Traunstein. Zwölf Menschen starben, Dutzende wurden beim Zugunfall in Bad Aibling verletzt. Montag ergeht das Urteil gegen den Fahrdienstleiter.

Der angeklagte Fahrdienstleiter im Prozess um das Zugunglück von Bad Aibling mit zwölf Toten soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft zu vier Jahren Haft verurteilt werden. Nach Überzeugung der Anklagebehörde ist der Bahnmitarbeiter der fahrlässigen Tötung schuldig.

„Der Vorwurf hat sich in vollem Umfang bestätigt, es gibt hier keinerlei Abstriche“, sagte Oberstaatsanwalt Jürgen Branz am Freitag in seinem Plädoyer vor dem Landgericht Traunstein. Die Verteidiger plädierten auf eine Bewährungsstrafe.

Fahrdienstleiter spielte am Handy

Der Anklagevertreter hielt dem Fahrdienstleiter eine ganze Kette von Fehlentscheidungen bei der Arbeit im Stellwerk vor. So habe der 40-Jährige hintereinander mehrere Signale falsch gestellt. Als er den Fehler bemerkte, drückte er beim Bedienen des Notrufes auch noch die falsche Taste, der Alarm kam nicht in den Zügen an. Branz sprach von „kopflosem Verhalten“. Der Staatsanwalt: „Er regelte den Zugverkehr gedankenlos, man hat das Gefühl, nebenbei.“

Vor allem rügte Branz das verbotene Handyspielen des Angeklagten bis kurz vor dem Zusammenstoß der beiden Züge am 9. Februar: „Letztlich liegt hier der Grund für die Fehlhandlungen des Angeklagten.“ Er sprach von einer 72-prozentigen zeitlichen Überdeckung der Aktivitäten beim Handyspielen und den Handlungen bei der Arbeit.

