Berlin. Nach dem Massaker von Orlando reden Homosexuelle wieder mehr über ihre Rechte. Warum diese Debatte so wichtig ist: ein Standpunkt.

Nach dem Attentat auf einen Homosexuellen-Club in Orlando mit 49 Toten und 53 Verletzten erleben wir Homosexuellen eine Welle der Solidarität. Im Internet bekunden Tausende ihr Mitgefühl mit den Opfern, die im Nachtclub „Pulse“ ihre Liebe auslebten – und dafür mit ihrem Leben bezahlten.

Dazu die Kommentare der vielen homosexuellen Journalisten, die nach dem Anschlag offenbar das Bedürfnis hatten, sich deutlich zu positionieren — in einer Form, die ich so noch nie erlebt habe. Die Autoren machen darauf aufmerksam, dass auch unsere westliche Gesellschaft nicht so offen und tolerant ist, wie es viele vielleicht denken mögen. Der Gedanke, dass der Anschlag ein gezielter Angriff auf die queere Szene gewesen sein könnte, lag mir anfangs fern. Für mich war es ein Terroranschlag auf die westliche Welt und ihre Werte. So wie es zuvor auch in Paris oder Brüssel geschehen ist. Da führen Menschen einen Krieg, weil sie etwas gegen Menschen haben, die anders denken als sie selbst. Dachte ich.

Die jetzt geführte Debatte ist wichtig

Doch die Realität hat mich eines Besseren belehrt. Und die Kommentare meiner Kollegen haben mir verdeutlicht, dass Homosexuelle und Andersliebende längst nicht so akzeptiert sind, wie sie es sein wollen. Die Texte haben eine längst vergessene Debatte aufleben lassen, die daran erinnert, dass wir in unserer als liberal und tolerant geltenden Gesellschaft allenfalls Schutzräume haben, in die wir flüchten, um unserer Anderssein auszuleben. Komplett akzeptiert sind wir nicht. Auch nicht in Deutschland.

Wenn ich meinen Freund auf der Straße küsse, finden das einer aktuellen Studie der Universität Leipzig zufolge 40,1 Prozent der Deutschen ekelhaft. Wenn wir heiraten, ist es am Ende nichts weiter als eine „gleichgestellte Lebenspartnerschaft“, die uns allein durch ihre Bezeichnung daran erinnert, dass wir eben doch anders sind. Kanzlerin Angela Merkel sagte, sie bekäme „Bauchschmerzen“, wenn sie daran denke, dass wir Kinder adoptieren und großziehen werden. Deshalb ist die jetzt geführte Debatte wichtig – immer wieder aufs Neue.

Wir sollten unsere Liebe selbstbewusst zeigen

Irritiert hat mich jedoch ein Kommentar in der „Welt“. Der Autor, selbst homosexuell, beschwert sich unter anderem darüber, dass besonders heterosexuelle Männer eine Grenze zwischen sich und Schwulen ziehen würden. Auch ich habe das oft erlebt. Aber davon zu sprechen, dass das „nicht eure Welt“ ist, die in Orlando „zerschossen wurde“, offenbart für mich einen Riss, der die Gesellschaft genauso spaltet, wie es einige Heterosexuelle tun, wenn sie Homosexuelle ausgrenzen. O-Ton: Wir, die Homos. Ihr, die Heten. Und andersherum.

Dieses Denken zeugt davon, dass wir in unseren Köpfen Mauern geschaffen haben, die wir überwinden müssen, damit wir alle irgendwann gleichberechtigt leben können. Wenn wir ständig in Schutzräume flüchten und unsere Regenbogenfahnen höchstens auf Christopher-Street-Day-Paraden schwenken, verstecken wir uns in unserer LGBT-Community. Anstatt zu zeigen, dass auch wir ein Teil dieser Gesellschaft sind, drängen wir uns in die Opferrolle und verweisen nur allzu gerne auf unseren Status als seit Jahrhunderten unterdrückte Minderheit. Das ist kontraproduktiv.

Stattdessen sollten wir den Mut aufbringen, uns nicht mehr nur hinter den Mauern von Nachtclubs zu verstecken. Wir sollten aufhören, Angst zu haben und damit anfangen, unsere Liebe selbstbewusst auf der Straße zu zeigen – da, wo es andere schließlich auch tun. Erst dann werden wir es schaffen, nicht nur unsere Situation, sondern auch die Wahrnehmung aller Andersliebenden in der Gesellschaft zu ändern.