xi Jinping den Stolz über den erfolgreichen Start des sechsten bemannten Weltraumflugs in große Worte: „Tiefer und umfassender als je zuvor“ werde seine Nation in Zukunft das All erforschen, sagte er im Oktober. Bereits einen Monat zuvor hatte Jinping das Weltraumlabor „Himmelstempel 2“ ins All fliegen sehen und in der Provinz Guizhou das weltgrößte Radioteleskop in Betrieb genommen.
Während die USA, Russland und Europa kontrovers über die Zukunft der internationalen Raumstation ISS und die Finanzen ihrer Weltraumprogramme verhandeln, schafft China Fakten. Allein bis Herbst 2017 will das Reich der Mitte 20 Weltraummissionen starten. Im „Weißbuch zur chinesischen Raumfahrt“ heißt es weiter: 2020 soll eine Sonde auf dem Mars landen, 2022 eine Weltraumstation eröffnen. Mittelfristig sei eine Jupiter-Mission denkbar. Bis 2025 will die Regierung mehr als 100 Milliarden Yuan, umgerechnet 13,5 Milliarden Euro, investieren.
Indische Mission auf dem Mond
Nur 13 Jahre nach dem ersten bemannten Flug ins All nennt China sich offiziell „Weltraummacht“. Doch nicht nur China ist in den Kreis der hochambitionierten Raumfahrernationen aufgestiegen. Auch ein anderes Land macht laut dem australischen Raumfahrtexperten Morris Jones kleinere, aber beständige Fortschritte: Indien. Bereits 2008 landete eine Mission auf dem Mond. 2014 gelang es Indien als erstem Land Asiens, eine Sonde in die Umlaufbahn des Mars zu schicken.
„Indien gehört jetzt zum Elite-Klub“, sagte Ministerpräsident Narendra Modi. Sein Land habe das Potenzial, zu einer starken Weltraum-Nation zu wachsen. „Für uns ist das Weltraumprogramm ein wichtiges Instrument für Fortschritt“, sagte Modi. Schätzungen zufolge investiert Indien etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr in die Raumfahrt. Seit 1975 sind die Ausgaben kontinuierlich gestiegen, vor allem für Raketen- und Satellitentechnologien.
Wandelnde Kräfteverhältnisse
Angesichts sich wandelnder Kräfteverhältnisse in der Welt bleiben die Aussagen der beiden Staatslenker aus Asien nicht ohne Echo: Die USA beäugen vor allem die Anstrengungen Chinas kritisch. Die Verfasser eines für den US-Kongress geschriebenen Berichts warnten, dass China „im All militärisch, diplomatisch, kommerziell und wirtschaftlich genauso wettbewerbsfähig wie die USA“ werden wolle.
Und Dennis Shea von der US-Wirtschafts- und Technologiekommission sagte vor dem Raumfahrtausschuss: „Chinas wohlüberlegterer und umfassenderer Ansatz wird Peking Möglichkeiten eröffnen, in naher Zukunft wichtige wirtschaftliche, politische und diplomatische Vorteile von seinem Raumfahrtprogramm abzuleiten.“
Schlagkraft der Nasa
Flankiert wird die Furcht der Politik von Zweifeln an der Schlagkraft der Nasa. Zwar ist das Budget der US-Raumfahrtbehörde allein für 2017 umgerechnet 17,5 Milliarden Euro schwer, doch es umfasst auch eine Vielzahl von Programmen. Nasa-Chef Charles Bolden, der hartnäckig an dem Ziel einer bemannten Reise zum Mars festhält, sah sich deshalb im Februar mit Kritik aus Kreisen der Wissenschaft konfrontiert.
Paul Spudis vom Lunar- und Planetary-Institut in Texas sagte vor dem Kongress laut einem ARD-Bericht, der „fehlende Fokus und strategische Verwirrung“ untergrüben den Anspruch der USA, ein Anführer im Weltall zu sein. Für den unabhängigen Raumfahrtexperten Morris Jones ist die Wachablösung im All noch nicht vollzogen: „Ich würde aber sagen, dass China nur noch zehn Jahre hinter den USA herhinkt.“ Wenn aktuelle Trends anhielten, könnte China zu einer vorherrschenden Macht im Weltall aufsteigen.
Einfluss und Aufgabe der Raumfahrt
Dass die Debatte über Zukunft, Einfluss und Aufgabe der Raumfahrt vielerorts gerade jetzt entflammt, ist erklärbar. Denn im All stehen konkrete Veränderungen an. Bis 2024 ist die im Jahr 1998 eröffnete internationale Raumstation ISS, an der die USA, Kanada, Europa, Russland und Japan beteiligt sind, gesichert. Weitergehende Verträge, die frühzeitig geschlossen werden müssten, gibt es nicht.
Und schon im Frühjahr 2015 hatte Russlands Präsident Wladimir Putin vernehmbar über eine rein russische Raumstation nachgedacht. Bis 2025 jedenfalls will Russland eigenen Angaben zufolge etwa 40 Milliarden Euro im Rahmen einer neuen Raumfahrtstrategie investieren.
Technologie für militärische Ziele
In Expertenkreisen wird derzeit heiß diskutiert, ob und wie sich neue internationale Allianzen bilden könnten. Denn Raumfahrt ist nicht nur Wissenschaft. 90 Prozent der Technologie hat sowohl zivilen als auch militärischen Nutzen. Für Morris Jones steckten hinter den Bemühungen Indiens und Chinas auch starke militärische Motive, was die Spannungen in der Region und mit den USA widerspiegele.
„Der Führer im militärischen Raumflug in Asien ist eindeutig China. Es ist Teil der chinesischen Strategie, den Streitkräften der USA entgegenzuwirken.“ Darüber hinaus zielt die Intensivierung der Raumfahrt nach Ansicht des „Mercator Institutes for China Studies“ darauf ab, die Technologie-Lücke zum Westen zu schließen und die chinesische Wirtschaft zu stärken.
Satellitenbilder von Berlin bis Venedig
Moon-Village der gesamten Welt
Neben Russland und den USA denkt auch Europa längst über die Zukunft nach. Die Weltraumorganisation Esa, an der 22 Staaten inklusive Kanada beteiligt sind, räumte zuletzt zunächst offene Finanzierungsfragen aus dem Weg, indem sie für die nächsten drei bis acht Jahre 10,3 Milliarden Euro für Raumfahrtprogramme und die Zukunft der ISS zusicherte. Der neue Chef Jan Wörner brachte sich aber auch politisch in Position.
Aller Rivalitäten zum Trotz könne doch die gesamte Welt an einem Moon-Village arbeiten, sagte Wörner Ende Dezember auf dem Chaos Communication Congress in Hamburg. Für das Dorf auf dem Mond gibt es zwar bisher weder Geld noch konkrete Pläne, immerhin aber eine Vision. Es soll ein offenes Projekt für alle Nationen und Unternehmen sein, an dem „natürlich“ auch Chinesen und Inder teilnehmen könnten, so Wörner. Die Esa jedenfalls habe seit jeher daran gearbeitet, Brücken zwischen verschiedenen Akteuren und Nationen zu bauen.