Berlin. Ein Hinweis auf den Terrorverdächtigen von Berlin wie auf dem Silbertablett: Welche Gründe zurückgelassene Ausweispapiere haben können.

Die Verwunderung ist groß, Verschwörungstheorien im Netz blühen: Ein Terrorist lässt für die Ermittler seine Papiere da – mal wieder? Im Führerhaus des Lkw, mit dem der Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz verübt wurde, ist unter dem Fahrersitz eine Duldungsbescheinigung gefunden worden, die die Polizei auf die Spur des Tunesiers Anis A. gebracht hat. Solche Fälle gab es schon häufiger: Terroristen und ihre Ausweispapiere – was hat es damit auf sich?

Sicherheitsexperte Fred Burton, Vize-Präsident des US-Analysedienstes Stratfor und dort Experte für Terrorismusbekämpfung, glaubt an einen naheliegenden Grund: „Menschliches Versagen, würde ich sagen. Keine Erfahrung. Diese Leute landen nicht das Space Shuttle“, erklärte er gegenüber unserer Redaktion. Dass der mutmaßliche Terrorist Papiere mit sich führte, ist aus der Logik des Terrors durchaus nachvollziehbar. Ein möglicher Terrorplan soll nicht an einer Kontrolle scheitern, bei der der Täter keine Papiere vorweisen kann.

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Ausweis als Garant für Versorgung der Familie

Mit 100.000 Euro Belohnung sucht die Polizei nach Anis Amri. Seine Duldungsbescheinigung mit diesem Foto lag im Lkw an der Berliner Gedächtniskirche.
Mit 100.000 Euro Belohnung sucht die Polizei nach Anis Amri. Seine Duldungsbescheinigung mit diesem Foto lag im Lkw an der Berliner Gedächtniskirche. © REUTERS | HANDOUT

Die Praxis des „Racial Profiling“, eine Kontrolle von Personen wegen ihres Aussehens und der vermuteten ethnischen Herkunft, wird von Behörden abgestritten. Doch das Risiko einer Überprüfung ist höher für Menschen, die eine ausländische Herkunft vermuten lassen. Der Tunesier könnte deshalb das Papier griffbereit gehabt und in der Ausnahmesituation tatsächlich vergessen haben.

In manchen Fällen nehmen Selbstmordattentäter aber auch bewusst Ausweispapiere mit, um sicherzustellen, dass ihre Identität bekannt wird. Einige Terrororganisationen „belohnen“ im Anschluss die Familie des „Märtyrers“ finanziell, der Ausweis ist quasi die Police dieser „Lebensversicherung“.

Ausweis als Mahnung an Mitstreiter?

Der Psychologieprofessor Jan Kizilhan von der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen, Autor des Buches „Die Psychologie des IS“, sieht in einem zurückgelassenen Ausweis auch eine Art Mahnung an die eigenen Leute. Dem ARD-POlitikmagazin „report München“ sagte er: „Sie wollen damit ihrer Gemeinschaft eine Botschaft als Märtyrer hinterlassen.“

Es ist aber eher zweifelhaft, ob das auch eine durchgängige Strategie der Terrormiliz „Islamischer Staat“ bei Anschlägen in Europa ist. Auch Christoph Sydow, beim „Spiegel“ Spezialist für Terrorismus-Themen, hatte keine Antwort: „Mir ist nicht bekannt, dass die IS-Propaganda Terroristen dazu auffordert, ihre Ausweise am Tatort zu hinterlassen“, twitterte er.

Medien - Ermittler verfolgen heiße Spur nach Anschlag

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    Auch „Charlie Hebdo“-Täter ließ Ausweis zurück

    In der Vergangenheit gab es Fälle, in denen ein zurückgelassener Ausweis vor allem der Polizei half: Bei den Attacken auf die Redaktion des Magazins „Charlie Hebdo“ hatte der später getötete Terrorist Said Kouachi seinen Personalausweis im Fluchtwagen zurückgelassen, wie die französische Polizeierklärt hatte. Ob das ein Versehen oder Absicht war, wurde nie geklärt – an der Täterschaft von Kouachi gibt es aber keine Zweifel. Die Polizei kam so sehr schnell auf die Spur der beiden Täter.

    Polizisten suchen im Berliner Westhafen, dem vermutlich letzten Parkplatz des Lkw vor der Todesfahrt, nach Hinweisen. Die heißeste Spur hatte der Täter unter dem Fahrersitz liegen lassen.
    Polizisten suchen im Berliner Westhafen, dem vermutlich letzten Parkplatz des Lkw vor der Todesfahrt, nach Hinweisen. Die heißeste Spur hatte der Täter unter dem Fahrersitz liegen lassen. © dpa | Kay Nietfeld

    Nach den Anschlägen auf die Konzerthalle „Bataclan“ und weitere Ziele in Paris hatten sich im November 2015 zunächst Anhänger von Verschwörungstheorien gewundert: Bei einem der Terroristen, der sich am Stadion mit Sprengstoffweste in die Luft gesprengt hatte, wurde ein intakter Ausweis gefunden. Der TV-Sender Al-Jazeera hatte daraufhin mit Forensikern gesprochen, die erklärten, dass durch die Druckwelle durchaus auch Papier solche Detonationen überstehen kann.

    Syrischer Pass sollte auf falsche Spur führen

    In Paris war die Geschichte aber mit dem Fund der Ausweispapiere des toten Terroristen noch nicht vorbei. Sie wiesen ihn als Syrer aus, doch sie waren gefälscht. An dem Terror beteiligten Attentäter waren tatsächlich als Flüchtlinge über die Balkanroute eingereist – allerdings mit falschen syrischen Papieren. Ziel des IS ist es unter anderem, Flüchtlinge gezielt in Misskredit zu bringen, um die Bevölkerung im Zusammenspiel mit Rechtspopulisten weiter gegen die Flüchtlingspolitik aufzustacheln. Dadurch verspricht sich die Terrormiliz größeren Erfolg beim Radikalisieren von Menschen und Rekrutieren neuer Anhäger.

    Alle von den Behörden identifizierten Attentäter hatten aber französische oder belgische Staatsangehörigkeit. Von zwei Attentätern gibt es nur eine Erklärung des IS in seinem Propagandamagazin Dabiq. Demnach sollen sie Iraker sein. Deren Ausweise wurden aber nicht gefunden.

    Debatten um politische Folgerungen nach dem Anschlag von Berlin

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      Terroristen-Ausweispapiere auch nach 9/11 gefunden

      Überstand das Inferno im World Trade Center: Dokument des 9/11-Terroristen Satam al-Suqami.
      Überstand das Inferno im World Trade Center: Dokument des 9/11-Terroristen Satam al-Suqami. © FMG | FMG

      Auch nach den Anschlägen in den USA am 11. September 2001 waren offizielle Papiere gefunden worden. Bei der New Yorker Polizei wurde das Visum des saudischen Terroristen Satam al-Suqami abgegeben. Ein unbekannter Passant hatte es noch vor dem Einsturz der Türme einen Block vom World Trade Center entfernt gefunden. Im offiziellen Untersuchungsbericht der Anschläge ist auch dieser rätselhafte Fund festgehalten.