Das schwere Zugunglück von Bad Aibling

Bei einem der schwersten Zugunglücke in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands wurden am 9. Februar 2016 zwölf Menschen getötet und fast 90 Insassen teils lebensgefährlich verletzt.
Bei einem der schwersten Zugunglücke in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands wurden am 9. Februar 2016 zwölf Menschen getötet und fast 90 Insassen teils lebensgefährlich verletzt. © dpa | Peter Kneffel
Das Unglück ereignete sich um 6.48 Uhr in der Nähe von Bad Aibling im Landkreis Rosenheim.
Das Unglück ereignete sich um 6.48 Uhr in der Nähe von Bad Aibling im Landkreis Rosenheim. © dpa | Peter Kneffel
Zwei Züge des privaten „Meridian“, der von der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) betrieben wird, stießen frontal zusammen.
Zwei Züge des privaten „Meridian“, der von der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) betrieben wird, stießen frontal zusammen. © dpa | Peter Kneffel
Der Fahrdienstleiter musste sich vom 10. November an wegen fahrlässiger Tötung vor dem Landgericht Traunstein verantworten.
Der Fahrdienstleiter musste sich vom 10. November an wegen fahrlässiger Tötung vor dem Landgericht Traunstein verantworten. © dpa | Uwe Lein
Er soll bis kurz vor dem Unfall auf seinem Handy ein Computerspiel gespielt haben und dadurch abgelenkt gewesen sein, wie ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft.
Er soll bis kurz vor dem Unfall auf seinem Handy ein Computerspiel gespielt haben und dadurch abgelenkt gewesen sein, wie ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft. © dpa | Peter Kneffel
Dutzende Rettungskräfte eilten binnen kurzer Zeit an den Unglücksort. Die betroffene Strecke wurde komplett gesperrt.
Dutzende Rettungskräfte eilten binnen kurzer Zeit an den Unglücksort. Die betroffene Strecke wurde komplett gesperrt. © dpa | Peter Kneffel
Das Unglück geschah auf eingleisiger Strecke.
Das Unglück geschah auf eingleisiger Strecke. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH
Kränze, Kerzen und Blumen nahe der Unglücksstelle.
Kränze, Kerzen und Blumen nahe der Unglücksstelle. © dpa | Peter Kneffel
Auf einer Länge von bis zu 120 Metern mussten Schienen und Schwellen teils erneuert werden. Die eingleisige Strecke blieb mehrere Tage gesperrt.
Auf einer Länge von bis zu 120 Metern mussten Schienen und Schwellen teils erneuert werden. Die eingleisige Strecke blieb mehrere Tage gesperrt. © dpa | Peter Kneffel
Ein Betroffener hängte an der Unglücksstelle eine Kerze an einen Baum.
Ein Betroffener hängte an der Unglücksstelle eine Kerze an einen Baum. © dpa | Uwe Lein
Am 12. Februar 2016 trug ein Polizist eine Steuereinheit (l.) und ein elektronisches Bauteil (r.) aus einem der zwei verunglückten Regionalzüge.
Am 12. Februar 2016 trug ein Polizist eine Steuereinheit (l.) und ein elektronisches Bauteil (r.) aus einem der zwei verunglückten Regionalzüge. © dpa | Peter Kneffel
Einsatzkräfte suchten an der Unfallstelle der Regionalzüge mit Hochdruck nach der dritten Blackbox. Diese ist am 12. Februar gefunden worden.
Einsatzkräfte suchten an der Unfallstelle der Regionalzüge mit Hochdruck nach der dritten Blackbox. Diese ist am 12. Februar gefunden worden. © dpa | Peter Kneffel
Blick auf die Unfallstelle der Züge am Morgen des 11. Februar. Die Unglücksstelle lag in einem Waldstück an einer Hangkante, die steil zu einem Kanal abbricht, und war nur schwer zu erreichen.
Blick auf die Unfallstelle der Züge am Morgen des 11. Februar. Die Unglücksstelle lag in einem Waldstück an einer Hangkante, die steil zu einem Kanal abbricht, und war nur schwer zu erreichen. © dpa | Peter Kneffel
Angehörige und Mitglieder von Rettungsdiensten nahmen am 14. Februar in Bad Aibling an einem ökumenischen Gottesdienst für die Angehörigen der Opfer des Zugunglücks und für die Rettungs- und Hilfskräfte teil.
Angehörige und Mitglieder von Rettungsdiensten nahmen am 14. Februar in Bad Aibling an einem ökumenischen Gottesdienst für die Angehörigen der Opfer des Zugunglücks und für die Rettungs- und Hilfskräfte teil. © dpa | Uwe Lein
Kardinal Reinhard Marx und Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, die Ständige Vertreterin des Landesbischofs, spendeten in der Kirche Sankt Georg Trost.
Kardinal Reinhard Marx und Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, die Ständige Vertreterin des Landesbischofs, spendeten in der Kirche Sankt Georg Trost. © dpa | Uwe Lein
Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU, r.), Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU, Mitte) und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU, l.) nahmen ebenfalls an dem Gottesdienst teil.
Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU, r.), Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU, Mitte) und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU, l.) nahmen ebenfalls an dem Gottesdienst teil. © dpa | Uwe Lein
Ein Tag nach dem schrecklichen Zugunglück wurden Kränze niedergelegt. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU, l.) und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen, 2. v.l.) gedachten der Opfer.
