London. „I ned halp“, schreibt ein Flüchtlingsjunge in gebrochenem Englisch. Er verschickt die SMS aus dem Innern eines Lkw. Und rettet Leben.

Eine SMS ging um die Welt und rettete 15 Menschenleben. Ahmed, ein afghanischer Flüchlingsjunge, hat mit einer Nachricht gerade noch eine Katastrophe abwenden können. Er steckte mit 14 anderen Flüchtlingen in einer lebensgefährlichen Situation. Eingesperrt in einem Container auf einem Lkw, der von der nordfranzösischen Hafenstadt Calais auf dem Weg nach Großbritannien gewesen ist. Die Luft wurde knapp. Der Siebenjährige griff zu seinem Handy und setzte eine SMS in gebrochenem Englisch ab: „I ned halp darivar no stap car no oksijan in the car no signal iam in the cantenar. Iam no jokan valla“.

Die Nachricht ging an Liz Clegg, eine britische Flüchtlingshelferin von der Hilfsorganisation „Help Refugees“. Sie hatte sich um Ahmed gekümmert, als er noch im Flüchtlingslager im Calais lebte, dem sogenannten „Dschungel“. Sie hatte ihm, wie auch allen anderen Flüchtlingskindern, die sie betreute, ein Handy gegeben, damit er im Notfall um Hilfe telefonieren kann.

Helferin war in New York

Liz Clegg befand sich, als Ahmeds SMS sie erreichte, gerade in New York auf einer Konferenz. Sie verstand das gebrochene Englisch des Siebenjährigen sofort: Ich brauche Hilfe, der Fahrer hält nicht an, kein Sauerstoff im Fahrzeug, kein Signal, ich bin im Container, ich mache keine Witze, ich schwöre bei Gott.

Clegg konnte in New York nichts machen. Sie rief ihre Kollegin Tanya Freedman in London an, die wiederum die Polizei kontaktierte. „Ich hatte Ahmeds Nummer“, sagte Freedman, „und das erste, was sie taten, war, einen Übersetzer für Paschtunisch zu finden, um mit ihm zu sprechen. Sie haben sofort begriffen, dass es sich um einen Notfall handelt.“

Ortung über das Handy

Die Polizei versuchte, Ahmeds Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Er steckte in einem Lkw, der von Frankreich aus nach England eingereist war. Mit Hilfe einer GSM-Ortung seines Handys wurde der Lkw schließlich auf einem Autobahnrastplatz in der Grafschaft Leicestershire gefunden. Als die Polizei dort eintraf, war der Fahrer verschwunden. Man brach die Schlösser auf. Ahmed, sein älterer Bruder und dreizehn weitere Flüchtlinge waren gerettet.

Der Fall erinnert an die Tragödie vom letzten Sommer, als auf der Ladefläche eines Kühltransporters in Österreich 71 Flüchtlinge ums Leben kamen. Sie waren in dem weitgehend luftdichten Lkw erstickt. Als damals die Polizei den Lkw erreichte, der normalerweise gefrorene Hühnchen transportierte, kamen die Helfer um Tage zu spät. Dass jetzt in Leicestershire eine ähnliche Katastrophe verhindert werden konnte, ist dem siebenjährigen Afghanen zu verdanken. „Es war ein unglaubliches Glück“, meint Tanya Freedman, „Leben wurden gerettet, und das hat der Junge erreicht. Er hatte die Geistesgegenwart, die richtigen Informationen weiterzugeben, um sich und die anderen in dem Lkw zu retten.“

„Help Refugees“ kämpft darum, dass Ahmed und andere Kinder aus dem Dschungelcamp von Calais in Großbritannien aufgenommen werden. Zur Zeit geht ein Gesetzesantrag durch das britische Parlament, um 3000 unbegleiteten Flüchtlingskinder die Einreise zu erlauben. Lord Dubs, der als Sechsjähriger im Zuge des „Kindertransports“, der jüdische Kinder vor den Nazis rettete, nach Großbritannien kam, hat den Antrag im Oberhaus eingebracht. Die Regierung lehnt ihn ab. Vielleicht wird das Schicksal von Ahmed die Abgeordneten im Unterhaus umstimmen.