Washington. Es ist ein Trend aus der Nische: Rooftopper sind Extremsportler, Top-Fotografen und Wahnsinnige – denn ihr Hobby ist lebensgefährlich.

Connor Cummings wollte das Jahr 2015 in New York aus der Vogelperspektive ausklingen lassen. Nach einem Fehltritt auf regennassem Untergrund stürzte der 24-Jährige vor Silvester vom 52 Stockwerke hohen „Four Seasons Hotel“ in Manhattan.

Connor Cummings ist das jüngste Opfer einer Mischung aus Extremsport, Fotokunst und Selbstdarstellungswahn, die in Metropolen mit Wolkenkratzern die Behörden beunruhigt: Sie heißen Rooftopper. Schmächtige, meist junge Männer zwischen 20 und 25, die sich für das perfekte Panorama weiter trauen, als es Menschenverstand und Polizei erlauben.

Rooftopper klettern heimlich und illegal an Wachleuten vorbei auf die Dächer hoher Gebäude, komplett ohne Sicherung. Aber dafür immer mit Handy und Profikamera in der Hand; gerne mit Weitwinkel. Oben angekommen machen sie in schwindelerregender Höhe Fotos oder Videos von sich. Oft auf einem Ausleger oder an einem Mauervorsprung. Jedenfalls immer direkt über dem Abgrund. Selbst in Zeiten von 3-D, Drohnen und Computeranimationen sind die Perspektiven spektakulär.

Über Instagram und andere soziale Netzwerke erlangen die Bilder im Internet weltweite Aufmerksamkeit. Stars der Szene, die von Russen und Ukrainern wie Vadim Makhorov und Vitaliy Raskalov dominiert wird, haben Zehntausende Anhänger.

Immer höher und weiter: Sacré-Cœur und Kölner Dom

Die Ego-Paparazzi berauschen sich am viralen Echo ihrer Schnappschüsse, bei denen sich nicht nur bei Menschen mit Höhenangst ein flaues Gefühl in der Magengegend einstellen kann – und suchen den nächst größeren Kick: Sacré-Cœur in Paris, Sagrada Família in Barcelona, der 650 Meter hohe Shanghai-Tower, der Veitsdom in Prag oder der Dom in Köln, kaum ein Wahrzeichen ist den Wagemutigen heilig.

Auch in Deutschland ist das inzwischen ein Trend. Aktionen wie die der inzwischen im Netz berühmten Faschings-Domkletterer in Köln vor einigen Tagen geben der Szene weiter Futter. Christian Buhr, Betreiber des Internetforums „Roofing Community Deutschland“, schätzt, dass es in Deutschland etwa Tausend Rooftopper gebe.

„Von einer Parkbank fällst du doch auch nicht herunter“

Einer von ihnen ist Eddie, 30 Jahre alt, aus Brooklyn. Er war beim Militär, ist durch Fallschirmsprünge an Höhe gewöhnt. Seine atemberaubenden Bilder von den Dächern am Times Square gelten als Edelware in der Szene. Eddie schätzt die Risikofaktoren nüchtern ein. „Manche Rooftopper sind körperlich nicht fit genug für die Kletterei. Oder sie haben zu viel Angst, erwischt zu werden.“ Seine Motivation: Adrenalinkick und Abgeschiedenheit. „Hier oben zu sitzen, zeigt mir, wie klein und zerbrechlich ich bin verglichen mit der Einzigartigkeit New Yorks.“

Von Gefahren für sich selbst spricht er nicht: „Auf dem Dach eines Wolkenkratzers ist es wie auf einer Parkbank. Du fällst von keiner Parkbank, wenn du dich nicht selber herunterstürzt.“

Stadtforscher in New York und im kanadischen Toronto, einem Hotspot der Bewegung, erklären die Faszination mit der „Flucht vor der Langeweile und der Lust auf Grenzverletzungen in einem immer stärker regulierten Alltag“. Eddie, der Kletterer aus New York, sagt es so: „Jede Sekunde hier oben zählt. Weil man ja überhaupt nicht sein darf, wo man ist.“ Stichwort: Hausfriedensbruch. Oder Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Über die Unfälle mit Todesfolge sprechen Rooftopper nur ungern

Vor allem Internetplattformen wie Instagram und YouTube konnten den Trend noch weiter bekannt machen in den letzten Jahren. Die bekanntesten von ihnen haben Zehntausende Follower. Immer neue Ziele, neue Hochhäuser, Herausforderungen und Nervenkitzel. Viele Rooftopper sehen sich sowohl als Top-Fotografen als auch Extremsportler an. Die Aufnahmen sind gestochen scharf, was gerade bei den häufigen Nachtaufnahmen nicht leicht ist.

Dass die Experimentierfreude lebensgefährlich ist, kalkulieren Rooftopper ein. Über Todesfälle wird in der Szene öffentlich nicht oft geredet. Als der 23-jährige Nicholas Wieme in Chicago vom 42 Stockwerke hohen „InterConti-Hotel“ in einen Kaminschacht stürzte, blieb es in den einschlägigen Foren still. Im Fall Connor Cummings wäre der Absturz beinahe nicht entdeckt worden. Ein Kumpel des Opfers war mit dabei. Er meldete das Unglück an der Hotelrezeption.