Ein Tag nach dem schrecklichen Zugunglück wurden Kränze niedergelegt. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU, l.) und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen, 2. v.l.) gedachten der Opfer. © dpa | Bayerische Staatskanzlei
Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, hatte am Rathaus in Bad Aibling ein Statement an die Medienvertreter abgegeben. „Wir sind tief bestürzt über den Unfall. Den Verletzten und den Angehörigen der Unfallopfer gehört unser tiefes Mitgefühl. Ich habe bereits der Bayerischen Oberlandbahn GmbH meine Betroffenheit zum Ausdruck gebracht. Selbstverständlich unterstützen wir die ermittelnden Behörden bei der Aufklärung der Unfallursache. Ich möchte den Rettungskräften und allen Helfern vor Ort für ihren schweren Einsatz ausdrücklich danken.“
Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, hatte am Rathaus in Bad Aibling ein Statement an die Medienvertreter abgegeben. „Wir sind tief bestürzt über den Unfall. Den Verletzten und den Angehörigen der Unfallopfer gehört unser tiefes Mitgefühl. Ich habe bereits der Bayerischen Oberlandbahn GmbH meine Betroffenheit zum Ausdruck gebracht. Selbstverständlich unterstützen wir die ermittelnden Behörden bei der Aufklärung der Unfallursache. Ich möchte den Rettungskräften und allen Helfern vor Ort für ihren schweren Einsatz ausdrücklich danken.“ © dpa | Matthias Balk
Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer machte sich auch persönlich ein Bild von der Unglücksstelle.
Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer machte sich auch persönlich ein Bild von der Unglücksstelle. © dpa | Peter Kneffel
Er zeigte sich erschüttert. „Eine Tragödie für das ganze Land, Bayern trauert“, sagte er. „Es ist eine schwere Zeit für uns alle.“
Er zeigte sich erschüttert. „Eine Tragödie für das ganze Land, Bayern trauert“, sagte er. „Es ist eine schwere Zeit für uns alle.“ © Getty Images | Lennart Preiss
Mitarbeiter des Roten Kreuzes standen fassungslos vor den Trümmern der Unglückszüge.
Mitarbeiter des Roten Kreuzes standen fassungslos vor den Trümmern der Unglückszüge. © dpa | Sven Hoppe
Unmittelbar an der Zugtrasse postierten sich die Helfer von Feuerwehr und Rettungsdienst. Einige der zahlreichen Verletzten wurden direkt vor Ort versorgt.
Unmittelbar an der Zugtrasse postierten sich die Helfer von Feuerwehr und Rettungsdienst. Einige der zahlreichen Verletzten wurden direkt vor Ort versorgt. © dpa | Sven Hoppe
Die Unglücksstelle befand sich an einem Ort, der für die Helfer nicht leicht zugänglich war. Es war für die Einsatzkräfte nicht einfach, die Verletzten aus den teilweise stark deformierten Waggons zu bergen.
Die Unglücksstelle befand sich an einem Ort, der für die Helfer nicht leicht zugänglich war. Es war für die Einsatzkräfte nicht einfach, die Verletzten aus den teilweise stark deformierten Waggons zu bergen. © REUTERS | MICHAEL DALDER
Die Verletzten wurden sofort nach der Bergung medizinisch versorgt.
Die Verletzten wurden sofort nach der Bergung medizinisch versorgt. © REUTERS | MICHAEL DALDER
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) gab nahe der Unglücksstelle ein Interview. Er sei in Gedanken bei den Opfern. Es handele sich um eine schreckliche Katastrophe.
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) gab nahe der Unglücksstelle ein Interview. Er sei in Gedanken bei den Opfern. Es handele sich um eine schreckliche Katastrophe. © Getty Images | Jan Hetfleisch
Gemeinsam mit dem bayerischen CSU-Innenminister Joachim Herrmann (Mitte) besuchte Dobrindt (l.) den Unglücksort.
Gemeinsam mit dem bayerischen CSU-Innenminister Joachim Herrmann (Mitte) besuchte Dobrindt (l.) den Unglücksort. © REUTERS | MICHAEL DALDER
Hubschrauber flogen Verletzte in die umliegenden Krankenhäuser.
Hubschrauber flogen Verletzte in die umliegenden Krankenhäuser. © dpa | Uwe Lein
„Die Hilfeleistung steht an erster Stelle“, sagte der Sprecher der Feuerwehr.
„Die Hilfeleistung steht an erster Stelle“, sagte der Sprecher der Feuerwehr. © Getty Images | Jan Hetfleisch
Es ist das schlimmste Zugunglück in Deutschland seit fünf Jahren, sagte ein Polizeisprecher.
Es ist das schlimmste Zugunglück in Deutschland seit fünf Jahren, sagte ein Polizeisprecher. © REUTERS | STRINGER
Das Unglück ereignete sich an einer schwer zugänglichen Stelle.
Das Unglück ereignete sich an einer schwer zugänglichen Stelle. © dpa | Sven Hoppe
Parallel zur Bahnstrecke fließt der Fluss Mangfall, der den Transport von Hilfsgeräten erleichterte.
Parallel zur Bahnstrecke fließt der Fluss Mangfall, der den Transport von Hilfsgeräten erleichterte. © REUTERS | MICHAEL DALDER
Die Bergungsarbeiten liefen schnell an.
Die Bergungsarbeiten liefen schnell an. © dpa | Paul Winterer
Es galt, an die hundert Verletzte zu versorgen.
Es galt, an die hundert Verletzte zu versorgen. © dpa | Paul Winterer
Acht Rettungshubschrauber waren im Einsatz.
Acht Rettungshubschrauber waren im Einsatz. © REUTERS | MICHAEL DALDER
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Bahnmitarbeiter hat gestanden

Das Fehlen einer modernen Signaltechnik auf der Unglücksstrecke machte der Anklagevertreter nicht mitverantwortlich für den Zusammenstoß. Die Deutsche Bahn (DB) hätte den Abschnitt eigentlich schon 1984 nachrüsten müssen, wie sich im Prozess herausstellte.

Branz hielt dem Bahnmitarbeiter dessen Geständnis zugute: „Sein Leben hat sich am 9. Februar 2016 schlagartig verändert.“ Neben der moralischen Schuld kommen auf den verheirateten Mann immense Schadenersatzforderungen zu. Die Nebenklägervertreter schlossen sich den Ausführungen des Staatsanwalts im Wesentlichen an.

Zwölf Menschen starben, 90 wurden verletzt

Oberstaatsanwalt Jürgen Branz, der Vorsitzende Richter Erich Fuchs, Anwalt Thilo Pfordte, Anwältin Ulrike Thole und der Fahrdienstleiter Michael P. (v.l.) im Gerichtssaal in Traunstein.
Oberstaatsanwalt Jürgen Branz, der Vorsitzende Richter Erich Fuchs, Anwalt Thilo Pfordte, Anwältin Ulrike Thole und der Fahrdienstleiter Michael P. (v.l.) im Gerichtssaal in Traunstein. © dpa | Sven Hoppe

Der Fahrdienstleiter hatte gestanden, bis kurz vor dem Unglück das Fantasy-Rollenspiel „Dungeon Hunter 5“ auf seinem Handy gespielt zu haben. Dabei geht es um das Töten von Dämonen. Die Vorschriften der DB verbieten die private Nutzung von Smartphones im Dienst. Bei dem Frontalzusammenstoß der beiden Züge auf eingleisiger Strecke starben zwölf Menschen, fast 90 wurden teils lebensgefährlich verletzt.

Die Verteidiger sahen die Handynutzung ihres Mandanten nicht so gravierend. Der Prozess habe nicht zweifelsfrei ergeben, dass das verbotene Spielen Ursache der Fehlerkette des Angeklagten ist, so Ulrike Thole und Thilo Pfordte übereinstimmend. Zudem halten sie es nicht für sicher, dass bei einem korrekt abgesetzten Notruf der Zusammenstoß noch verhindert worden wäre. Das Ausmaß der Verletzung von Sorgfaltspflichten sehen sie deshalb nicht so groß wie von der Staatsanwaltschaft vorgetragen. Gleichwohl bestehe kein Zweifel, dass der Fahrdienstleiter der fahrlässigen Tötung schuldig sei.

Prozess um Zugunglück von Bad Aibling beginnt mit Geständnis

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    Verteidiger forderten Bewährungsstrafe

    Die Verteidiger forderten eine Bewährungsstrafe für den Angeklagten. Wenn das Gericht dennoch eine Haftstrafe aussprechen wolle, halten die Verteidiger maximal zweieinhalb Jahre Gefängnis für angemessen. Die Höchststrafe bei fahrlässiger Tötung beträgt fünf Jahre.

    Pfordte erinnerte daran, dass es selbst bei noch schlimmeren Zugunglücken in Deutschland bisher immer nur Bewährungsstrafen gegeben habe. In seinem Schlusswort sagte der sichtlich erschütterte Fahrdienstleiter, er stehe noch immer unter dem Eindruck der Ereignisse. „Ich bin stark davon betroffen.“ Das Urteil wird am Montag verkündet. (dpa)